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Manuskript mit einem Vorwort zum Roman mit dem Titel 
„NEUBEGINN“

Ein schlanker, großer Mann mittleren Alters verschloss sorgfältig das schmiedeeiserne Tor zu einem herrschaftlich angelegten Grundstück in Hafennähe der Stadt Osaka. Hier stand ein massives, zweistöckiges Gebäude, das kaum über die hohen Bäume hinausragte. Von zufällig Vorübergehenden wäre dieses Bauwerk nicht einzusehen gewesen, da es scheinbar nicht be­ach­tenswert etwas im Hintergrund versteckt lag. In diesem Stadtbezirk wohnten viele reiche Japaner, die ihr Geld in luxuriös ausgestattete Villen angelegt hatten, um hier in Ruhe und Abgeschiedenheit ihre Mußestunden zu verbringen. Der sich in der Nähe weit ausdehnende Stadtpark, spendete der näheren Nachbarschaft gesunde, frische Luft und diente als Erholungsort  für stressgeplagte Stadtbewohner. 

Nach dem Kriege wurden Wohnhäuser errichtet, die auf einem weitreichenden Gelän­de standen, meist zwei oder dreistöckige Einfamilienhäuser, die im fahlen Licht der Morgensonne etwas gespenstisch mit den flachen Dächern über die Baumkronen herausragten. Ein asphaltierter, schmaler Fußweg, den weiße, hohe Sträucher umsäumten, führte aus diesem Wohnviertel zu einem Bürohaus, das aus Stahl und Glas erbaut, nicht so recht in das Panorama des Hafengeländes passte. In den letzten Jahren waren unweit vom Parkgelände eine Men­ge Wohn­häuser errichtet worden, die nach ame­ri­ka­nischem Muster modern, aber zweck­mäßig eingerichtet, von den Bewohnern gern als Wohnungen geschätzt waren.

Den zwischen den Gebäuden sauber gereinigten Weg beschritt ein Mann, der sportlich aussehend, mit einem Aktenkoffer in der Hand offensichtlich zu seinem Arbeitsplatz in einem Büro eilte. Der Japaner summte leise vor sich hin, schaute prüfend auf die Straße, die im Licht der eingeschalteten Straßenlaternen glänzte, und auf der nur einige Fahrzeuge fuhren. Ein hastiger Blick nach rechts und links, dann ein paar schnelle Schritte, und der Fußgänger, der in einem leichten Sommermantel gekleidete war, gingen forsch auf der anderen Straßenseite. Es war gegen sechs Uhr morgens, und die fahle Morgendämmerung lugte langsam hervor. Einige schwarzgraue Wolken am leicht nebeligen Himmel verdunkelten den sich ankündigenden Morgen, der an diesem Tag zu wenig von seiner sonstigen Schönheit zeigte. Noch einmal blickte der hoch aufgerichtete Mann prüfend auf eine im Hintergrund gelegene zweistöckige Villa, in der die Fenster beleuchtet waren. Das beeindruckende Wohnobjekt, ein nicht all­täglicher Betonbau mit blumengeschmück­ten Fensterkästen verziert, war das Ei­gentum von Dr. Tegami, der als Generaldirektor der Nippon-Auto-Werke AG, sich vor mehreren Jahren dieses feudale Refugium erbauen ließ, um darin Erholung und Entspannung zu finden. Mit über 50 Prozent Beteiligung an der Firma, die im Inland und Ausland erfolg­reich operierte, fühlte er sich als Haupt­aktionär besonders verpflichtet, seine ganze Arbeitskraft einzusetzen, um die Geschicke der Firma verantwortungsvoll zu steuern. Doch die Freude an seinem Lebenswerk wurde getrübt, als er sich an die unliebsame Szene erinnerte, die er noch vor wenigen Minuten erlebt hatte. Seine Frau Danuta, eine noch sehr apart aussehende Dame, hatte sich wieder einmal an diesem Morgen, wie so oft in den letzten Tagen heftig über ihn beklagt, so dass ihm die gute Laune vergangen war. 

„Ich sage dir, Hiromo, ich mache das nicht mehr lange mit. Du gehst frühmorgens aus dem Haus und lässt mich allein zurück. Was soll ich den ganzen Tag machen? Wir haben keine Kinder, die Haushälterin und die Putzfrau erledigen alle größeren Arbeiten, soll ich nur Däumchen drehen und auf den Tod warten?“

„Nein, nein, meine Liebe, du weißt doch, dass ich in der Autofabrik das nötige Geld verdienen muss, um uns beiden einen angenehmen Lebensstandard zu sichern, um alle Kosten, ich will nicht sagen Unkosten, für unser schönes Wohnheim bezahlen zu können. Gedulde dich noch einige Wochen, ich hoffe, dass sich die Auftragslage für den Export unserer Autos bald verbessert, danach trete ich den Chefsessel an einen Nachfolger ab, der dann zusehen soll, wie man in der heutigen Zeit eine so große Firma leitet. Dann, so hoffe ich, werde ich mehr Zeit für dich haben, und wir können noch genug reisen und uns die ganze Welt anschauen“. 

„Das sagst du mir seit fünf Jahren, ich glaube schon nicht mehr daran. Seit fünfzehn Jahren bin ich mit dir verheiratet und war immer für dich da, jetzt endlich muss mal Schluss sein. Ich habe genug von deinen Versprechungen, es reicht mir“, erwiderte die sichtlich erregte Frau mit funkelnden Augen, die sich im verzerrten Gesicht übergroß weiteten. 

„Liebe Danuta, ich kann dich nicht dazu zwingen mir zu glauben, aber eines sollst du wissen, ich habe dich aus Liebe geheiratet, und ich werde dich sehr, sehr vermissen, wenn du unser gemeinsam erarbeitetes schönes Heim verlässt.“

Die Angesprochene wandte sich erbost ab, verzog ihr ungeschminktes Gesicht und verschwand im Schlafzimmer. Aufseufzend setzte sie sich auf den Bettrand, stützte ihren mit dunklen Haaren geschmückten Kopf in beide Hände und wartete bis ihr Mann die Wohnung verlassen hatte. Ein Buch in deutscher Sprache fiel herunter, und als sich Frau Tegami danach bückte, sah sie ein Lesezeichen mit dem Foto eines nicht mehr jungen Mannes, den sie in Tokio kennen gelernt hatte. Sie entzifferte mühsam die lateinischen Schriftzeichen und murmelte leise. Müller Alfred, Berlin - Deutschland. 

„Ah, das ist ja der Deutsche, der chinesisch und japanisch lernen wollte, ein interessanter Mann, ob ich den noch mal wieder sehen werde?“ fragte sie sich ungewollt, „es wäre schön, dann könnte ich auch meine Deutschkenntnisse erweitern und sicherlich mit einem intelligenten Mann geistreiche Konversation führen“. 

Sie gab sich einen Ruck, stellte das Buch mit dem Erinnerungsfoto in den Bücherschrank zurück, zog die einer Hälfte der Fen­stergardine zurück und erblickte im spärlichen Morgenlicht ihren Mann, wie er recht forsch zum nahen Bürohaus eilte. 

Der tägliche Gang zum mehrstöckigen Hochhaus, wo Dr. Tegami, der über mehrere Tausend Angestellte die Verantwortung trug, war für ihn ein paar Minuten Zeit des Nachdenkens zwischen den privaten und beruflichen Sorgen. Doch sooft er sich auch vornahm, er konnte sich nicht aufraffen, das Berufliche vom Privaten zu trennen. Düstere Gedanken und ungute Vorahnungen verfolgten ihn in diesen Minuten des Alleinseins, bis in sein Arbeitszimmer hinein. 

Dr. Tegami überschritt die wenigen Stufen zu einer gläsernen Eingangstür, zu einem aus Stahl und Marmor gebauten hohen Bürogebäudes, die sich selbsttätig öffnete. Der Nachtportier musterte den frühzeitigen Ankömmling, als dieser an der Pförtnerloge vorbei wollte. Mit bewundernden Blicken sah er die schnellen, kraftvollen Schritte seines obersten Chefs. Schon von weitem rief er durch das halb geöffnete Panoramafenster: 

„Einen wunderschönen, guten Morgen, Herr Direktor. Sie sind heute wieder als erster hier, kann ich etwas für Sie tun?“

Der ältliche Japaner beeilte sich, um dem Chef die Tür zum Personenaufzug zu öffnen. 

Ein knappes: „Danke, ich schaffe es schon allein“, formten die schmalen Lippen des Angesprochenen. Seine Backenknochen mit dem kräftigen eigenwilligen Kinn erstarrten im freundlichen japanischen Lächeln. Die Gesichtszüge und das sichere Auftreten passten gut zur äußeren Erscheinung des Schreitenden, der dem Pförtner Achtung und Respekt abverlangte. Der Generaldirektor hatte es heute besonders eilig. In Gedanken war er bei einem Vorhaben, das er mit leitenden Angestellten und den Herren des Vorstands besprechen wollte. Mit raschen Schritten ging er zum Aufzug, drückte auf einen roten Knopf, der Lift schoss leise summend empor, um auf der fünften Etage anzuhalten. Er ging ein paar Schritte auf den Flur entlang, zog ei­ne Chipmarke aus der Seitentasche, steck­te sie in einen schma­len Spalt und öffne­te eine große schall­dich­te Tür, die in das Chefzimmer führ­te, das Heiligtum des ganzen Werkes. Er schaltete die Deckenbeleuchtung ein, musterte die moderne Büroeinrichtung und ließ sich aufseufzend in einen weichen Ledersessel sinken. Danach drückte er auf einen blauen Knopf an der Schreibtischlampe, die ein nicht zu helles Licht verbreitete. Er öffnete die oberste Schublade seines breiten Eichenschreibtisches und entnahm ihr eine rote Mappe, die er abwägend vor sich hinlegte. Die losen Blätter enthielten das Versammlungsprotokoll der letzten Vorstandssitzung, das er nochmals durchlesen wollte. Doch nach den ersten Sätzen wanderten seine Gedanken ungewollt zum hässlichen Wortwechsel mit seiner Frau am frühen Morgen. 

„Was musst du schon so frühzeitig ins Büro laufen?“ rief sie ihm gehässig nach, als er grußlos zur Wohnzimmertür eilte, „kümmere du dich lieber um einen Nachkommen! Ich sage es dir zum letzten Mal, ein Leben mit dir, das halte ich nicht mehr aus. Mich siehst du nicht so schnell wieder.“ 

Nachdenklich strich sich Dr. Tegami über das dunkle, fast schwarze Haar, und murmelte unhörbar: 

„Ach, was, ich habe wichtigeres zu tun, als mich über die Nörgeleien meiner Frau aufzuregen, soll sie doch machen, was sie will, ich kann ihr nicht helfen“. 

Gedankenversunken zog er einige Schriftstücke aus der umfangreichen Aktenmappe und begann zu lesen. Nach etwa einer halben Stunde, nahm er seine Brille von den Augen, hauchte sie an, und reinigte sie mit einem Leinentuch. Er streckte sich aufrichtend, zuckte mit den Achseln, und wählte die Nummer zum Zimmer seiner Sekretärin. 

Die nicht mehr junge Frau Usagi, eine überaus fleißige und verschwiegene Angestellte, hatte sich gerade an ihrem Arbeitsplatz niedergelassen, als das Telefon schell­te. Hastig griff sie nach dem Hörer und lauschte gespannt in die Muschel. Für ein paar Sekunden blieb es still, und kaum hatte die Angewählte sich mit ihrem Namen gemeldet, vernahm sie die unpersönliche Stimme ihre Chefs, der, ohne seinen Namen zu nennen zu sprechen begann. „Guten Morgen, Frau Usagi. Ich wünsche, dass die Herren vom Vorstand ins Sitzungszimmer gebeten werden, am besten noch heute Nachmittag um vierzehn Uhr. Außerdem möchte ich, dass die leitenden Direktoren der Produktionsabteilung, des Verkaufs und der Marketingabteilung anwesend sind“. 

„Jawohl, Herr Direktor, ich werde die betroffenen Herren sofort benachrichtigen, sobald ich sie erreichen kann“. 

Die Stimme im Hörer verstummte, und die Vorzimmerdame strich sich über glattes braunes Haar, das ihr fast bis zu den Schultern reichte. Ihre leicht schräg gestellten Augen blickten prüfend in einen Handspiegel. Die blütenweiße Seidenbluse stand ihr makellos, der Halskragen hoch geschlossen, die Ärmel leicht eingeschlagen, aus denen braune, gesund aussehende Arme mit schmalen Fingern herausschauten, die auf den Tasten eines Tischcomputers ruhten. 

„Was mag heute los sein, warum ist der »Alte« so kurz angebunden?“ fragte sie sich selbstredend. „Vielleicht hat er wieder Ärger mit seiner lebenslustigen Frau, was mich nicht wundert, wenn er sich so unnahbar gibt, wie er sich heute wieder aufführt.“

Die resolute Sekretärin wusste aus langer Erfahrung, wenn der Direktor am Montagmorgen schlecht gelaunt war, dann bahnte sich nichts Gutes an. Vorsicht und höchste Aufmerksamkeit waren geboten! Dass der wahre Grund für die schlechte Laune des Chefs mit den Problemen in der Firma zu tun hatte, daran dachte sie nicht. 

Es waren keine fünf Minuten vergangen, als erneut die Stimme des Chefs aus der Sprechanlage erklang. „Frau Usagi, machen Sie mir bitte einen starken Kaffee, noch vor der Vorstandssitzung, wenn möglich.“

„Geht in Ordnung, Herr Direktor, soll ich den Kaffee mit Zucker in Ihr Büro bringen?" 

„Ich bitte darum, vielleicht auch eine Kleinigkeit dazu, aber keine Kartoffelchips, bitte“. 

Die Chefsekretärin hatte sich an die wortkarge Art ihres Chefs gewöhnt. Sie sprang auf, eilte in die nahe Küche und holte das Gewünschte. Nachdem sie leise angeklopft hatte, betrat sie behutsam mit einem Tablett in der rechten Hand haltend, auf dem sich Schokoladenplätzchen mit dem Kaffee befanden, das Chefzimmer, und stellte es auf dem blumengeschmückten Schreibtisch ab. Der Chef, in seinen Akten vertieft, murmelte ein undeutliches: „Ich danke sehr“, und Frau Usagi kehrte an ihren Arbeitsplatz zurück. Nach zehn Minuten leuchtete die Sprechanlage erneut auf. Die Sekretärin meldete sich still aufseufzend. „Was darf ich für Sie tun, Herr Direktor?“ Atempause. Ohne den Wunsch des Chefs abzuwarten fuhr sie fort: „Ich wollte Ihnen noch sagen, dass die Herren vom Vorstand sich pünktlich um zwei Uhr im großen Sitzungssaal mit Arbeitsunterlagen einfinden werden“. 

„Sehr gut, stellen Sie bitte eine Flasche Mineralwasser auf meinen Platz, ich werde rechtzeitig zu erscheinen. Ich erwarte, dass Sie und auch Ihre Hilfe Frau Niebo an der Sitzung teilnehmen, um mir nachher den genauen Bericht vom Verlauf der Sitzung vorzulegen.“

„Jawohl, Herr Direktor, ich kümmere mich darum, und wenn Sie nichts dagegen haben, dann bringe ich zur Sitzung einen Kassettenrecorder mit, um alle wichtigen Beschlüsse festzuhalten.“

„Aber schalten Sie den Recorder so ein, dass es keiner sieht, ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass meine Mitarbeiter überwacht werden“. 

„Sie können sich auf mich verlassen“, erwiderte Frau Usagi süffisant lächelnd. Die rote Anzeige der Sprechanlage erlosch, und die Sekretärin lehnte sich aufatmend zurück. 

Im modern eingerichteten Sitzungssaal, der ganz in blau gehalten war, begann eine kurze Zeit später die außerplanmäßig einberufene Vorstandssitzung. Nicht nur die Herren vom Vorstand waren vollzählig anwesend, sondern auch alle leitenden Direktoren. Im abgedunkelten und mit Wandmalereien verzierten Saal, der mit weichen Ledersesseln ausgestattet war herrschte gespannte Ruhe. Dr. Tegami trat ein, eilte zum erhöhten Rednerpult und begann mit leiser, aber klarer Stimme. 

„Liebe Kollegen, ich begrüße Sie in einer Zeit, die für unsere Nippon-Autowerke mit großen Schwierigkeiten verbunden sind“. 

Die Herren vom Vorstand, etwa ein Dutzend korrekt gekleideter älterer Herren, die schon jahrzehntelang den Auto-Werken ange­hörten, vernahmen mit angespannter Auf­mer­ksamkeit die Worte ihres Chefs, der ab und zu auf sein Redemanuskript schaute, um genaue Produktionszahlen aus den Jahresbilanzen vorzulesen. 

„Ich habe die Zahlen für die Anzahl von Personenwagen, die in den letzten zehn Jahren fabriziert wurden heraussuchen lassen und festgestellt, dass die Anzahl der fertig gestellten Kraftfahrzeuge seit geraumer Zeit abnimmt. Die Kosten pro Fertigungseinheit sind in sehr hohem Maße gesenkt worden, aber eine Stückzahlsteigerung ist nicht eingetreten. Die einzelnen Gründe, die ich nicht besonders erwähnen möchte, sind Ihnen sicherlich bekannt. Das sollte uns aber nicht verleiten, schon gar nicht mit Schuldzuweisungen, die Ursachen in der allgemeinen Weltrezession oder bei der Konkurrenz zu suchen. Im Gegenteil, wir sollten uns gewaltig anstrengen, wettbewerbsfähig zu bleiben, und mit allen Mitteln versuchen noch preisgünstiger zu produzieren. Die Konkurrenz in Amerika und in Europa ist dabei, uns zu überflügeln. Dies dürfen wir auf keinen Fall zulassen. Es gilt, den Absatz aller unserer Exportkraftfahrzeuge zu steigern, wir müssen eine neue Kampagne für die Erhöhung der Verkaufszahlen starten.“

Dr. Tegami machte eine kleine Pause, blickte seine Mitarbeiter forschend in die Augen und fuhr fort. 

„Ich habe beschlossen, morgen nach Washington zu fliegen, um mit amerikanischen Regierungsstellen über Exporterleichterungen zu sprechen. Ich erwarte auf jeden Fall, dass während meiner Abwesenheit alle von ihnen seine Pflichten nach besten Kräften erfüllen, damit die langjährige Tradition der erfolgreichen Herstellung von Kraftfahrzeugen auch in den nächsten Jahrzehnten bestehen bleibt“.  Freundlich lächelnd nickten die Anwesenden zustimmend und geduldeten sich, bis der Chef seine mahnende Rede beendete. Nach knapp 15 Minuten hielt er inne, verbeugte sich zweimal, und schickte sich an den Sitzungssaal zu verlassen. Die Herren der Firmenleitung erhoben sich von den Sitzplätzen, neigten den Kopf vor dem ihrem obersten Chef, um danach sich ebenfalls nach rechts und links vor den einzelnen Kollegen zu verbeugen. Wenig später verließen sie leise murmelnd den Versammlungsraum. Manche von ihnen äußerten Zweifel am Gelingen der schwierigen Mission ihres Chefs, andere wünschten ihm alsbald Erfolg in der Hoffnung, dass ein kleines Wunder geschehen würde. Dass sogar ein großes „Wunder“ eintreten sollte, an das glaubte zu diesem Zeitpunkt niemand.

Während sich Dr. Tegami um den Absatz von Erzeugnissen der Nippon-Werke sorgte, plante seine Frau die Auflösung der langjährigen Ehegemeinschaft. Ihr Äußeres war typisch japanisch. Ihr zarter Teint kontrastierte mit den dunklen Haaren in ihrem ovalen Gesicht. Schlank, mit schön geformten Beinen, die in leichten Hausschuhen steckten, blickte sie aus mandelförmig, schräg gestellten Augen in die Ferne. Sie hatte sich von ihrem Mann immer wieder vertrösten lassen. 

„Warte noch ein bisschen“, hatte er sie mehrmals gebeten und sie liebevoll angeschaut. „Wenn ich im nächsten Monat eine Bilanz mit schwarzen Zahlen vorweisen kann, dann bin ich über den Berg. Dann kann mir nichts mehr passieren, ich gebe die Leitung der Firma in jüngere Hände, dann verreisen wir dorthin, wohin du gern möchtest. Ich habe mich genug abgerackert, jetzt sollen einmal andere sehen, wie sie mit der Führung der Firma klarkommen“. 

„Hör schon auf, ich kann es nicht mehr hören“, widersprach sie meistens daraufhin gelangweilt. 

„Wie oft und wie lange willst du mich noch vertrösten? Ich sitze allein zu Hause herum, ich habe es satt noch länger zu warten, meine Geduld geht zu Ende“. 

Am selben Tag, an dem Dr. Tegami die äußerst wichtige Vorstandssitzung leitete, war seine Frau damit beschäftigt, der langjährigen Ehegemeinschaft zu entfliehen. Die sich jung fühlende Frau, mit schmalem, reizvollen Gesicht, mit vollen Lippen und tadellosen Zahnreihen, schlug am frühen Morgen, als ihr Mann zum Dienst gegangen war, die Tür zum Schlafzimmer heftig zu und ließ sich mit auf der Bettkante ihrer zerwühlten Ruhestätte nieder. Sie begann zu überlegen und zögerte noch eine Weile, bis sie sich ruckartig erhob und wie unter Zwang einige Kleider in einen ledernen Reisekoffer hineinstopfte. Sie ergriff Schuhe, Unterwäsche und den nötigen Toilettenzubehör, dazu einen Morgenmantel und ein Paar gefütterte Hausschuhe. Sie vergaß nicht den Reisepass einzustecken, auch nicht die Scheckkarte zum gemeinsamen Bankkonto und versteckte ein Bündel amerikanische Dollarscheine in eine nicht zu große Reisetasche. Nachdem sie sich angekleidet hatte, sah sie in einem dezenten Wollkleid, worüber sie einen modernen Ledermantel trug, noch recht attraktiv aus. Sie schaute noch einmal in alle Zimmer der Wohnung, in der sie viele Jahre lang, ihr sorgenfreies Leben führte. Sie steckte die Haustürschlüssel und einige persönlichen Andenken in eine kleinere Ledertasche und schaute sich noch einmal um, ehe sie die Haustür zuschlug. Sie verließ, wie sie meinte, das Haus für immer. 

„Der soll mir gestohlen bleiben“, murmelte sie selbstredend, „jetzt bin ich frei, jetzt mache ich einmal das, was ich selbst will“. 

Sie hielt ein Taxi an und gab dem Chauffeur mit beherrschter Stimme das Fahrtziel an. Der Fahrer lud den nicht leichten Reisekoffer in den Kofferraum der schweren Limousine, und nach rasantem Start steuerte er die andere Seite des Hafengeländes an. Es dauerte nicht lange, und sie hatten den nicht weit entfernten Flughafen erreicht. Der Chauffeur geleitete die nervöse Japanerin zum Abflugschalter für Auslandsflüge. Dort verlangte sie selbstsicher:  „Ein Ticket nach Berlin in Germany, bitte“. 

Sie war überzeugt, dass sie ihren Mann für immer los wäre. 

Aber das Schicksal sollte mit ihr etwas anderes vorhaben. 

Am Mittwochmorgen, zwei Tage nach der Abreise seiner Ehefrau, begab sich Dr. Tegami ebenfalls zum Flughafen von Osaka und buchte ein Ticket nach Miami auf der Halbinsel Florida. Es fiel ihm nicht leicht seine beruflichen Sorgen wegzustecken, doch er hatte sich vorgenommen, die Flinte nicht so schnell ins Korn zu werfen. 

„Wenn meine Frau mich verlassen hat“, überlegte er trotzig, „dann habe ich Zeit, um mich mit ganzer Kraft für meine Firma einzusetzen. Es wäre doch gelacht, wenn es mir nicht gelänge, eine Lösung meiner Probleme zu finden. Zuerst will ich mein Unternehmen aus den roten Zahlen herausbringen, dann werde ich sehen, wie ich mit meiner Danuta zurechtkomme, um mit ihr mein Zusammenleben neu zu gestalten“. 

Der Flug nach Amerika war für den sorgenvollen Generaldirektor nicht die erste Reise über den weiten Ozean. Die Linienmaschine der Japan-Airlines war nur halb ausgebucht, und sie landete pünktlich um fünf Uhr nachmittags auf dem Flughafen der Millionenstadt Miami. 

Dr. Tegami hatte sich vorgenommen, seinen Freund Mirko Akapi aufzusuchen, den Inhaber einer Auto-Import-Export-Firma. Dieser war nach dem zweiten Weltkrieg nach Amerika ausgewandert, besaß einen amerikanischen Pass und war auf dem besten Wege ein Vermögen zu verdienen. 

Als der Japaner aus dem Flughafengebäude trat, schlug ihm feuchtwarme Luft ins Gesicht, die das Atmen schwer machte. In einer der vielen wartenden Personentaxis ließ sich der Japaner zur Adresse seines Freundes fahren. Dort angekommen, sah er von weitem ein supermodern angelegtes Grundstück mit einem lang gestreckten Bungalow. Ein schmiedeeiserner Zaun sicherte das Anwesen, das im Osten der Hafenstadt, nahe an der langen Meeresküste lag. Auf einem Messingschild entzifferte er: Dr. jur. Mirko Akapi A. E. I. 

Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage und wartete. Nachdem er seinen Namen genannt hatte, öffnete sich das Gartentor geräuschlos. Ein nicht mehr junger, gut aussehender Mann, mit dunklem Haar und braunen, wachen Augen kam aus dem Haus. Sein Gesicht war länglich geschnitten, und sein durchtrainierter Körper mit dem energischen Kinn im Gesicht, ließ Kraft und Energie vermuten. Nach ein paar raschen, federnden Schritten streckte er beide Hände dem Ankömmling entgegen und rief freudestrahlend: 

„Hi, old fellow, mein lieber Freund, ich begrüße dich - how are you?" 

„Thank you, very well, aber bitte, sprich mit mir japanisch, das ist doch unsere Muttersprache“, erwiderte der Ankömmling freundlich lächelnd. 

Dr. Akapi atmete tief ein und schaute seinem Freund prüfend in die Augen. Dieser klopfte ihm auf die Schultern und zog ihn in den kühlen Hausflur. 

„Komm schnell herein und mache bitte die Tür zu, damit die Hitze nicht hereinströmt, mahnte der Amerikaner breit über das ganze Gesicht grinsend. 

„Stell den Koffer dort in die Ecke und setze dich hin“, fuhr er drängend fort. 

Den Japaner überraschte die Herzlichkeit seines Freundes und etwas unsicher begann er seinen Besuch zu erklären. 

„Ich bin gekommen, um deine Gastfreundschaft in Anspruch zunehmen und möchte gern über einige von meinen Problemen sprechen, vielleicht kannst du mir einen guten Rat geben. Aber auf keinen Fall will ich dir oder deiner Gattin zur Last fallen“. 

  „Ach was, sprich jetzt nicht zwischen Tür und Angel von Problemen, komm erst mal näher in meinen bescheidenen Wigwam und nimm Platz. Du bist doch sicherlich von der weiten Reise müde, ruh dich zuerst einmal aus, dann sehen wir weiter. Meine Frau kann ich dir leider nicht vorstellen, sie ist nach Kalifornien zur Enkelin geflogen. Ich bin allein zu Hause, und du störst mich nicht im Geringsten. Aber zuallererst, was darf ich dir zur Begrüßung anbieten? Möchtest du etwas trinken, oder soll ich meiner Haushälterin bitten, dass sie uns etwas zu essen zubereitet?“

„Nein, nein - kein Alkohol früh am Morgen, das bin ich nicht gewohnt, du hast doch nicht etwa unsere japanischen Sitten vergessen?“

„Nein, nein, zuerst immer die Arbeit und dann das Vergnügen“, erwiderte der Amerikaner verschmitzt lächelnd, „aber ein Schlückchen vom heimatlichen Reiswein, auf unser Wiedersehen und auf unsere Gesundheit, das kann doch nicht schaden?“

Freundschaftlich klopfte er seinem Gast nochmals auf die Schultern und führte ihn in ein großräumiges Zimmer. Nachdem sie auf bequemen Korbsesseln Platz genommen hatten, goss er aus einer grünen Karaffe goldgelben japanischen Wein in zwei kleine Porzellanschalen. Die beiden Freunde erhoben sich, verneigten sich feierlich, berührten sich fast bei der tiefen Verbeugung und ließen, langsam den Begrüßungstrunk in die Kehle rinnen. 

„Wie ich mich freue dich wieder zusehen! Wie lange ist es her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben? Fünf oder sechs Jahre, vielleicht auch noch mehr? Ich muss feststellen, du hast dich kaum verändert, du strotzt vor Gesundheit und gutem Aussehen.“

„Vor sieben Jahren war ich hier in Miami auf einem Kongress, damals warst du, glaube ich, noch unverheiratet, und heute hast du, wie ich höre, eine Frau und ein Enkelkind dazu“. 

„Well, yes, von dem erzähle ich dir später“, erwiderte der Amerikaner ausweichend, „zuerst schau dich um, wie ich eingerichtet bin, später habe ich genug Zeit, um dir zuzuhören“. 

Die zwei Freunde, gleich groß und ungefähr gleichen Alters, waren sichtlich erfreut, das Wiedersehen bei guter Gesundheit feiern zu können. Sie setzten sich in die mit Kissen ausgelegte Sessel, die in der Glasveranda standen und tranken in kleinen Schlucken aus dünnen Gläsern. Der Besucher schaute bewundernd in den meisterhaft angelegten Garten, der herrlich blühend durch den aus bunten Schnüren geflochtenen Vorhang zu sehen war. Zwergpinien-Bäumchen und Hibiskussträucher fügten sich wundervoll in die Gartenanlage ein, und man meinte einen kleinen Garten Eden vor sich zu haben. Die Bäume und Sträucher, die üppig wie in einem Park wuchsen, glänzten und wetteiferten im Blühen. Der Amerikaner verharrte nicht lange auf seinem Sitzplatz. Er erhob sich und führte seinen Gast in den Garten hinaus, um ihm einige seltene außerordentlichschöne, exotische Pflanzen zu erklären. 

„Schau dich ruhig in aller Ruhe um, die Gartenanlage ist mein Hobby, die hat mich eine Menge Geld gekostet, aber ich bin mit ihr zufrieden und kann mich hier wohl fühlen“. 

„Diese buschigen Zwergpalmen hier, finde ich besonders schön“, stellte der Japaner mit Bewunderung fest, „auch auf der linken Seite dort hinten die Ecke mit dem Goldfischteich, erinnert mich an japanische Gartenanlagen und passt wunderbar in die Gartenlandschaft. Das muss ein sehr guter Architekt angelegt haben, vermute ich“. 

„Da hast du Recht, wir Amerikaner lieben Blumen, schöne Gartenanlagen und geben dafür enorme Gelder aus“. 

Nach einem fast halbstündigen Rundgang meinte der Hausherr. 

„Lieber Hiromo, komm bitte ins Haus, es ist doch zu warm hier draußen, ich schalte die Klimaanlage ein, damit es im Haus auszuhalten ist, ich schwitze mächtig, du nicht?“

„Doch, doch, aber ich bin fasziniert von dem, was ich hier zu sehen bekomme, so dass ich die Hitze nicht als lästig empfunden habe“. 

Die beiden Freunde streiften ihre Jacken ab, und in aufgerollten Hemdsärmeln, nahmen sie wieder in den Schaukelstühlen Platz, nippten vom süffigen Wein und der Amerikaner fuhr mit seinen Erklärungen fort. 

„Das  Lobenswerte in meinem Zuhause besteht in der Möglichkeit, dass ich leicht den größten Teil meiner Bürotätigkeiten von daheim aus erledigen kann. Ich habe mir eine moderne Computeranlage einbauen lassen, eine praktische Erfindung, die ich unschätzbar finde“. 

„Nicht nur die Amerikaner können die vielseitigen Möglichkeiten des Computerzeitaltersnutzen, sondern auch wir in Japan bedienen uns der Hilfe der Elektronik“, versicherte stolz der japanische Gast. 

„Ich weiß, ich weiß“, erwiderte sein Freund einlenkend, „aber über das wollen wir uns jetzt nicht unterhalten, komm, ich zeige dir noch die Inneneinrichtung von meinem Home, von meinem Haus, das ich mir in den letzten Jahren ganz nach meinen Wünschen geschaffen habe. Schau dich hier ruhig um, und wenn es dir gefällt, dann sag es mir, aber auch kritische Bemerkungen nehme ich gerne an, weil ich, so meine ich, nicht perfekt bin. Du kannst dir im Obergeschoss ein Zimmer aussuchen, wo du die nächsten Tage oder auch Wochen bei mir verbringen kannst, so lang du willst“. 

„Oh, das ist ja großartig, einzigartig, mein alter Freund, ich werde dir so wenig wie möglich zur Last fallen, aber im Moment bin ich leider wirklich gezwungen, deine Gastfreundschaft anzunehmen“. 

„Schon gut, schon gut, my dear friend. Und was die Probleme anbetrifft, die du mir zu sagen hast, darüber reden wir später“. 

Der Japaner blickte seinen Freund dankbar in die graubraunen Augen und seufzte befreit. Nach kurzem Sinnieren sprudelte es aus ihm freudig heraus. „Das ist ja wunderbar, mein lieber Mirko, ich bitte dich, sag` zu mir Hiromo, so heiße ich mit dem Vornamen, wenn ich dich daran erinnern darf. Ich sage, du wohnst hier in einer herrlichen Umgebung, wie in einem kleinen Paradies. Nicht weit von der Stadt und trotzdem sehr ruhig. Selbstverständlich nehme ich dein Angebot an, vorausgesetzt deine Frau ist damit einverstanden.“

„Darum mache dir keine Sorgen, lieber Hiromo, damit muss ich klarkommen“. 

Der letzte Satz des Freundes klang zweideutig, doch der japanische Besucher konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass Mirkos Frau, eine emanzipierte Amerikanerin, mit dem Besuch nicht ganz so zufrieden war, wie ihm sein Freund versicherte. 

Hiromo, der die verdrängte Reisemüdigkeit verspürte, trat etwas unsicher von einem Fuß auf den anderen und hielt leise gähnend die Hand vor den Mund. Mit halblauter Stimme entgegnete er einlenkend: „Entschuldige mich bitte Mirko, wenn ich mich nach der Reise etwas erfrischen möchte. Ich nehme mein Reisegepäck ins äußerste kleine Zimmer links vom Treppenaufgang, wenn es dir recht ist, und lege mich auf die Balkonliege, um mich etwas auszuruhen. Zum Dinner möchte ich dich ins Hilton-Hotel einladen, vielleicht erst in den frühen Abendstunden, okay?" 

„Okay, okay, nehme dir ruhig Zeit, ich muss meine Eßgewohnheiten sowieso wegen meiner Veranlagung zum Dickwerden verändern, und je länger ich Pausen einlege, ohne zu essen, desto besser soll es für meine Gesundheit sein. Normalerweise gehe ich nicht vor neun Uhr abends aus dem Haus, und wenn, dann nur, um eine Kleinigkeit beim Burger-Inn zu essen.“

„Ach was, wir feiern heute unser Wiedersehen, also, sei bereit, bis bald. Ein Moment noch, ehe ich es vergesse, vielleicht fährst du mich mit dem Wagen zum Hilton, ich kenne mich in Miami leider nicht so gut aus.“

In den nächsten zwei Stunden war vom japanischen Gast nichts zu hören noch zu sehen. Nachdem er sich im Gästebadezimmer erfrischt hatte, ging er leise die Treppe herunter und fand den amerikanischen Freund vor seiner Doppelgarage. Er öffnete gerade das große Tor und strich liebevoll über einen schnellen Jaguar Wagen. 

„Na, hast du dich gut von den Reisestrapazen erholt?“ rief ihm der Amerikaner entgegen. 

„Komm, ich zeige dir einen Straßenkreuzer, ich hätte gern deine Meinung über das neueste Modell erfahren“. 

„Oh, das ist ein schnittiges Rennauto, wie viel PS hat der Wagen?" 

„Er kommt bis auf 400 Km Geschwindigkeit, bei 385 PS. Leider kann ich sie niemals auf unseren Highways ausfahren“. 

„Macht nichts, bei uns in Japan dürfen wir auch nicht so schnell fahren wie wir gern möchten, es gibt ebenfalls Geschwindigkeitseinschränkungen“. 

„Ich fahre selbstverständlich mit dir zum Abendessen, ab und zu muss ich mein Auto bewegen, sonst rostet es mir noch ein“. 

„Mirko, lieber Freund, ich habe nichts dagegen, wenn wir bald zu unserem Abendessen fahren“, unterbrach ihn der Japaner und blickte sich suchend um. Ein Wagen des amerikanischen Freundes stand schon startbereit auf der Garageneinfahrt und Mirko öffnete die Tür zum Beifahrersitz und sagte auffordernd: „Hiromo, schnalle dich bitte an, denn wir fahren ein Stück auf dem Highway. Das Hilton-Hotel befindet sich auf der anderen Kanalseite der Stadt, nicht weit vom Container Hafen. 

Zügig fädelte sich der schnittige Straßenkreuzer in den starken Feierabendverkehr ein, und nach kaum einer Viertelstunde empfing sie der Empfangschef persönlich. Dieser geleitete sie zum Speiserestaurant, in dem schon an den meisten Tische Gäste Platz genommen hatten. Doch ein schwarz gekleideter Oberkellner begleitete die neu angelangten Abendgäste zu einem Ecktisch, von wo aus sie den wunderbaren Ausblick auf das nahe Meer genießen konnten. Ein Kellner, ein langer weiß gekleideter Neger, fragte diensteifrig. 

„Was darf es für die Herrschaften sein?" 

„Zwei Tagesmenüs bitte, mit viel Gemüse“, bestellte der Japaner, lächelte dabei freundlich und schaute dem schwarzen übergroßen Hotelangestellten erwartungsvoll in die weiß leuchtenden Augen. 

„Sorry, ich wollte sagen, für meinen Freund ein Gedeck und für mich eins, thank you.“

„Und was gedenken die Herren zu trinken?“ fragte der Kellner seinen Unmut unterdrückend. 

„Für mich ein gekühltes Mineralwasser mit Soda, okay? Und was trinkst du lieber Mirko?" 

„Dasselbe, bitte“, erwiderte er, wobei er kurz aufblickte. Der Amerikaner schaute versteckt seinem Freund leicht vorwurfsvoll in die Augen. 

„Du hast mich gar nicht gefragt, ob ich ein ganzes Tagesmenü essen will, aber ich sündige heute mal, denn meine Beate ist weit weg, und du kannst natürlich bestellen, was dir gefällt“. 

„Mein lieber Mirko, warum willst du heute sündigen, welche Bedeutung haben die Worte, meine Beate ist weit weg?“

„Ach, weißt du, meine Frau hat eine Gesundheitsmarotte. Sie meint, nur schlanke Menschen seien gesund. Sie mäkelt an mir herum, sie behauptet, dass ich einen Schmierbauch hätte, dabei fühle ich mich pudelwohl in meiner Haut. Sei froh, dass du zu Hause keinen Aufpasser hast“. 

„Was ich daheim habe, besser gesagt vermisse, davon erzähle ich dir später, jetzt möchte ich mich auf das Essen konzentrieren“ erwiderte der Japaner leicht abweisend. „Nur kurz vorweg gesagt, ich bin jetzt schon fünfzehn Jahre verheiratet, aber seit drei Tagen bin ich solo“. 

Die weiteren Erklärungen des japanischen Freundes wurden durch das Erscheinen des Kellners unterbrochen. Geschickt servierte er die bestellten Speisen und Getränke, wünschte einen „Guten Appetit“ und entfernte sich lautlos. 

„Ah, well, das sieht ja gut aus, einmal ohne Essstäbchen speisen, nur mit Gabel und Messer, das ist eine gelungene Abwechslung!“ rief der Japaner erfreut und bewegte genüsslich seine schmalen Lippen. Nach ein paar Minuten, als er den fast leeren Teller etwas von sich geschoben und sich bequem zurückgelehnt hatte, fuhr er fort. 

„Stell dir vor, meine Danuta ist vorigen Montag ganz plötzlich aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Wir hatten uns nicht einmal besonders gestritten. Mir scheint, sie war mit mir unzufrieden. Erst heute wurde mir bewusst, dass ich große Fehler begangen habe. Die meiste Zeit des Tages habe ich in meinem Firmenbüro verbracht. Ja, und wie es so oft passiert, ein anderer Mann hat ihr den Kopf verdreht. Und du wirst es nicht glauben, es ist ein Deutscher, ein Berliner bei dem, so vermute ich, sie untergetaucht ist. Sie hatte immer ein Faible für die Deutschen, sie lernte sogar ihre Sprache, und jetzt ist sie, so nehme ich an, zu ihm nach Berlin geflogen. Mein größter Fehler war, dass ich im Arbeitseifer mich zu sehr auf die Fabrik konzentriert habe, um die Firmenbilanzen von den roten Zahlen zu befreien“. 

„Und ist dir das gelungen?“ fragte Mirko neugierig und fuhr fort, „ja, ja, das alte Lied, erst viel arbeiten, dann läuft die Frau weg, hoffentlich machst du das Beste daraus! Ich würde nie wieder heiraten“. 

„Ja, das sagst du so leicht dahin, ich hätte es auch lieber, dass es nicht zur Trennung gekommen wäre. Für ein paar Tage oder einen Monat, das könnte ich noch verstehen. Aber für immer, nein, das möchte ich nicht.“

Um seine Gedanken an sein privates Unglück zu verscheuchen, begann er mit nachdenklicher Miene halblaut zu erklären. 

„Weißt du, Mirko, mein alter Freund, dass ich es mir nicht leicht gemacht habe, meine Fabrik den Vizedirektoren zu überlassen, um in Amerika einen Ausweg aus meinen Schwierigkeiten zu suchen“. 

„Ich weiß, ich weiß es noch, japanische Eitelkeit und der Nationalstolz verbieten es, die Hilfe von Fremden anzunehmen, auch wenn es manchmal gar keine anderen Möglichkeiten gibt. Du weißt doch auch, dass ich eine Vertriebsfirma gegründet habe, mit der ich den Import und Export von Erzeugnissen der Autoindustrie manage. An den Verkaufszahlen kann ich ablesen, wie der Absatz weltweit zurückgegangen ist. Es muss etwas geschehen, um die Kraftfahrzeugindustrie aus der Misere zu führen. Die Frage lautet nur: 

„Was soll, und wie soll etwas geschehen?" 

„Ja, das ist es, darüber möchte ich mit dir sprechen. Unser größtes Problem besteht darin: Wir produzieren immer mehr, immer preisgünstigere Autos“, unterbreitete der Japaner seinem Freund, „aber die Nachfrage geht stark zurück, wenn nicht bald etwas geschieht, stehen wir vor dem unmittelbaren Zusammenbruch unserer ganzen Volkswirtschaft“. 

Die in Japanisch geführte Unterhaltung wurde durch die Frage des Weinkellners unterbrochen. 

„Möchten die Herren einen preisgünstigen Rotwein aus Kalifornien probieren, den wir im Angebot haben?“ Die Angesprochenen schauten sich fragend an. 

„Oh - nein, ich danke“, antwortete der Amerikaner ablehnend, „und wie ich meinen Freund kenne, ist er auch kein Weinliebhaber, nicht wahr?" 

Hiromo nickte zustimmend und sprach weiter. „Wenn es dir recht ist, lieber Mirko, so möchte ich heute beizeiten zurückfahren. Von der langen Flugreise habe ich mich noch nicht ganz erholt, ich würde mich freuen, wenn du mich morgen nachmittags zu einer American-Car-Show begleiten würdest, die in der Nähe von Palm Beach stattfindet“. 

„Oh, natürlich, entschuldige dear Hiromo, wenn ich dich zu sehr strapaziere. Ich rufe sofort den Kellner, um zu zahlen“. 

„Die Rechnung bezahle ich, denn ich habe dich zum Essen eingeladen“, erwiderte der japanische Freund, wobei sein freundliches asiatisches Lächeln erstrahlte. 

Die Heimfahrt verzögerte sich, denn die beiden Freunde gerieten in einen Verkehrsstau, der in den Nachtstunden immer wieder für Ärger sorgte. Nach einer halben Stunde stoppte der feudale Bentley-Wagen abrupt an Mirkos Garage, und Hiromo war froh, als der erste Tag bei seinem Freund einen so friedlichen Ausklang gefunden hatte. Er bedankte sich für die Fahrt, wobei er nicht vergaß, eine angenehme Nachtruhe zu wünschen. Als er dann müde im Bett liegend, die abgelaufenen vierundzwanzig Stunden mit den vielfältigen Ereignissen vor seinem geistigen Auge Revue passieren ließ, fühlte er sich irgendwie unglücklich und verlassen. Ein Schlaftrunk wäre ihm lieb gewesen. Lange Stunden konnte er nicht einschlafen. Die ungewohnte Umgebung, das Neue, das auf ihn eingestürzt war, ließ ihn keine Ruhe finden. Zum allem Ärger kam ihm das seltsame Verhalten seiner Frau vom frühen Montagmorgen in den Sinn. Er machte sich Vorwürfe, die ihn noch mehr in Unruhe stürzten. Der Ventilator an der Decke drehte sich unermüdlich, um die Temperatur im Zimmer auf einen erträglichen Stand zu reduzieren. Doch das monotone Brummen des laufenden Motors ließ ihn nicht einschlafen. Es war im Zimmer warm und schwül geworden. Leises unregelmäßiges Klopfen schreckte ihn auf, und er war sofort hellwach. 

„Hallo Hiromo, ich sehe Licht in deinem Zimmer“, hörte er die unterdrückte Stimme seines Freundes,

„kann ich dir helfen, fehlt dir etwas?" 

„Ja, ich bin sehr durstig und hätte gern ein Glas Mineralwasser“. 

„Kein Problem, warte einen Augenblick, ich bringe es dir sofort, ich muss mir nur etwas anziehen“. 

Nach ein paar Minuten war Mirko in kurzer Pyjamahose und nacktem Oberkörper, auf dem überall leichte Schweißtropfen zu sehen waren, wieder im erstickend warmen Zimmer erschienen. In seinen kräftigen mit Muskeln bepackten Armen hielt er eine eisgekühlte Flasche Soda-Wasser mit zwei Trinkgläsern und einer Schale mit frischen Orangen. Er stellte alles sehr vorsichtig auf das Nachtschränkchen aus Mahagoniholz und reichte seinem Freund das Erfrischungsgetränk. 

„Hier, schenke dir ein, soviel du willst, ich trinke auch ein Glas mit dir, denn es ist heute unnatürlich warm. Ich kann selbst nicht schlafen, darf ich mich für ein paar Minuten zu dir setzen?" 

In der Ferne schlug eine Kirchturmglocke die elfte Nachtstunde, als Mirko sich auf einem hölzernen Schaukelstuhl, der neben dem Bett stand, niederließ. Hiromo leerte hastig ein volles Glas frisches Mineralwasser und fing aufatmend zu sprechen an. 

„Das tut gut, das rieselt wie Wein die Kehle hinunter. Ich hätte nie gedacht, dass es in Florida solche lauwarme Nächte gibt. Sie machen müde, aber man kann nicht einschlafen. Ich muss an so vieles denken, dass ich im Moment hellwach bin“. 

„Was lässt dich nicht zur Ruhe kommen? Sag es mir, vielleicht bist du danach ruhiger.“

„Ach, lieber Mirko, das ist lieb von dir, dass du mir helfen willst. Ich war in Gedanken bei meiner letzten Vorstandssitzung, die vor drei Tagen stattfand. Mir kamen Bedenken auf, ob ich richtig handelte, die Probleme der Nippon-Werke mit Hilfe von Amerikanern lösen zu wollen, die doch im Grunde genommen meine Konkurrenten sind“. 

Hiromo hatte sich aufgerichtet, und zog die Nachttischlampe etwas beiseite. Durch das klarsichtige Fenster leuchteten Sterne vom blauen Firmament. Die unzähligen Himmelskörper funkelten am Firmament. Ein Anblick, bei dem man unwillkürlich an die Allmacht eines höheren Wesens erinnert wurde. 

„Ach, wenn wir Menschen auch so friedvoll und so präzise arbeiten könnten, wie die Planeten ihre Bahnen im Weltall ziehen“, fuhr der Japaner nachdenklich fort. 

„Die Wünsche und das Hoffen nutzen wenig, weil immer wieder Zerstörungen und Aufbau im Laufe der Menschheitsgeschichte in fast regelmäßigen Abständen wiederkehrten. Sinnvolle Aufgaben müssten für die Allgemeinheit erfunden werden, nicht nur immer mehr produzieren, um dabei die Umwelt zu zerstören. Ich sehe schwarz und mache mir Sorgen um die Zukunftsaussichten der Weltbevölkerung. Mir ist bewusst, dass die Gründe für die wirtschaftliche Stagnation der Gegenwart in der Vergangenheit zu suchen sind“. 

Wieder unterbrach ihn der Freund. 

„Das musst du mir näher erklären, das verstehe ich nicht ganz, das ist mir zu hoch“. 

„Ja, ja, wir haben den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki überlebt. Aber, ob in Zukunft überhaupt jemand überleben wird, wenn Tausende von Wasserstoffbomben, die in den Arsenalen der Streitkräfte im Westen und im Osten lagern, eines Tages auf die Menschheit niedergehen sollten, das bezweifele ich. Es war doch bisher immer so. 

„Die Kriegszerstörungen wurden in Windeseile beseitigt, es wurden neue Industrieanlagen geschaffen, noch größere und ergiebigere als die alten; neue und gefährlichere Waffen werden hergestellt, aber am Ende muss der Aufbau zum Zusammenbruch führen. Der nächste Krieg ist nach meinem Dafürhalten vorprogrammiert“. 

Hiromo füllte ein zweites Glas mit Mineralwasser und unterdrückte ein müdes Gähnen. Sein Freund schaute ihn voller Mitleid an. 

„Du hast ja recht, doch ich meine, für heute stecken wir am besten diese traurigen Erinnerungen weg, wir wollen versuchen zu schlafen, oder soll ich dir noch länger Gesellschaft leisten?" 

„Natürlich nicht, entschuldige mich, wenn ich dir die Nachtruhe bis jetzt geraubt habe, aber nun ist mir wohler zu Mute, ich bin müde geworden, sorry, gute Nacht lieber Mirko, bis morgen“. 

Während in Florida sich Hiromo zur Ruhe begab, ging im kühlen Berlin die Sonne auf. Durch die Zeitverschiebung von sieben Stunden, waren die getrennten Eheleute auch insoweit weit auseinander, da die Nacht- und Tageszeiten, nicht übereinstimmten. Danuta, die etwas ängstliche Japanerin, wohnte beim Ehepaar Müller, die im Ostteil der ehemaligen Reichshauptstadt ein kleines Einfamilienhaus besaßen. Herr Müller, der zu DDR-Zeiten ein hohes Amt in der Verwaltung ausübte, hatte unter Anderem als Funktionär der örtlichen Parteiführung die Aufgabe gehabt, Genossen aus Rotchina zu betreuen, wenn sie die DDR besuchten. Er war sogar einige Male in Peking gewesen, sprach leidlich die Sprache der chinesischen Parteigenossen und bei einem Besuch von Osaka hatte er Frau Tegami kennen gelernt. Sie hatte ihn für mehrere Tage zu sich genommen, und ihm freie Unterkunft gewährt. Sie tat dies sehr gern, um ihre deutschen Sprachkenntnisse im direkten Gespräch mit einem Mann aus deutschen Landen zu vervollständigen. Herr Müller hatte ihr seine Berliner Adresse gegeben, und sie zu einem Gegenbesuch eingeladen. Jetzt im dritten Jahr nach der Wende, stand Frau Tegami eines Tages mit Koffer und Reisegepäck vor der Tür eines beachtlichen Wohnhauses, das inmitten eines kleinen Gartens im Ostteil von Berlin errichtet worden war. Die Begrüßung war herzlich, und als die Japanerin Frau Müller fragte, ob sie bei ihnen für einige Zeit wohnen könnte, wurde ihr dies ohne weiteres gewährt. 

„Selbstverständlich können Sie bei uns wohnen, Frau Tegami, wir haben oben ein geräumiges, sonniges Zimmer, das steht Ihnen zur Verfügung so lange Sie wollen. Bei uns hat sich ja vieles geändert. Jetzt, wo wir zur BRD gehören, hat sich manches gebessert, aber auch einige Verschlechterungen sind eingetreten“, meinte Herr Müller etwas wehmütig beim gemeinsamen Abendessen. 

„Ich bin gegenwärtig arbeitslos, ich warte auf meinen Rentenbescheid, und wir wissen nicht, wie es weiter gehen soll.“ Frau Tegami, die wissbegierig alle Veränderungen auf der Welt verfolgte, ließ sich in den folgenden Tagen Einzelheiten aus der Zeit der SED-Herrschaft berichten. Manchmal schüttelte sie den Kopf, wenn sie ihrer Meinung nach, Unmögliches vernahm. 

„Da mussten die Leute in Stadt und Land, freiwillige Leistungsverpflichtungen übernehmen, die nie kontrolliert wurden. Kein Wunder, wenn die Produktivität im Vergleich zum Westen nicht standhalten konnte“, stellte sie staunend fest. 

„Aber dafür hatten wir alle Arbeit und Brot“, erwiderte der Villenbesitzer, „keiner brauchte zu hungern, der Staat sorgte vorbildlich für alle“. 

„Wie kann man denn von vorbildlich sprechen, wenn es oft tagelang kein Obst und kein Gemüse in den Geschäften gab, nur zu den hohen Feiertagen wurden Bananen oder Apfelsinen zum Verkauf freigegeben?“

„Ach ja, Frau Tegami, das stimmt schon, das waren aber nur vorübergehende Versorgungsengpässe, die wir mit der Zeit auch überwunden hätten“, mischte sich Frau Müller in die Diskussion ein. 

„Wir konnten damals ruhig schlafen, so viele Verbrecher gab es damals nicht. Auch von Aids und Drogen hatten wir nichts gehört. Heute kann ich mich abends gar nicht allein auf die Straße wagen. Ich muss immer damit rechnen, dass mich jemand überfällt oder niederschlägt“. 

Frau Tegami sah bald ein, dass es keinen Zweck hatte, mit ehemaligen SED-Mitgliedern, über politische Verhältnisse in Ost und West zu diskutieren. Für die Zukunft hatte sie sich vorgenommen, alle Fragen die sich mit Politik befassten, zu vermeiden. Sie wandte sich mehr der deutschen Kultur und Geschichte zu, die, wie sie meinte, viel interessanter wären. 

„Ach, Herr Müller, was mich in Deutschland interessiert, das ist die Tatsache, dass solche berühmten Dichter und Denker wie Goethe und Schiller Werke geschrieben haben, die zur Spitze der Weltliteratur gehören. Wir Japaner, können nichts dergleichen vorweisen. Unsere Poeten sind zu sehr von den Lehren des fernen Ostens durchdrungen, so dass man bei uns keine bedeutenden Werke lesen kann. Dasselbe betrifft auch die Werke von berühmten Musikern, die sich der klassischen Musik zuwandten. Außerdem bin ich bei Ihnen hauptsächlich an praktischen Übungen der deutschen Aussprache interessiert, die mit ihren Ü-und Ä-Buchstaben, sehr schwer für asiatische Menschen auszusprechen sind. Wenn Sie mit mir wenigstens täglich eine Stunde lang üben, meine Deutschkenntnisse zu vervollständigen, dann bin ich gern bereit für Kost und Logis dieselben Preise zu bezahlen, wie es von Touristen gefordert werden. „Nachdem die Familie Müller dies gehört hatte, vermieden sie jegliches weitere politische Gespräch, das zu Meinungsverschiedenheiten und dem damit verbundenen Ärger führen könnte. Neben den intensiven privaten Sprachstudien, besuchte Frau Tegami zusätzlich Vorlesungen an der Humboldt-Universität. Aber die eingeschränkten Studien deutscher Kultur und deutscher Geschichte füllten Frau Tegami nicht aus. Sie fühlte sich oftmals unzufrieden. Ihr Wissensdurst war enorm, konnte aber nicht die innere Zufriedenheit bringen, die sie gern gehabt hätte. Die fremde Umgebung machte ihr mehr zu schaffen, als sie es wahrhaben wollte. Dazu kamen noch, dass für sie zu kalte Klima und die europäische Kost, die ihr nicht besonders zusagten. Manchmal dachte sie zurück an ihre Heimat in Osaka, sie dachte an ihren Mann, den sie heimlich verlassen hatte, um in der Fremde Abstand von den ehelichen Problemen zu gewinnen. Der Stolz und die vermeintlichen Kränkungen durch ihren Ehemann, ließen es aber nicht zu, dass sie ein Lebenszeichen von sich gab. Wochen und Monate vergingen, ohne dass die Eheleute von sich aus Bemühungen unternommen hätten, Kontakte zueinander aufzunehmen. 

Dr. Tegami hatte die erste Nacht im Bungalow seines Freundes schlecht geschlafen. Bekümmert und etwas wehmütig wachte er frühzeitig auf, und wusste im ersten Moment nicht, wo er sich befand. Aber die Tatsache, dass der Morgen hell und warm begann, mit Sonnenschein und blauem Himmel, tröstete ihn darüber hinweg, dass er allein in Amerika das Ziel verfolgte, eine Besserung der wirtschaftlichen Lage in seinem weit verzweigten, umfangreichen Unternehmen herbeizuführen. Durch die heruntergelassenen Jalousien hörte er im Garten Vögel zwitschern, vor dem Schlafzimmerfenster miaute eine Katze und von weitem, hörte er die Glocke einer Kirche, die Morgenmesse einläuten. Hiromo sprang aus dem Bett, streckte paar Mal seine Arme in die Höhe, ging mehrmals in die Kniebeuge und verrichtete danach die Toilette. Im Frühstückszimmer begrüßte ihn sein Freund, der schon am Tisch saß, und auf ihn wartete. 

„Hi, Hiromo, how are you, wie hast du geschlafen?" 

„Nicht besonders gut, ich bin erst am frühen Morgen richtig eingeschlafen“. 

„Oh, das tut mir aber leid, komm, setz` dich hierher, was möchtest du zum Frühstück essen?“ 

„Bei euch in Amerika gibt es leider nicht viel zu wählen, zwei Scheiben Toastbrot mit Marmelade und ein Glas Fruchtsaft.“

„Das ist aber gesund, essen können wir später in Palm-Beach, wenn wir uns die Auto-Car-Show anschauen“. 

„Ach ja, ich interessiere mich sehr dafür und hoffe, dass es dir gelegen kommt“. 

„Nein, nein, ganz und gar nicht, im Gegenteil, ich muss informiert sein, was die Autoindustrie neu auf den Markt gebracht hat. Schließlich arbeite ich ja auch in derselben Branche wie du, nur, ich habe mit der Produktion weniger zu tun, mich interessieren die Absatzmöglichkeiten. Mich interessieren nur der Umsatz und der Gewinn, den ich bei meinen Verkäufen erzielen kann. Mirko schien gut gelaunt zu sein, er strahlte über das ganze Gesicht voller Glück und Zufriedenheit. Dagegen war sein japanischer Freund nahe dran, ihm schon am frühen Morgen seine überaus düsteren Vorahnungen in allen Einzelheiten zu erzählen, wenn er nicht unterbrochen worden wäre. „Entschuldige mich, wenn ich dringend noch einige Telefongespräche erledige, mein Faxgerät tickt eifrig, ich darf meine morgendliche Arbeit nicht vergessen. Du kannst nach dem Frühstück in den Garten oder in die Bibliothek gehen. Lass aber alles stehen und liegen, Juanita, die Haushälterin kommt bald und räumt auf. Ach, und übrigens, erst um zwei Uhr nachmittags fahren wir zum Chrysler-Ford-Ring, dort findet die Car-Show mit einem interessanten Rennen statt“, rief Mirko seinem Freund zu. „Oh, natürlich, selbstverständlich, ich habe vergessen, dass du deine Bürotätigkeiten auch zu Hause erledigen kannst.“ Der Vormittag war schnell vergangen, und die Freunde fuhren so schnell wie möglich auf den High-Way Nummer Eins, um zum Stadion zu gelangen. Von der nahen Atlantikküste wehte eine angenehme Brise, und durch ein geöffnetes Fenster atmeten sie die frische Seeluft. Die Fahrt war von kurzer Dauer, und nur mit Mühe und Not bekamen sie am Ziel einen freien Parkplatz. Hunderte, wenn nicht Tausende von Autos allen Typen und Größen standen auf dem großen Platz herum. Zum Glück kannte Mirko einen Geschäftsfreund von den Chrysler-Werken, und es gelang ihm unschwer, zwei Plätze in der VIP-Loge für seinen japanischen Freund und für sich zu bekommen. 

„Sag mal Mirko, was meinst du“, wandte sich Hiromo an seinen Freund, der unschlüssig ausgestiegen war. „Ich bin hungrig, und wenn es dich nicht stört, so hätte ich es gern, dass wir im Restaurant nebenan jetzt schon anfangen etwas essen. 

„Und ich auch“, lachte Mirko gut gelaunt, „ich weiß nicht wie lange die Show andauert, es ist immer besser gestärkt zu sein“. 

„Du hast wieder mal Recht, komm mit, ich sehe dort zwei freie Plätze am Panoramafenster, da haben wir bestimmt einen guten Überblick auf die Rennpiste. 

„Hiromo und Mirko bestellten ein appetitlich aussehendes Tagesmenü. Das Essen war gut und für amerikanische Verhältnisse preiswert. Die Auto-Show, die um 17 Uhr beginnen sollte, wurde von vielen Zuschauern mit Spannung erwartet. Hiromo nutzte die Gelegenheit, um mit dem Champion-Rennfahrer der Chrysler-Werke zu sprechen. Bald war er in ein Fachgespräch verwickelt, wobei sein Freund interessiert zuhörte. 

„Wissen Sie, Herr Snyder, mich würde interessieren, mit welcher maximalen Geschwindigkeit Sie das Rennen gewinnen wollen?" 

„Das ist gut, lieber Mann, Sie meinen doch nicht etwa, ich bin lebensmüde, die Schnelligkeit ist nicht das Wichtigste beim Rennen, vielmehr wichtiger ist die Geschicklichkeit und die Fähigkeit im richtigen Moment zu bremsen. Wenn es rasend in die Kurve geht, um dann wieder in die richtige Fahrspur zu kommen, da heißt es höllisch aufzupassen“. 

„Entschuldigen Sie Mr. Snyder, my name is Mirko Akapi, mein Freund, mit dem Sie gerade gesprochen haben, produziert japanische Rennautos. Sie haben vielleicht schon von neuen Honda-Rennwagen gehört, die mit tausend PS an den Start gehen“. 

„Damned, das ist mir neu, wir fahren immer noch mit Fünfhunderter-Maschinen und die, so meine ich, sind optimal für unsere Renn-Show.“

„Ich würde Ihnen eine Tausender-Maschine schenken, wenn Sie bereit wären, für unsere Firma aufzutreten“. 

„Darüber lässt sich reden, aber erst nach dem heutigen Rennen, entschuldigen Sie mich bitte, in zehn Minuten muss ich starten.“ Der etwa zwanzigjährige, schlaksige, muskulöse Rennfahrer mit ausdrucksvollen, blauen Augen, mit dem Bart umrandeten Gesicht, das im Sonnenlicht braun glänzte, hob lässig die linke Hand, schob den Kaugummi in eine andere Mundecke, nickte jovial zurück und war in der Menge von Automechanikern und Starthelfern verschwunden. Ein lauter Gong ertönte, und die kurze Eröffnungs-Show begann. Nach amerikanischer Sitte fuhren ein Dutzend hübscher, leicht bekleideter Mädchen auf einem offenen Jeep-Wagen auf die Startbahn und drehten eine Ehrenrunde. Eine Jazz-Band fuhr hinter den Go-Go-Girls her und spielte flotte Melodien. Das amerikanische Sternenbanner wurde von zwei starken „Cowboys“ geschwungen, die auf dem ersten Wagen bei den überaus hübschen Mädchen saßen. Nachdem die Runde beendet war ertönte endlich der Startschuss. 

„Hiromo, pass gut auf“, wandte sich Mirko an den mit einem Fernglas ausgerüsteten Freund, „siehst du - dort links - das Auto mit dem besten Rennfahrer von Amerika?“

„Wo denn? Ich weiß nicht, welches Auto meinst du? Dort rasen drei Wagen, ein roter, ein weißer und einblauer. Welcher soll denn der schnellste sein?“

„Hier im Prospekt steht, dass der berühmte Champion-Fahrer Snyder den roten Wagen fährt“. 

Mirko blickte erstaunt auf seinen Freund, wie er mit wachsendem Interesse das Autorennen verfolgte. Dieser schien zeitweise die Anwesenheit der um ihn herumsitzenden Menschen total vergessen zu haben. Als der Rennfahrer Snyder in einem hoch frisierten Chrysler-Auto vorüberraste, sprang er begeistert auf und rief ihm zu: "Go on, quicker, quicker, du musst gewinnen“. 

Die sonst so übliche japanische Zurückhaltung war bei ihm verschwunden. Er hatte sein Jackett ausgezogen, kletterte nun mit wehenden Hemdsärmeln auf eine niedrige Bank, und wild gestikulierend rief er immer wieder:  

„Nein, nein, so etwas Interessantes, so eine Show ist etwas Einmaliges. Schade, dass wir dies nicht in Japan haben“. 

„Was nicht ist, kann vielleicht eines Tages noch werden“, meinte sein Freund lachend und klopfte ihm zustimmend auf die rechte Schulter. 

Hiromo war in Gedanken weit weg, achtete nicht auf die Worte seines Freundes und erst viel später fielen sie ihm wieder ein, als japanische Rennautos große internationale Siege errangen. Nach dem Ende der Show-Darbietungen, die fast vier Stunden anhielten, war es wieder Hiromo der seinem Freund vorschlug. „Ich bin hungrig und durstig geworden, gibt es hier in der Nähe etwas zu trinken oder vielleicht auch zu essen?" 

„Natürlich, du brauchst nur zu wählen, entweder ein spanisches Speiserestaurant, oder wir fahren zu einem amerikanischem Drive-Inn-Schnellimbiss“. 

„Eine Kleinigkeit von einem Fast-Food-Laden reicht völlig für heute. Nachdem die Car-Show zu Ende war, strömten Tausende Zuschauer zu ihren Autos auf den Parkplätzen. Es sah nach einem heillosen Durcheinander aus. Doch, ein paar junge Einweiser führten die herumlaufenden Showbesucher schnell zu ihren parkenden Autos, die nach einem besonderen System abgestellt worden waren. 

Hiromo begann, immer noch beeindruckt von der erlebten Auto-Schau, ungeduldig mit seiner blauen Krawatte zu spielen und sann vor sich hin. 

„Mir kam vorhin ein Gedanke in den Sinn, besser gesagt ein paar Überlegungen, im Zusammenhang mit der Florida-Auto-Show, dazu möchte ich von dir, gern deine Meinung hören“, wandte er sich schließlich an seinen Freund. 

„Aha, I understand, du möchtest deine Sorgen mit neuen Erkenntnissen von dir geben, und ich soll dir mein Urteil dazu sagen. Hiromo, das mache ich doch gerne, warte noch ein bisschen, bis wir zu Hause sind.“ Doch beim nächsten Motel mit Fast-Food-Self-Service-Verkauf hielten sie an. Ein schwarzer Boy, der als Platzanweiser fungierte, fragte nach den Wünschen den meist hungrigen Gästen. 

„Zweimal etwas Ordentliches zu essen, aber ohne Schweinefleisch, bitte“, bestellte der Japaner, nachdem er den Wagen verlassen hatte, um sich eine Schachtel Zigaretten aus dem Automaten zu ziehen. Nach kaum drei Minuten erhielten sie zwei fertig verpackte Portionen, es gab gegrilltes Hähnchen mit reichlich Pommes-Frites und je einen großen Becher Coca-Cola. Ohne aussteigen zu müssen, wurde ihnen die bestellte Ware bis ans offene Auto gebracht. Sie aßen mit Appetit und bald fühlten sich gestärkt und gesättigt. Hiromo bezahlte, gab reichlich Trinkgeld, und die beiden Freunde fuhren danach zum nächsten Highway. Es war schon kurz nach zehn Uhr, als sie an der Einfahrt zur Doppelgarage des hell erleuchteten Grundstücks des amerikanischen Auto-Importeurs stoppten. 

Hiromo wandte sich mit befreiendem Stöhnen an seinen Freund. „Komm Mirko, lassen wir uns noch etwas auf der Terrasse nieder. Heute ist so ein schöner Abend, den wollen wir genießen und uns etwas entspannen.“

„Sofort, a moment please, ich hole uns nur etwas zu trinken, dann kannst du mit deinen Überlegungen losschießen“, lächelte Mirko verständnisvoll. Er mixte seinem Freund und sich selbst einen Cuba-Libre-Drink, eisgekühlt mit Barbados-Rum und Coca-Cola. Anschließend setzten sie sich in bequeme Schaukelstühle und streckten die Beine von sich. In kurzer Hose und T-Shirts bekleidet, sahen sie wie Touristen aus, die vor dem Haus sitzend den herabsinkenden Abend genießen. 

„Nun fange schon an, erzähle mir, was für Überlegungen hast du gehabt, du machst mich direkt neugierig“, bedrängte Mirko den Gegenüber. Hiromo räusperte sich, nippte leicht am Brandy-Glas und, nachdem er sich bequem zurückgelehnt hatte, begann er mit sehnsuchtsvoller Stimme. 

„Wie schön könnte es auf der Welt sein, wenn es nicht immer wieder Kriege gäbe, wenn man die Arbeitslosigkeit und die Bevölkerungsexplosion in den Griff bekäme. Weißt du, dass jedes Jahr etwa einhundert Millionen Menschen mehr auf der Welt geboren werden, als es Todesfälle gibt? Und der größte Teil wird in den armen, unterentwickelten Ländern geboren. Dort sollte man zuerst beginnen die Menschen zu beschäftigen, man müsste ihnen Verdienstmöglichkeiten geben, damit sie sich das Nötigste zum Lebensunterhalt kaufen könnten. Dann wird auch die ungehinderte Vermehrung zu stoppen sein.“

„Und wie willst du das schaffen?“ unterbrach Mirko das Gespräch seines Freundes. 

„Alle Politiker wissen es, reden viel darüber, aber getan wird wenig, man kann sagen gar nichts. Solange die Weltgeschichte besteht, gab es immer wieder Kriege und die wird es auch weiterhin geben.“

„Wie wäre es, wenn man Kriege in Kriegsspiele umwandeln könnte, wie die „alten Römer“ es getan haben. Sie veranstalteten in ihren großartigen Amphibientheatern Zirkusspiele. Die Leute, ob groß oder klein, wurden regelmäßig in Sportstadien eingeladen, dort reagierten sie ihre Aggressionen ab, der Friede im römischen Imperium war für viele Jahre gesichert“. 

„Es gab aber auch bei ihnen Kriege, wie zum Beispiel mit den Germanen, es gab Christenverfolgungen, das Römische Reich ist doch letzten Endes auch untergegangen, nicht wahr?“

„Ja, sicher, das stimmt schon, aber alles verlief in geregelten Bahnen. Der Kaiser als oberster Feldherr, veranstaltete Kriegsspiele, alle waren begeistert und ließen davon ab, sich selber zu zerfleischen. Man muss das Volk für Dinge begeistern, die nicht nur im Wettrüsten besteht, um bei der nächsten Gelegenheit den Nachbarn zu überfallen“. 

„Aber wie sollen die bestehenden immensen Waffenarsenale abgebaut werden? Womit sollen sich die Leute beschäftigen, die nichts anderes gelernt haben, als Kriege zu führen?" 

„Das ist doch kein Problem, sie können weiter kriegerische Überfälle vom Zaun brechen, aber im Rahmen von Kriegsspielen, anders ausgedrückt, in sportähnlichem Wettschießen, bei dem der Bessere, der Klügere oder der Schnellere gewinnen sollte“. 

„Und wie sollen die Kriegsspiele finanziert werden, wer soll die Kosten tragen?" 

„So wie bei den Fußballspielen, zuerst durch die teuren Eintrittsgelder der Sportbegeisterten. Es werden bestimmt sich Sponsoren finden, die Gelder investieren um die Vermarktung von Werbeflächen zu betreiben. Während den Veranstaltungen könnte man doch viel Geld verdienen, nicht nur durch die Vermietung von Werbeflächen, sondern auch durch den Verkauf von Speisen und Getränken und von einfallreichen Memory-Artikeln. Man müsste eine Gesellschaft ins Leben rufen, einen Verein gründen, der sich mit der Ausrichtung von unblutigen Kriegswettspielen befassen sollte. Die Wettkämpfe sollten werbewirksam in allen Massenmedien gebracht werden. Ich denke an Live-Übertragungen von interessanten, Länder umfassenden Wettkämpfen. Um Kriegsspiele möglichst naturgetreu zu veranstalten, müsste die Elektronik-Industrie einige Computer gesteuerten Neuerungen an allen Kriegsgeräten anbringen, um getroffene und ausgeschiedene Kriegsspielteilnehmer zu erkennen. Es sollte aber keine Verwundete und Tote geben, sondern alle Spielteilnehmer sollten wie professionelle Schauspieler agieren, das heißt naturgetreu spielen, damit die Zuschauer von den Veranstaltungen begeistert sind“. 

„Und wer soll die Spiele überwachen, wer sorgt für friedliche Vorstellungen? Wenn es heutzutage bei manchen Fußballspielen Tote und Verletzte gibt, was wird geschehen, wenn es knallt wie im richtigen Krieg?“ unterbrach Mirko den Redefluss seines Freundes. 

Hiromo fuhr unbeirrt fort: „Eine internationale Jury sollte für den Ablauf der Kriegsspiele zuständig sein. Unabhängige Schiedsrichter sollten Siegerehrungen vorschlagen, die einzelnen Teams für die Wettkämpfe bestimmen, und immer wieder abwechslungsreiche Spiele organisieren. Die todbringenden Kriegsgeräte selbst, alle toten Gegenstände könnten dabei vernichtet werden, besser noch gesagt, sie sollten vernichtet werden“. 

„Warum denn das? Das verstehe ich nicht ganz“, fragte Mirko. Er schüttelte heftig den Kopf. 

„Wenn viel vernichtet wird, muss auch wieder viel aufgebaut werden, das bringt Arbeit für viele Menschen, die sich für das verdiente Geld wiederum lebensnotwendige Güter kaufen könnten. Es war doch bisher immer so. Nach Kriegszerstörungen, folgte der rasche Wiederaufbau, der wieder Neid und Hass erzeugte, um bei der nächsten Gelegenheit einen neuen Krieg vom Zaun zu brechen“. 

Hiromo wurde mit seinen Ausführungen immer lebhafter, in Gedanken versunken sah er die Zukunft sonnenklar im rosaroten Licht. 

„Ich habe es“, rief er freudestrahlend, „Kriegsspiele richtig organisiert und wirklichkeitsnah durchgeführt, das ist die Rettung für die Menschheit in der nahen und fernen Zukunft. Je mehr durch Spiele vernichtet wird, desto schneller wird die Arbeitslosigkeit und die Armut auf der Welt beseitigt. Einsetzender allgemeiner Wohlstand in den Entwicklungsländern bedeutet gleichzeitig Rückgang der Geburtenrate, wodurch der Reichtum immer noch schneller zunimmt, bis am Ende Arbeitslosigkeit und Armut verschwunden sind. Ein Neubeginn in den allgemeinen menschlichen und Welt umfassenden zwischenstaatlichen Beziehungen sollte den lang ersehnten dauerhaften Frieden schaffen. Das ist die Rettung für alle Völker der Erde, ohne Rücksicht auf die Hautfarbe der Millionen von Menschen, die in den unterschiedlichsten Gesellschaftssystemen leben“. 

„Deine Zukunftsvisionen klingen nicht schlecht, nur wer soll damit anfangen sie zu verwirklichen, wer macht den ersten Schritt?" 

„Wir machen es“, rief Hiromo mit überlauter, freudiger Stimme, „du als Amerikaner kannst all deine Fähigkeiten und Möglichkeiten einbringen, um zu versuchen, die Welt besser und friedvoller zu gestalten.“ Weniger euphorisch gestimmt konterte Mirko. 

„Und wo, und wie gedenkst du den Neubeginn zu starten?“

„Offen gestanden, das muss ich mir noch gut überlegen, im Moment sehe ich vor meinem geistigen Auge die Sonne im Osten symbolisch aufgehen. Ein wunderschönes Morgenrot, ein neuer Tag beginnt. So sollte es auch nach meinen Vorstellungen sein, die „Aktion Morgenrot“ als „Neubeginn“ dargestellt, so sollte unser Unternehmen heißen. Das Morgenrot als Zeichen eines Neubeginns wird der Menschheit Frieden und Arbeit bringen“. 

„Und wie soll das geschehen?“ erwiderte Mirko ungläubig“. 

Wenn wir unsere Rennautos mit der nötigen Elektronik ausrüsten und die Wagen mit Düsenantrieb versehen könnten, damit sie sich wie Flugzeuge vom Erdboden abheben könnten, dann hätten wir bestimmt eine große Zuschauermenge gewonnen, die nicht nur die Wett-Spiele anschauen, sondern die auch bereit sind, solche fliegenden Autos zu kaufen. Das Organisieren von internationalen Wettkampf-Spielen, ähnlich wie die den Fußballwettkämpfen, wäre der zweite Schritt. Die internationalen Wettkämpfe, an denen auch zu einem späteren Zeitpunkt richtige Flugzeuge, Panzerfahrzeuge und Schiffe teilnehmen könnten, werden unmerklich schrittweise in Kriegsspiele umgewandelt“. 

Hiromo, der sonst so beherrschte Japaner, sprach immer lebhafter, er sah Visionen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt für nicht realisierbar erschienen. Die Zukunft sollte aber zeigen, dass mit Geld und gutem Organisationstalent viel erreicht werden kann, schneller als es für möglich gehalten wurde. Mirko hörte ihm nachdenklich zu, als sein Freund begeistert mit seinen Planungen fort fuhr. 

„Bei richtigen organisierten Werbemaßnahmen, die von allen Massenmedien verbreitet werden, müsste es doch möglich sein, die Menschenmassen für einzelne Kriegswettkämpfe so zu begeistern, dass bei ihnen echte patriotische Gefühle für Volk und Vaterland entstünden. Der Eindruck von kriegerischen Auseinandersetzungen, die nur gespielt werden, soll beim unbefangenen Zuschauer erst gar nicht aufkommen. Die Menschen von heute werden durch das Fernsehen mit Bildern von Krieg, Katastrophen, Raub, Mord und Totschlag überflutet, dass sie es gar nicht merken werden, wenn ein neuer Krieg im Lande XYZ nur gespielt wird. Ich meine, dass alles eine Sache des Geldes ist. Gute Schauspieler, die als Kriegshelden natürlich viel verdienen müssen, sind in jedem Land zu finden. Ehemalige Generäle und Kriegsveteranen werden sich darum reißen, eine gut bezahlte Rolle in der nächsten Kriegsspiel-Show zu bekommen. Wenn an Statisten und echtem Kriegsmaterial nicht gespart wird, wobei auch ganze Städte unter Umständen zerstört werden, um später noch schöner aufgebaut zu werden, dann sind wir fast am Ziele meiner Überlegungen. Noch einmal kurz zusammen gefasst: Alles kostet Geld und muss natürlich bezahlt werden. Wenn früher der unschuldige Bürger sein Leben für das Vaterland gezwungenermaßen hingeben musste, ob er wollte oder nicht, so sollte in Zukunft eine Armee von Statisten, ich will nicht sagen Berufskriegern, den Leuten die Langeweile vertreiben. Die Werbeeinnahmen werden beträchtlich sein, die Wirtschaft wird angekurbelt, ganz neue Industriezweige werden entstehen. Alles sollte gut durchdacht und organisiert werden, immer mit der Überlegung, das Volk zu unterhalten, den Menschen Arbeit und Brot zu geben. Der arbeitende Bürger will kein Krieg, er will von klugen Politikern und Wirtschaftsbossen geführt werden, damit er in Ruhe und Geborgenheit leben kann.“ 

Hiromo legte eine Verschnaufpause ein, er schaute zum Sternenhimmel hinauf, der fahle Mond spendete kaum Helligkeit. Dann fuhr er voller Optimismus fort. 

„Eine neue Ära voll Glück und Zufriedenheit sollte beginnen. Wir sollten eine Gesellschaft gründen, die nötigen Geldgeber dafür begeistern, um mit allen unseren Kräften und Möglichkeiten einen Neubeginn in den zwischenmenschlichen Beziehungen herbeiführen. Der Teufelskreis von willkürlichen Zerstörungen und Wiederaufbau sollte endgültig durchbrochen werden“. 

„Du hast recht mein Freund, für heute aber ist es genug, lass` uns schlafen gehen, morgen reden wir weiter“. 

Mirko gähnte leise in die offene Handfläche und schüttelte sich aufmunternd. 

„Komm lieber Hiromo, ich begleite dich noch nach oben ins Schlafzimmer, und wünsche dir nochmals „Gute Nacht“, oder sollte ich besser „Guten Morgen“ sagen, weil es heute schon so spät geworden ist?“

Die beiden Freunde schliefen in dieser Nacht schlecht, später als sonst wachten sie auf und trafen sich am gedeckten Frühstückstisch.

„Wer hat denn die Wohnung in Ordnung gebracht und das Essen so appetitlich serviert?“ fragte Dr. Tegami mit verschlafener Stimme.

„Das hat meine Haushälterin gemacht, eine Kubanerin, die froh ist bei mir arbeiten zu können. Sie hat die Wohnungsschlüssel, sie begießt die Blumen und Gewächse im Garten und erledigt mir alle die Kleinigkeiten, für die ich keine Zeit habe. Besonders dann ist sie mir hilfreich, wenn meine Frau verreist ist, denn ich sehe ein, dass ein Haushalt ohne Fürsorge einer Frau, bald nicht mehr schön aussieht. Aber mache dir keine Sorgen, komm, seit down, und bediene dich, wir müssen uns stärken, denn wir haben heute vieles zu erledigen. Du hast doch in der Nacht nicht etwa deine Meinung geändert?“ fragte er übergangslos und blickte seinen Freund forschend in die Augen.

„Oh, nein, oh nein, keineswegs, ich bin leider ein kleiner Morgenmuffel, ich brauche etwas mehr Zeit, um mich für die neuen täglichen Aufgaben fit zu sein. Ich denke, dass uns noch manches bevorsteht, wenn wir so schnell wie möglich unsere Aktion starten wollen. Übrigens, wir brauchen zuallererst einen guten Finanzberater, einen routinierten Wirtschaftsfachmann, der bereit ist in unser Unternehmen einzusteigen?“ fügte Hiromo mit aufmunterndem Lächeln hinzu.

„Das sollte keine Schwierigkeit sein, für Geld und gute Worte bekommst du in Amerika alles. Die Frage lautet nur, ob wir auch gut beraten werden, und die Hauptsache wäre zu klären, ob unsere Geldanlage rentabel sein wird. Nach meiner Meinung handeln wir am besten, wenn wir am Anfang uns beide gemeinsam als Hauptaktionäre ins Handelsregister von Miami eintragen lassen. Ich schlage anfangs vor: Jeder zahlt als Stammkapital einhunderttausend Dollar ein, und die neu gegründete Firma sollte unter der Bezeichnung „DAWN-COMPANY“ geführt werden. Die Hauptaufgabe sollte darin bestehen, der Welt Arbeit und Brot zu verschaffen und die Menschheit von kriegerischen Auseinandersetzungen zu befreien.“

Diese, im Moment unwahrscheinlich klingender Pläne, sollten in der Zukunft schneller verwirklicht werden, als es die Freunde zu hoffen wagten. Der geschäftstüchtige Autoexporteur Mirko Akapi plante laut vor sich redend.

“Mein lieber Hiromo, ich bin mit deinem Vorschlag einverstanden, und wenn du heute nichts besonderes vorhast, fahren wir danach zur nächsten, nicht weit entfernten neuen Citybankfiliale, und eröffnen dort ein Bankkonto. Das Geschäftskonto, das auf den Namen „DAWN-COMPANY“ lauten wird, werden wir auch gemeinsam führen. Anschließend fahren wir zur Handelskammer von Miami-Stadt und lassen die neu gegründete Firma ins Handelsregister eintragen. Vorher aber, werde ich noch Dr. Saltman anrufen. Ich kenne ihn als einen guten, vertrauenswürdigen Wirtschaftsexperten, der uns helfen soll, einen Gesellschaftsvertrag für die neu zu gründende Firma auszuarbeiten. In diesem Vertrag werden wir alle Satzungen und Bestimmungen festhalten, wie sie nach amerikanischem Handelsrecht vorgeschrieben sind.“

„Ja, mach das bitte, ich rufe in der Zwischenzeit meine Firma in Osaka an, um zu erfahren, ob alles seine Ordnung hat. Außerdem möchte ich auch wissen, ob meine Danuta sich gemeldet hat.“

Im Büro von Dr. Saltman schellte kurz darauf das Telefon.

„Hallo, hier spricht Mirko Akapi, kann ich mit Herrn Saltman persönlich sprechen?“

„Um was handelt es sich?“ fragte seine Sekretärin sachlich.

„Ich bin ein alter Bekannter von ihm, ich wollte einen Gesellschaftsvertrag ausarbeiten lassen, wenn es geht noch heute früh, fragen Sie bitte nach, ob dies möglich wäre, ich warte am Telefon auf eine Antwort.“

Nach einer kurzen Pause erklang die Stimme von Dr. Saltman, der freundlich fragte: „Hi, Mirko, how do you do, schon lange habe ich nichts mehr von dir gehört. Wie läuft das Geschäft?“

„Ich brauche dringend einen Vertrag für eine neu zu gründende Firma, die ich mit deiner Hilfe in der Handelskammer registrieren möchte. Ich habe Besuch von einem japanischen Freund, mit ihm will ich ein ganz neues Projekt durchziehen, wobei ich auch deinen Sachverstand sehr gut gebrauchen kann. Die benötigten Unterlagen werde ich natürlich so schnell wie möglich besorgen und die ganze Chose reichlich honorieren. Wann kann ich bei dir vorbeikommen? Ich bringe meinen neuen Geschäftspartner gleich mit. Du kannst uns offen die Meinung zu dem neuen Plan sagen, vielleicht können wir einige sachkundige Vorschläge von dir erfahren“.

„Langsam, langsam, my dear friend, nicht so viel auf einmal, das bin ich ja gar nicht von dir gewohnt.“

Doktor Saltman zögerte einen Augenblick, überlegte kurz und antwortete sich dabei halb entschuldigend.

„Heute nachmittags, um vierzehn Uhr habe ich eine halbe Stunde Zeit für dich, ich gebe meiner Sekretärin Bescheid, da sie die nötigen Unterlagen und Formulare vorbereitet.“

„Oh, das ist aber lieb von dir, ich freue mich auf unser Wiedersehen, okay, so long!“

Die Eintragung der neuen Firma ins Handelsregister war in kurzer Zeit unter Dach und Fach gebracht. Die beiden Firmengründer begaben sich anschließend zu einer renommierten Werbeagentur, um dort Einzelheiten für die Public-Promotion zu besprechen. Die Unterredung gestaltete sich nicht einfach, denn es wurden Honorare verlangt, die für einen Laien unvorstellbar sind. Unterschiedliche Meinungen gab es auch, als es um die Art und Weise der Marketing-Arbeit ging. Die beiden verantwortlichen Geschäftsführer der DAWN-COMPANY, wie sie jetzt nach amerikanischem Vorbild genannt wurden, hatten ganz andere Vorstellungen von Werbung und Reklame. Man einigte sich schließlich auf halbseitige Anzeigen, die in den großen Tageszeitungen von Miami-Stadt erscheinen sollten. Auch die New-York-Post und in die Washington-Trade-News brachten Anzeigen, die von der neu gegründeten Morgenrot-Gesellschaft aufgegeben wurden. Die Werbeanzeigen, die fachmännisch ausgearbeitet waren, erschienen zweimal wöchentlich mit Vermerken, die auf den privaten Charakter der Kampagne zur Linderung der Not in der Welt hinwiesen.

In kurzen, aber eindrucksvollen Sätzen wurde um Unterstützung der Firma DAWN-COMPANY gebeten. Den Lesern wurde die Möglichkeit angeboten, Aktien der neu gegründeten Firma zu erwerben, die bei einer Gewinnausschüttung hohe Zinserträge einbringen sollten. Der japanische Geschäftspartner zeigte sich mit der geleisteten Arbeit sehr zufrieden und klopfte seinen Freund erfreut auf die Schultern.

„Mirko, my friend, wir haben für den Anfang gute Arbeit geleistet. Ich bin voll mit dem Erreichten zufrieden. Jetzt müssen wir abwarten, bis am nächsten Samstag unsere Zeitungsanzeigen erscheinen. Ich bin sehr auf das zu erwartende Echo gespannt. Weißt du was, ich muss in den nächsten Tagen nach Osaka fliegen, um dort die Geldüberweisung für den Anteil meines Stammkapitals zu veranlassen, außerdem habe ich noch einige private Dinge zu erledigen.“

„Okay, okay“, lenkte Mirko ein, „ich warte auf deine Rückkehr, aber bleibe bitte nicht zu lange fort, wir müssen nämlich noch Büroräume anmieten, Leute einstellen, um unser Company die notwendigen Arbeitsbedingungen zu beschaffen, hoffentlich bekommen wir aber keine Schwierigkeiten.“

„Wird das gemeinsame Unternehmen gelingen oder wird es ein Flop? „ fragte sich mehrmals Mirko selbstredend. Als Geschäftsmann wusste er, dass man nicht so leicht einhunderttausend Dollar in etwas investiert, wenn das Risiko nicht abzuschätzen ist. Er riskierte etwas, was leicht schief gehen konnte. Ruhiger wurde er erst, als nach ein paar Tagen die Bank bestätigte, dass die zweite Hälfte des Stammkapitals eingegangen war. Zufrieden rieb er sich die Hände und steckte den Kontoauszug in einen Ordner mit der Aufschrift: „FINANZEN-DAWN-CO.“

Der schwer bepackte Briefträger hatte Mirko neben vielen Werbezuschriften auch einen rosaroten Brief von seiner Frau aus Hollywood gebracht. Sie schrieb knapp und bündig, dass sie voraussichtlich noch drei Wochen in Kalifornien bleiben müsste. Das Enkelkind hätte die Grippe, und sie müsste sich noch unbedingt um Tochter und Enkelin kümmern.

„Ach, wie trifft sich das gut, dass meine Holde mich nicht mit ihren Problemen auch noch belastet. Endlich kann ich mich ganz auf die neuen Aufgaben konzentrieren“, stellte Mirko zufrieden fest. Doch noch am späten Abend beschloss er seine „bessere „Ehehälfte“ anzurufen. Er nahm den Telefonapparat ins Schlafzimmer und wählte die Nummer in Kalifornien.

Er wartete nicht lange auf das Freizeichen.

„Hallo, Beate, bist du es?“ fragte er unruhig, als sich eine Frauenstimme meldete.

„Ja, natürlich, Mirko, warum sprichst du so leise? Ich höre dich kaum, sprich doch etwas lauter.“

Mit erhobener Stimme rief Mirko nun in die Sprechmuschel. „Hör zu, meine Liebe, ich habe heute einen Brief von dir bekommen, wie geht es Sylvia und Monika, sind sie gesund?“

„Monika hat noch immer die Grippe, sie fühlt sich sehr schwach und muss das Bett hüten. Sylvia geht wieder zur Arbeit, und ich muss auf das Kind aufpassen. Ich komme so schnell nicht nach Hause, das habe ich dir doch schon im Brief geschrieben. Warum rufst du denn eigentlich an?“

„Ach, ich wollte dir nur sagen, dass wir Besuch bekommen haben, mein Freund Hiromo aus Osaka, wird ein paar Tage hier bleiben; er schläft im Gästezimmer und Juanita sorgt für uns beide. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“

„Aber macht nicht zu viel Unordnung im Haus, damit ich mich nicht zu sehr ärgern muss, wenn ich nach Hause komme, hörst du Mirko, und esse nicht zuviel, mehr Obst und Gemüse und nur wenig Fleisch, das ist gesund.“

Nach einer kleinen Pause hörte er noch: „Und vergiss nicht die Blumen zu begießen, damit sie nicht alle vertrocknen!“

„Ja, ja, ich mache schon alles so, wie du sagst, nur ich mache jetzt Schluss, mein Freund kam gerade ins Zimmer.

Befreit legte er den Hörer auf die Gabel, lehnte sich zufrieden zurück und schmunzelte vor sich hin. Da die Tätigkeiten des Imports- und Exportgeschäfts ihn weiterhin sehr in Anspruch nahmen, verblieb Mirko kaum Zeit, um sich genügend um die neue Firma zu kümmern. Das änderte sich erst, als Hiromo aus Japan zurück kam und den Freund mit Fragen überfiel.

„Hast du auch ein Büro für die Firmenverwaltung angemietet? Sind Mitarbeiter eingestellt worden? Ich habe für alle Fälle meine langjährige Sekretärin mitgebracht. Beim Aufbau der Companyverwaltung kann sie uns  einen guten Dienst erweisen. Sie spricht leidlich englisch, sie kennt sich in EDV-Arbeiten aus, sie könnte die Daten aus allen Geschäftsunterlagen gleich im Computer speichern.“

„Das ist ja großartig, mein lieber Hiromo, ich habe im Moment wenig Zeit, mein Exportgeschäft läuft gut, wenn du dich mehr um die Organisation unserer neuen Firma kümmerst, dann hätte ich ein Problem weniger.“

„Selbstverständlich, wenn du mir Entscheidungsfreiheiten einräumst, dann werde ich versuchen, alles für das Wohl unserer gemeinsamen Company zu erledigen.“

„Also, gut, abgemacht, okay, du kümmerst dich um den allgemeinen, täglichen, geschäftlichen Bürokram, aber Personaleinstellungsentscheidungen und alle Ausgaben über eintausend Dollar sollten mit mir abgesprochen werden.“

„Geht in Ordnung“, stimmte Hiromo widerspruchslos zu.

Nach zwei Wochen meinte sein Freund zuversichtlich. „Hör mal zu Mirko, es wird Zeit, dass wir mit unserem Vorhaben mehr an die Öffentlichkeit gehen. Ich schlage vor, dass wir beim nächsten Auto-Wettrennen in Palm-Beach mit einem eigenen Wagen teilnehmen.“

„Very well, mache das, du hast meine Zustimmung. Ich werde mit Mr. Holler von der Rennleitung sprechen, damit sie uns erlauben, kurzfristig am Rennen teilzunehmen. Vielleicht gelingt es mir, den Sieger von der letzten Veranstaltung für uns zu gewinnen.“

„Und ich sorge dafür, dass zwei umgebaute Rennwagen der Tausender-Klasse aus Osaka, rechtzeitig eintreffen. Bei Gelegenheit will ich Mr. Snyder den versprochenen Wagen schenken und ihn bitten, für uns am Rennen teilzunehmen.“

„Das ist eine gute Idee, lieber Hiromo, kümmere dich darum, dass wir bei der nächsten Auto-Show, mit guter Eigenwerbung dabei sind.“

Vor dem Auto-Wettrennen saßen die beiden Freunde mit Frau Usagi in der Extra-Loge und warteten gespannt auf den Startbeginn. Die japanische Sekretärin, die sich in kurzer Zeit in ihr neues Aufgabengebiet gut eingearbeitet hatte, sah in der modernen amerikanischen Kleidung kaum wie eine Japanerin aus, zumal sie ihre dunkle Haarpracht kürzen ließ und die Haare silbergrau gefärbt hatte. In einer dunkelblauen Seidenbluse und in hellem, beige Rock saß sie zwischen den beiden stattlichen Männern, und schien anfangs sich nicht ganz wohl zu fühlen. Doch bald wurde sie vom Rennfieber gepackt, und als dann in der zweiten Runde das mit japanischen Nationalfarben Rennauto der Nippon-Werke vorbeiraste, kannte auch ihre japanische Zurückhaltung keine Grenzen. Sie streckte den mitgebrachten Regenschirm hoch und winkte begeistert. Sie tat es den Amerikanern gleich, um die vorbeirasenden Autofahrer anzufeuern. Im Wettbüro hatte Dr. Tegami zehntausend Dollar auf den Sieg des japanischen Wagens gesetzt und als die dritte Runde eingeläutet wurde, stieg die Spannung ins Unerträgliche.

„Siehst du unseren Freund Mr. Snyder, wie er das Lenkrad souverän in den Händen hält“, fragte Hiromo aufgeregt.

„Er hat einen guten Start gehabt, ich sehe es jetzt deutlich, wie er an der Spitze losbraust. Hörst du wie der Tausend-PS-Motor aufheult. Es hört sich an wie Donnergrollen.“

„Ja, ja, klar, ich sehe ihn, er liegt ganz vorn, und wenn er Glück hat gewinnt er haushoch“, erwiderte Mirko beeindruckt.

Nach der fünften Umrundung stand fest, der Rennwagen der Firma DAWN war unschlagbar. Die Herren von der Rennleitung beglückwünschten freudestrahlend den japanischen Rennwagenbesitzer. Dr. Tegami verneigte sich tief nickend auf seine freundliche, japanische Art und erkundigte sich.

„Sind die Herren der CAR-SHOW wirklich mit meinem Team zufrieden? Für Verbesserungsvorschläge habe ich stets ein offenes Ohr. Wenn Sie es mir nicht sagen wollen, dann sagen sie es bitte meinem Geschäftspartner Dr. Akapi von der Dawn-Company.“

Die beiden Freunde beglückwünschten sich gegenseitig zu dem grandiosen Sieg, sie umarmten Frau Usagi auf amerikanisch, die sich nicht genug freuen konnte.

„Aber jetzt bringen wir Sie nach Hause, Frau Usagi „, rief der Amerikaner überschäumend gut gelaunt. Bald gingen alle drei zum parkenden Wagen und es dauerte gar nicht lange, da hatten sie die fleißige Mitarbeiterin in der Nähe ihrer Wohnung abgesetzt. Anschließend fuhren die beide Freunde schnell nach Hause, um noch voller lebenslustiger Freude Pläne für die Zukunft zu schmieden.

„Weißt du was, Mirko“, begann drei Tage später Hiromo nachdenklich beim einem gemeinsamen Abendessen, „ich meine, ich sollte mich in einem neu erbauten Apartement-Center einquartieren, dort ist eine Wohnung mit Arbeitsmöglichkeiten frei geworden, wie mir Frau Usagi mitgeteilt hat.

„Das ist gut, denn meine Frau kommt übermorgen aus Hollywood zurück, und da würde es bei uns etwas eng werden.“

Doktor Tegami hatte es nicht versäumt, Aktien für zehn Millionen Dollar an der Börse anzubieten, die innerhalb von einer Woche vergriffen waren. Das Fernsehen wurde auf die junge Firma aufmerksam geworden, sie filmten das neue Super-Renn-Auto, und der Erfolg blieb nicht aus. Die Nippon-Werke sollten umgehend zehn Wagen liefern. Der Preis: eine Million Dollar für einen Wagen.

Die beiden Freunde waren mit den Anfangserfolgen höchst zufrieden. Viele Wochen gingen ins Land, als eines Tages Mirko seinen japanischen Freund fragte: „Wie läuft der Absatz von japanischen Fahrzeugen?“

„Oh, danke, sehr zufrieden stellend, wir können kaum mit der Lieferung neuer Autos für den Export nach Amerika nachkommen. Besonders viele Rennautos mit den starken Zwölfzylinder-Heckmotoren sind gefragt.“

Da die Produktion und der Import von den Super-Renn-Autos unter dem Namen der Firma DAWN abgewickelt wurde, waren die Gewinne entsprechend hoch. Die Jahresbilanz konnte einen Ertrag von zehn Millionen Dollar ausweisen. Mr. Mirko und Mr. Hiromo, wie die Freunde in Fachkreisen genannt wurden, waren in kurzer Zeit zu Millionären geworden. Fast in allen großen amerikanischen Zeitungen erschienen Berichte über den rasanten Aufbau dieser jungen Firma.

Es war Hiromo, der nach einiger Zeit seinem Freund einen interessanten Vorschlag unterbreitete.

„Weißt du was Mirko, wir könnten viel Geld sparen, wenn wir ein Containerschiff anschaffen würden und den Transport unserer Erzeugnisse selbst bewerkstelligten.“ „Wird das nicht zu teuer?“ erwiderte der Angesprochene skeptisch.

„Ich habe es durchgerechnet. In einem Jahr haben wir die Baukosten des Schiffes durch die Einsparung von Leasing-Gebühren wieder eingespart. Vielleicht könnten wir auch einen Teil des Container-Hafens kaufen, um unabhängig von allen Transportkosten zu werden. Dazu könnten wir auch dort ein neues Verwaltungsgebäude errichten?“

Schon während der nächsten Aktionärsversammlung wurde der Bau eines fünfstöckigen Bürohauses beschlossen. Nach der recht schnellen Bezugsfertigstellung des hochmodernen Verwaltungskomplexes, war der Umzug in zwei Wochen erledigt. Doktor Tegami bezog in der vierten Etage ein modernes Direktoren-Zimmer.

Das Import- und Export-Geschäft von Doktor Akapi wurde in den Büroräumen auf der ersten Etage eingerichtet. Im zweiten Stockwerk quartierte sich die Dawn-Werbeagentur ein. Die Auswahl und Einstellung von jungen, fähigen Mitarbeitern trafen die Freunde gemeinsam.

„Wir müssen die zehn fähigsten Mitarbeiter in der EDV-Abteilung einsetzen“, meinte Mirko mit weit blickendem Sachverstand. „Wenn die Finanzen schnell und richtig verbucht werden, wenn wir immer einen genauen Überblick haben, dann kann uns nicht so schnell etwas passieren. Wir müssen unsere Mitarbeiter motivieren, ihr Bestes zu geben. Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Büros muss einwandfrei laufen, das Kontrollsystem muss funktionieren, Vertretungen für alle wichtigen Verwaltungsbereiche, müssen rechtzeitig angelernt werden, und Pläne zur Überwindung von eventuell eingetretenen Notsituationen müssen vorhanden sein.“

Das zweite Geschäftsjahr lief gut an. Die Inventur und die abgeschlossene Jahresbilanz hatten gezeigt, dass die DAWN-COMPANY gut gewirtschaftet hatte. Das Stammkapital konnte auf fünf Millionen Dollar erhöht werden. Eine respektable Dividende konnte den etwa 150 Aktionären gezahlt werden. Es wurde nicht vergessen, hohe Rücklagen zu bilden. Im Laufe der Zeit hatte es sich als besonders praktisch erwiesen, dass mindestens einmal im Monat sich alle hauptamtlichen Mitarbeiter im großen Sitzungssaal der DAWN-Firma versammelten.

Dr.Tegami und Mirko Akapi trugen in leicht verständlichen Sätzen, die Zielsetzungen für die nahe Zukunft vor. Jeder der Versammelten hatte das Recht, seine Schwierigkeiten in der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit öffentlich darzulegen. Manches Missverständnis und manches Problem, konnte bei dieser Gelegenheit rechtzeitig ausgeräumt werden. Frau Usagi ließ meistens eine neumoderne Video-Kamera mit gesondertem Ton-Recorder laufen, mit deren Hilfe die wichtigsten Beschlüsse und Problemlösungen in einem Versammlungsprotokoll festgehalten wurden.

Zum Jahresbeginn eröffnete Dr. Tegami die Versammlung und begrüßte die Anwesenden mit leiser, aber energischer Stimme.

„Meine Damen und Herren! Zuerst wünsche ich allen Anwesenden ein gesundes, erfolgreiches Neues Jahr, und ich kann mit Genugtuung feststellen, dass wir im vergangenen viel geleistet haben. Nun aber ist es an der Zeit, uns mit weiteren Aufgaben der DAWN-COMPANY zu befassen. Wir müssen die Verantwortlichen in den Regierungen vieler Länder davon überzeugen, die irrsinnigen Summen an Kriegsausgaben zu kürzen, um mehr für die soziale Gerechtigkeit der einzelnen Bürger zu tun. Doch die Bemühungen scheitern leider sehr oft an der eingefahrenen Routine der Haushalts- und Wehrexperten einzelner Länder, die behaupten, dass Kriegsausrüstungen nötig seien, um den Frieden zu erhalten. Auf meinen Hinweis hin, dass der Kalte Krieg zwischen Ost und West beendet sei, bekam ich zur Antwort, dass es immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen gab, und geben wird, und für so einen Fall müsse man gerüstet sein. Außerdem hätte der jüngst ausgebrochene Krieg in Jugoslawien gezeigt, wie schlimm Bürgerkriege sein können. Dass Revolutionen und Kriege die Folge von immensen Rüstungsausgaben sind, diese Wahrheit will keiner hören. Außerdem wird mir immer wieder entgegengehalten, dass die Armeen aller Völker für die Arbeitsbeschaffung sorgen. Ohne die Herstellung von Kriegsmaterialien, gäbe es noch mehr Arbeitslose.

Doktor Tegami fuhr mit erhobener Stimme fort. „Bei den American Car-Shows, die jeden Monat in Palm Beach stattfinden, sind unsere DAWN-Rennwagen sehr erfolgreich gewesen. Japanischer Erfindergeist machte es möglich, zwei Dieselheckmotoren mit 16 Zylindern in Rennautos einzubauen, wodurch das Eigengewicht reduziert und die PS-Zahl auf Eintausend erhöht wurde. In naher Zukunft werden wir mit einer eigenen Show an die Öffentlichkeit treten. Ich würde vorschlagen, dass wir das Rennfeld für drei Tage im Monat mieten, um dort unsere Rennwagen mit hochmodernen Motoren laufen lassen. Wenn auch die Gefahr besteht, dass die Autos bei über 500 Km Stundenkilometern vom Boden abheben und nicht mehr zu steuern sind, weil die Bodenhaftung verloren geht, so gehen wir dennoch dieses Risiko ein. Ich hoffe aber, dass unsere Ingenieure solche Flug-Renn-Autos bauen werden, um noch mehr Leute für die Renn-Shows zu begeistern. Das Optimale wäre dann, wenn wir einen Flugplatz mieten, noch besser ein großes Stück Land kaufen könnten, wo wir unsere eigenen Flug-Renn-Auto-Shows abhielten.“

Zustimmendes Kopfnicken bestärkten die zwei Freunde in ihrem Plan, die erfolgreiche Arbeit der DAWN-COMPANY noch zu verstärken. Es vergingen keine vier Wochen als in der Miami-Post zu lesen war.

„Am 5. Mai dieses Jahres  findet auf dem neu angelegten Flugplatz der Firma DAWN-COMPANY eine LAND-AIR-SHOW statt. Die Anfahrtswege und die Uhrzeit waren groß gedruckt, auf poppig aufgemachten Plakaten zu lesen. Den Zuschauern wurden akrobatische Sprung- und Flugvorführungen versprochen, die zu minimalen Preisen zu besichtigen wären. Parkmöglichkeiten, Unterhaltung und Wettbüros, alles von der Firma DAWN gestellt, sollten viele Besucher anlocken. Die Resonanz der erlebnishungrigen Amerikaner war enorm. Am nächsten Tag berichtete die Presse ausführlich über die gelungene Vorstellung. Unter der Überschrift: „Neue Ära der Automobil-Business-Show hat begonnen“, wurde dem Leser erklärt, worin die Neuheit bestand. Mit Fotomontagen und in einfachen Sätzen sowie verständlichen Worten, wurden die neuartigen Spiele erklärt. Die nächste Veranstaltung, die nach einem Monat stattfand, zeigte etwa einhundertfünfzigtausend Besuchern sehenswerte künstlerische Leistungen. Mit dem Eintrittsgeld von dreißig Dollar pro Besucher, wurden die Kosten der Veranstaltung gedeckt. Die Wetteinnahmen erbrachten einen nicht geringen Überschuss.

Nach einigen Tagen traf Mirko seinen Freund beim Kantinenessen und erkundigte sich nach Neuigkeiten und besonderen Vorkommnissen.

„Ja, weißt du, mein lieber Mirko, dass wir große Fortschritte machen? Es wurden neuartige elektronische Verbesserungen in unsere Autos eingebaut. Kleine Minisender, die an der Lenkstange oder am Heck angebracht sind, übertragen alle Reaktionen des Fahrers in ein mobiles Fernsehstudio, von wo aus live gesendet wird. Noch etwas hat sich geändert. Um den meist jugendlichen Zuschauern einen größeren Nervenkitzel zu bieten, werden die Vorführungen von Stuntmen-Rennfahrern ausgeführt. Diese inszenieren Unfälle, die sehr realistisch aussehen. Der Applaus ist jedes Mal riesengroß, wenn nach einem totalen Crash das vermeintliche Unfallopfer gesund aus dem Wrack herausklettert. Mit Großaufnahmen und musikalischen Effekten, wird den Zuschauern eine Show präsentiert, die alles bis dahin Gebotene übertrifft. Die Laser-Licht-Einblendungen erzeugen ein nicht geringes zauberhaftes Stimmungs-Ambiente, so dass man meint, sich in einer anderen Welt zu befinden. Am Schluss einer Vorstellung werden die verdienten Siegerehrungen mit großer Aufmerksamkeit und Spannung verfolgt. Preise werden den Show-Helden übergeben, die großen Anklang finden. Es gibt noch genug Sponsoren, die Sachprämien für die Besten spenden.“

„Das ist ja wunderbar, meine Anerkennung“, unterbrach ihn der Freund, „wie geht es nun weiter?“

„Ja, wir wollen den Zuschauern die Möglichkeit geben, selber Spiele und Wetten zu erfinden, die von einer Jury geprüft werden. Ähnlich wie bei den früheren Fernsehsendungen „Wetten, dass...“, die im deutschen Heimkino von einem Millionenpublikum begeistert verfolgt wurden. Wir nehmen Vorschläge an, die vom Zuschauer gewünscht werden. Dadurch kommen noch mehr Besucher in unsere Veranstaltungen. Wir wollen Live-Shows veranstalten, die vom Publikum mitgestaltet werden. Das Echo wird hoffentlich entsprechend groß sein. Wir möchten immer wieder neue und noch mehr Zuschauer in den Massen-Veranstaltungs-Stadien sehen. Ich habe die Absicht, naturgetreue Verbrecherjagden zu inszenieren. Amerikanische FBI-Wagen werden mit computergesteuerten Hochgeschwindigkeits-Düsen-Motoren ausgerüstet. Die Polizeibeamten werden von Stuntmen gespielt. Auf Wild-West-Manier versuchen sie Verbrecher zu jagen und festzunehmen. Es wird viel mit Platzpatronen in die Gegend geballert. Die Verwundeten und Toten werden meisterhaft dargestellt, so dass es manchmal regelrecht zu Tumulten kommt. Dann müssen wir die Zuschauer über Lautsprecher aufklären, dass im Show-Business nur Spiele stattfinden, die aus der harten Wirklichkeit bei Polizeieinsätzen nachgespielt worden sind. Die große Anziehungskraft solcher Verfolgungs-Spiele hat die Show-Leitung veranlasst, immer mehr Schiess- und Mordszenen darzustellen, mit noch größerem technischem Aufwand. Alle Reaktionen von Verfolgern und Verfolgten werden per Großaufnahme dem Zuschauer live gezeigt. Der Applaus und die Zuschriften sind für uns Ansporn, auf dem Stadion regelrechte Kriegsspiele zu veranstalten. Wir wollen sogar gepanzerte Armeefahrzeuge einsetzen, die an den Vorführungen teilnehmen. Dass dabei Kriegsgerät vernichtet wird, dass die meisten Fahrzeuge nur zu einer einzigen Vorstellung eingesetzt werden, dass alles wird in Kauf genommen. Die Show-Begeisterten bezahlen jede Eintrittgebühr, die Hauptsache, das Geschehen wird realistisch genug dargestellt. Unsere LIVE-WAR-Darstellungen sind in Amerika seit langer Zeit die meist besuchten Show-Vorstellungen.“

Mirko Akapi lobte seinen Geschäftspartner.

„Hey, Hiromo, die Sache mit den Kriegsspielen gefällt mir gut, sollten wir nicht diese Art von Vorstellungen patentieren lassen?“

„Die Idee ist nicht schlecht“, konterte der japanische Freund zustimmend, „nur würde ich dazuschreiben, dass diese Volksunterhaltung nicht zur Verherrlichung von Verbrechen oder kriegerischen Auseinandersetzungen dient, sondern das Gegenteil bezwecken soll. Den Menschen sollte die Sinnlosigkeit von Mord und Totschlag vorgeführt werden. Außerdem soll versucht werden den Besuchern klarzumachen, dass nur Recht und Gerechtigkeit als oberstes Ziel anzustreben sind. Kurz gesagt, Verbrecher zu sein oder Verbrechen zu begehen, lohnt sich nicht. Wenn das alleinige Spielrecht unserer Firma auf der ganzen Welt akzeptiert wird, dann wären wir unseren Zielsetzungen einen großen Schritt näher gekommen.“

„Du hast vollkommen recht“, unterbrach ihn sein Freund nachdenklich, „ich werde versuchen, mich mit dem Patentamt bei den Vereinten Nationen in Verbindung zu setzen. Die UNO, so hoffe ich, wird bestimmt unsere Aktionen unterstützen. Wir wollen doch nur helfen, Aggressionen unter Menschen verschiedener Nationen abzubauen. Wir wollen, dass alle Menschen gleich behandelt werden, ohne Rücksicht auf Hautfarbe oder Zugehörigkeit zu einer Konfession.“

„Das hast du schön formuliert, lieber Mirko“, erwidert Doktor Tegami lobend“, ich meine, wir sollten unsere Anti-Kriegs-Vorstellungen nicht nur in Florida zeigen, sondern überall auf der Welt. Das wird vielleicht noch eine Weile dauern, aber grundsätzlich bin ich dafür. Ich schlage vor, dass wir in der Nähe von New York, vielleicht auch in Washington unsere nächsten Kriegsspiel-Show-Stadien errichten“.

  „Okay, okay“, stimmte Mirko nach kurzem Nachdenken zu, „stelle bitte kompetente Leute ein, kaufe nicht vollausgenutztes Manövergelände auf. Es können auch städtische Einrichtungen sein, die sich leicht für unsere Zwecke umfunktionieren lassen. Ich meine, „LIVE-WAR“ ist ein wirkungsvoller Reklamename, der geschützt werden muss, umso mehr, wenn wir später unsere Vorstellungen auch in anderen Ländern zeigen wollen. Ich sehe keine Veranlassung, unsere Kriegsspiele nicht in Kanada oder Mexico zu veranstalten. Es gibt doch überall auf der Welt Menschen, die sich nach Frieden und Gerechtigkeit sehnen. Diese Leute müssen wir motivieren, etwas für den Erhalt des Friedens zu tun. Anti-Krieg-Aufklärung mit Kriegsspielen, die aus Werbeeinnahmen finanziert werden, das ist doch eine lohnende Aufgabe. Dass dabei, einerseits Kriegsmaterial vernichtet wird, anderseits aber viele Menschen bei uns Beschäftigung finden, das ist doch positiv zu bewerten, oder etwa nicht?“

„Natürlich, natürlich, nur stellt sich die Frage, ob wir genug Zeit und Kräfte haben, den nächsten Krieg zu vermeiden“, meinte Hiromo besorgt.

„Oh, da bringst du mich auf einen Gedanken“, unterbrach ihn sein Freund leise aufseufzend, „ wir errichten eine Zweigniederlassung zuerst in den Ländern, die von Krieg bedroht sind, oder wo ein Bürgerkrieg tobt, wie zum Beispiel in Nordirland oder auch in Jugoslawien. Ich werde mit dem Leiter unseres Schulungszentrums sprechen. Er soll uns Leute vorschlagen, die für einen Einsatz in Europa in Frage kommen.“

Während der nächsten Monatsversammlung war es Mirko, der als erster zum Rednerpult ging und überzeugend zu sprechen begann.

„Liebe Freunde! Wir haben schon viel erreicht, aber immer noch zu wenig. Ich bitte alle Friedensfreunde mit zuwirken, dass noch mehr Anregungen und Zuschauerwünsche an uns herangetragen werden. Was wir brauchen, das sind neue Ideen, vielleicht kann der eine oder andere seine Vorstellungen niederschreiben. Wir sind bereit, gut geschriebene Manuskripte in denen Szenen und Sketche beschrieben werden, zu honorieren. Ich habe erfahren, dass viele Zuschauer den Wunsch äußerten, historische Schlachten nachzuspielen. Das werden wir auch tun. Wir werden versuchen, neue Geschehnisse den Zuschauern vor Augen zu führen, bei denen erfahrene Stuntmen Kriegserlebnisse berühmter Persönlichkeiten realistisch nachspielen. Ich weiß, dass viele meiner Landsleute die Erstürmung der Stadt Berlin im Frühjahr 1945 gerne sehen. Wir werden Teile der Stadt naturgetreu nachbauen. Die Reichskanzlei und das Brandenburger Tor werden mit aufgesteckten Nazifahnen beeindruckend wirken. Wir werden nicht mit künstlichem Feuer und Laser-Effekten sparen; auch Platzpatronen und Brandbomben werden dem Zuschauer ein realistisches Bild von einem wirklichen Krieg vermitteln. Der Endkampf in seiner Nerven aufregenden Phase wird in aller Deutlichkeit dargestellt. Russische Soldaten werden in erdbraunen Uniformen im Nahkampf gegen die Reste der Wehrmacht kämpfen, die mit Panzerfäusten und Maschinengewehren den Eingang zum Führerbunker verteidigen. Wir lassen russische MIG-Bomber über der Stadt kreisen, um den Zuschauern ein eindruckvolles Spektakel zu bieten. Am Schluss wird die russische Fahne aufgezogen, als Zeichen des Sieges über den Faschismus. Der Beginn einer neuen Zeit wird mit dem Morgenrot der aufgehenden Sonne angedeutet.“

Die Versammelten im Saal hörten angespannt den Ausführungen Mirkos zu, und alle, ohne Ausnahmen, stimmten voller Begeisterung seinen Plänen zu.

Die Presse berichtete jedes Mal ausführlich über die Neuinszenierungen dieser Art von Spielen, die es bis dahin noch nie gegeben hatte. Der Bedarf an Ideen, an Materialien und Statisten, um solche Vorstellungen auf der Showbühne darzustellen, war groß. Anderseits traten auch arme Farmer mit dem Anliegen an die Firma heran, ihre Gebäude abzureißen und sie zu Wild-West-Indianer-Spielen zu benutzen. Dieses geschah des Öfteren. Die Besitzer wurden reichlich entschädigt, und so kam es, dass mancher sich ein neues Haus bauen konnte.

Eines Tages meldete sich ein Methodisten-Pfarrer bei der Spielleitung. „Gelobt sei Jesus Christus“, begann er, „ich habe eine alte Kirche zu verkaufen. Die Renovierung würde zu viel kosten, könnten Sie das Gotteshaus zu einer Spiel-Show verwenden?“ fragte er mit frommem Augenaufschlag.

„Aber warum denn nicht? Wir inszenieren ein Weihnachtsfest mit dem Jesuskind in der Krippe, mit Maria und Josef, mit den Hirten und den heiligen Drei-Königen, die mit ihren Geschenken ankommen“, gab ihm Mirko zustimmend zur Antwort. Dass Traurigschöne an dieser Aufführung war bei einer späteren Vorstellung, dass am Schluss der Inszenierung die Kirche in Flammen aufging. Einer der Hirten hatte, da es bitterkalt war, ein richtiges Feuer angezündet, um sich und die anderen Darsteller zu wärmen. Danach mussten alle Schauspieler den Ort des Geschehens fluchtartig verlassen.

Der Applaus und die Ovationen für die Schauspieler hielten minutenlang an. Am liebsten wurde das Spektakel „War of Stars“, Krieg der Sterne besucht. Dafür wurden alte Propellermaschinen eingesetzt. Die neumodernen Düsenjets, waren für die mit fliegenden, eingebauten Kameras zu schnell, d.h. man konnte die Flugzeuge erfassen, nur die einzelnen Luftkämpfe waren für den TV-Zuschauer zu rasant, es sei denn, die Bilder wurden mit dem Zeitraffer gebracht.

Wenn in Großaufnahme das Bild des berühmten amerikanischen Kriegshelden McHolmes erschien, der mit riskanten Flugmanövern die gegnerische Seite auszutricksen versuchte, da fieberten mit ihm Tausende. Stundenlang hockten Kinder und Eltern am Bildschirm, um die Wettkämpfe, die spannender als in den früheren Jahren die internationalen Fußballspiele waren, mitzuerleben. Es war wieder Hiromo, der ein paar Tage später seinen Freund Mirko von einer neuen Idee zu überzeugen versuchte.

„Stell dir vor, mein lieber Freund, ich habe mir vorgenommen, einen guten Komponisten einzustellen, der mit einem Texter neue Lieder komponieren könnte. Natürlich sollten es nur solche Songs sein, die bei jungen Menschen ankommen. Wenn wir die neuen Lieder an Funk und Fernsehen verkaufen, natürlich mit einer Portion Eigenwerbung, dann hoffe ich, unserer Sache wieder einen Schub nach vorn zu versetzen. Wenn wir Glück haben, können wir einen Hit auf den Markt bringen. Vielleicht erreicht er in der Hitparade einen guten Platz, das wäre eine famose Sache. Die neuen Lieder auf CD-ROM-Disketten zu pressen, und sie dann der Jugend anzubieten, wäre natürlich noch wünschenswerter. Vielleicht können wir sogar Mitschnitte von unseren Veranstaltungen mit wertvollem, musikalischem Hintergrund-Sound produzieren.“

Und so geschah es auch nach kurzer Zeit. Auf dem Medienmarkt wurden Kassetten und CD-Rom-Disketten angeboten, auf denen Mitschnitte der beliebtesten Songs gespeichert waren. Für Computer-Freaks wurden CD-Disketten gepresst, auf denen auch interessante Ausschnitte von Neuinszenierungen zu sehen waren.

Eines Tages bat Hiromo den Freund zu sich ins neu eingerichtete Büro in der vierten Etage.

„Setz dich hin, lieber Mirko, ich habe mit dir einiges zu besprechen. Heute habe ich die Bilanzen meiner Nippon-Auto-Werke in Osaka erhalten. Es sind Berichte aus dem vergangenen Wirtschaftsjahr, die sehr positiv aussehen. Anhand der Verkaufszahlen und der Arbeitsberichte kann ich erkennen, dass viele Sonderschichten nötig waren, um alle Aufträge zu erfüllen. Mir scheint es, als ob die Automobilindustrie einen neuen Aufschwung erlebt, so ähnlich wie nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Die Leute wünschen sich preiswerte, technisch gut ausgerüstete japanische Wagen. Seitdem wir die Hälfte unserer Auto-Produktion auf Batterieantrieb umgestellt haben, mit dem ein Mittelklasse-Wagen eintausend Kilometer ohne anzuhalten fahren kann, kaufen umweltbewusste Naturschützer keine Benzinbetriebenen Autos. Unsere Kraftfahrzeuge stoßen keine giftigen Schadstoffe aus. Wenn alle Autohersteller unserem Beispiel folgen würden, hätte die Welt weniger unter den Auswirkungen des Ozon-Lochs zu leiden. Die klimatischen Veränderungen wären gestoppt, und die Jugend könnte froher in die Zukunft blicken. Noch etwas wollte ich dir berichten, mein lieber Mirko, in der letzten Zeit treten immer mehr hoch verschuldete kleine Landgemeinden mit der Bitte an uns heran, ihre altersschwachen Häuser in Serienaufnahmen einzubeziehen, möglichst in Kriegsspiele, um sie am Ende der Vorstellung dem Erdboden gleichzumachen. Wenn früher Denver- und Dallas-Serien auf allen Fernseh-Kanälen die Leute vor dem Bildschirm fesselten, so wartet man heute auf die Vernichtung von ganzen Dörfern und Städte.“

„Das ist ja äußerst interessant“, erwiderte der Angesprochene beeindruckt, „ich sehe darin sehr positive Anzeichen. Durch diese Art von Zerstörung und Wiederaufbau, werden viele Arbeitsplätze geschaffen, neue Schulen werden errichtet, Krankenhäuser und Straßen gebaut, kurz gesagt, eine ganz neue Landschaftsstruktur wird geschaffen. Dass die Lebensweise der Bevölkerung auch sich wandelt, ist nur eine konsequente Folge. Die Menschen schaffen sich nicht sechs oder sieben Kinder an, wie in früheren Jahren, wobei die meisten ohne Zukunftsaussichten aufwuchsen. Ich erwähne dazu noch, und das ist meine persönliche Meinung, wenn man die Geschichte einigermaßen gut kennt, dann weiß man genau, dass Jahrhunderte lang die Staatsoberhäupter und verschiedene Kirchenfürsten immer darum bemüht waren, in erster Linie ein starkes Bevölkerungswachstum zu fördern. Jedes Land braucht billige und willige Arbeitskräfte, die nach einem ausgeklügelten System, Steuern zahlen. Im so genannten Länderhaushaltsplan auch Staatsbudget genannt, kann man dann ablesen, wie viel von den Steuereinnahmen an die einzelnen Ministerien verteilt werden. Dass dabei die Ausgaben für Landesverteidigung besonders groß sind, das wird zwar heftig kritisiert, ist aber nie geändert worden. Unbegreiflicherweise werden die Ausgaben mit Hilfe von Schulden finanziert, d.h. die heutige Generation lebt auf Kosten der Kinder, die erst auf die Welt kommen sollen. Kein privates Unternehmen könnte sich diesen Luxus leisten, es müsste sofort Konkurs anmelden.“

Mirko wischte sich den Schweiß von der Stirn und fuhr fort:

„Für die sozial schwache Bevölkerung hat man einen besonderen Slogan erfunden und zwar: Der Arbeitende und besser Verdienende trage die Last des Arbeitslosen, des Kranken und der Notleidenden. Dadurch wird die Verantwortung für das Wohlergehen breiter Bevölkerungsschichten, dem Arbeitswillen, der Opferbereitschaft einer Minderheit übertragen. Der Begriff der Volkssolidarität wurde geschaffen. Groß wird verkündet: „Einer für alle, alle für Einen“. Was das im Einzelnen bedeuten soll, das konnte mir niemand bis heute erklären. Noch undurchsichtiger sind die Praktiken einzelner Regierungen. Die meisten Volksvertreter eines Landes sind darauf bedacht, immer wieder gewählt zu werden. Während des Wahlkampfes werden die tollsten Versprechungen gemacht. Doch nach der Wahl kommt die bittere Erkenntnis. Wenn vor den Wahlen von Steuererleichterungen gesprochen wurde, tritt meistens nach den Wahlen das Gegenteil ein. Die neu gewählten Abgeordneten können nämlich keine Wunder bewirken. Sie können nur das ausgeben, was vorher an Steuern eingenommen wurde. Außerdem spricht man oft vom so genannten Fraktionszwang. Was das im Einzelnen zu bedeuten hat, das konnte mir bis heute keiner richtig erklären. Es heißt doch, unsere Volksvertreter unterliegen keinem Zwang, sie sollten nur nach ihrem Gewissen entscheiden zum Wohle des Volkes. Scheinbar sieht die Praxis ganz anders aus. Und um dies Problem dreht es sich immer wieder. Um Steuern einzunehmen, müssen zuerst Arbeitsplätze geschaffen werden, nur vom arbeitenden und verdienenden Menschen können Abgaben verlangt werden. Und neue Beschäftigungsplätze werden nur dann geschaffen, wenn ein Bedarf vorliegt. Das setzt eine gewisse Nachfrage voraus, damit Güter produziert werden, die auch gebraucht werden. Dazu müssen die Menschen das nötige Geld besitzen, um sich neue Anschaffungen erlauben zu können.“

Nach diesen wortreichen Ausführungen Mirkos, verharrten beide Freunde stumm in ihren Überlegungen, bis nach einigen Minuten der Japaner spontan beipflichtete.

„Ich sehe das ebenso, die Rüstungsmanager verdienen Millionen, wenn nicht Milliarden in Dollar oder D-Mark. Die Not leidende Bevölkerung wird mit fadenscheinigen Parolen vertröstet: Man müsse sich nach den Notwendigkeiten und Bedürfnissen des Staates richten, meinen die Politiker. Dazu werden Verträge und internationale Abmachungen zitiert, die einzuhalten sind. Während des letzten Krieges wurde viel von der Volkssolidarität gesprochen, man führte oft den folgenden Spruch im Munde: Einer für alle, alle für Einen. Viel wurde auch davon gesprochen, die Heimat verteidigen zu müssen, man müsse für Führer, Volk und Vaterland Opfer bringen, sogar das Leben dafür hergeben. Über fünfzehn Millionen Deutsche mussten damals ihr Leben lassen, für ein Volk ohne Raum. Der größte Betrug aller Zeiten. Denn heute ist Deutschland wesentlich kleiner als früher, aber es leben über achtzig Millionen in der Bundesrepublik, und das nicht einmal so schlecht. Ein großer Propagandaapparat hatte Hass und Neid gesät, um die Menschen auf den Endkampf vorzubereiten. Ich bin der Meinung, dass Politiker auf der ganzen Welt, deren Ziel es sein sollte, als gewählte Volksvertreter für das Wohl der Bevölkerung zu sorgen, mit gespaltener Zunge reden. Sie sprechen viel von Volksverantwortung. Aber was ist bis heute daraus geworden? Nichts. Die Wirtschaft stagniert und die Arbeitslosigkeit wächst. Warum eigentlich? Weil nach jedem Aufbau eine Sättigung eintritt, die Kriegsschäden sind beseitigt schnell worden, es ist kaum noch Neubedarf vorhanden, viele Menschen werden arbeitslos, und einige Altkluge meinen, dass nur ein neuer Krieg die Misere beseitigen könnte. Dazu möchte ich noch erwähnen, dass sich die Bevölkerungszahl in Asien in den letzten 50 Jahren fast verdoppelt hat. Heute leben fast 1,5 Milliarden Chinesen in einem Staat, der Atom- und Wasserstoffbomben herstellen kann. In Indien und in Pakistan herrscht eine ähnliche Situation. Die Bevölkerungszahl hat sich fast verdoppelt, beide Staaten sind fähig Atombomben zu produzieren, aber sind nicht imstande, ihre Menschenmassen richtig zu ernähren und zu bekleiden. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, sind gottlob heute Leute bereit, auf privater Basis, ohne Unterstützung des Staates die veralteten, Unheil bringenden Strukturen zu verändern. Und viele junge Menschen sind überzeugt. So kann es nicht weitergehen. Die Welt steht vor einer Katastrophe, vor der völligen Zerstörung. Die Atomwaffen, die in vielen Ländern lagern, sind doch der Beweis dafür, dass jederzeit ein Verirrter auf den Gedanken kommen kann, loszuschlagen. Dass es nach einem Atomwaffenangriff keine Sieger und Besiegte geben wird, nur noch Tote und eine unbewohnbaren Welt, ist eine Tatsache, die jedem halbwegs Vernünftigen einleuchtet.“

Mirko unterbrach seinen Freund mit fester Stimme.

„Lieber Hiromo, ich stimme deinen Ausführungen voll zu, aber entschuldige mich bitte, ich erwarte einen Anruf von meiner Frau, wir unterhalten uns noch ausführlich über dieses Thema zu einem anderen Zeitpunkt, okay?“

Mirko hatte die Tür zu seinem Büro noch nicht ganz geschlossen, als das Telefon laut zu schellen begann. „Hallo, hier Beate, bist du es Mirko? Ich wollte dich bitten, deinen Freund für heute abends einzuladen. Du hast ihn mir noch nicht vorgestellt, ich möchte mich einmal mit ihm unterhalten.“

„Gibt es dafür einen besonderen Grund?“

„Nein, natürlich nicht, aber ich interessiere mich auch für eure Arbeit, vielleicht kann ich etwas dafür tun.“

„Okay, ich spreche mit Hiromo, und wenn er einverstanden ist, dann sind wir um sieben Uhr daheim, bis dann bye - bye.“

Mirko rief sogleich seinen Freund an.

„Hör zu Hiromo, meine Frau lädt dich zum Abendessen ein, hast du heute etwas vor?“

„Nein, nichts was wichtig wäre.“

Es war schon nach neunzehn Uhr, als die beiden Freunde den Bungalow betraten, wo Frau Akapi sie ungeduldig erwartete. Sie trug ein schlichtes Kleid aus blauer Seide, das gut zu ihren dunkelbraunen Haaren passte. Ihre Figur war makellos, sie hatte ausgesprochen schöne, gut geformte Beine und bewegte sich mit der Grazie eines Mannequins. Als sie den Freund ihres Mannes erblickte, erstrahlte ihr Gesicht, ihre Wangen begannen zu glühen und ihre haselnussbraunen Augen leuchteten auf. Doktor Tegami kam im elegant geschneiderten dunkelblauen Maßanzug, hielt einen großen Strauß gelber Teerosen in den Händen und verbeugte sich erwartungsvoll. „Guten Abend gnädige Frau, ich begrüße Sie, darf ich Ihnen eine kleine Aufmerksamkeit überreichen?“

„Natürlich, oh, was für schöne Blumen, treten Sie ein, seien Sie herzlich willkommen“, bedankte sich Frau Akapi freundlich.

„Mein Mann hat schon so viel von Ihnen erzählt, Sie sind doch seit langem Studienfreunde, nicht wahr? Ich freue mich, Sie endlich kennen zu lernen.“

Dann begrüßte sie ihren Mann mit einem flüchtigen Kuss auf die linke Wangenseite und geleitete die beiden stattlichen Männer ins Wohnzimmer. An einem Seitentisch war ein opulentes Abendessen aufgetischt, das ein Party-Service kurz vorher geliefert hatte. Nachdem sie Platz genommen hatten, erschien die Hauswirtschaftshilfe mit einem Teewagen voller Getränke. Der Hausherr goss kalifornischen Rotwein in klar geschliffene Gläser, die im gedämpften Kerzenlicht leicht funkelten. Das Diner-Essen, das geschmackvoll zusammengestellt war, sah verlockend aus. Doktor Tegami erhob sich würdevoll und begann eine kurze Tischrede.

„Meine sehr verehrte Frau Akapi, mein lieber Freund, ich schulde Ihnen vielen Dank für die Gastfreundschaft, die ich hier genossen habe und hoffentlich weiterhin genießen werde. Darf ich den Begrüßungs-Toast auf die Gesundheit von uns allen ausrufen:

„Lange und glücklich sollen die Bewohner in diesem Hause leben, und der Wohlstand und die Zufriedenheit sich mehren, ohne Kummer und Sorgen bis ins hohe Alter hinein.“

Das Akapi-Ehepaar blickte dankbar dem Gast in die Augen, sie nippten vom Wein und wünschten einen guten Appetit. Die nächsten Minuten vergingen mit leichter Tischkonversation und dem Verzehr von köstlichem Essen. Nach dem Eiscocktail als Nachspeise, erschien eine adrett gekleidete junge Kubanerin, die schon seit mehreren Jahren als Hauswirtschafterin angestellt war, und trug die Schüsseln und Teller mit nicht gegessenen Speiseresten in die Küche zurück. Nach ein paar Minuten stellte Frau Akapi mit selbstbewusstem Lächeln die Frage:

„Mister Tegami, ich als Amerikanerin bin von Natur aus neugierig, ich wollte Sie fragen, wie gefällt es Ihnen in Amerika. Warum haben Sie Ihre Frau nicht mitgebracht?“

„Oh, ich muss Sie leider enttäuschen, ich bin im Moment solo, meine Frau ist verreist“, gab er sich entschuldigend zu.

„Aber sie kommt doch sicherlich bald wieder zurück?“ fuhr die Gastgeberin fort.

„Ich hoffe es sehr“, war seine knappe Antwort.

Frau Akapi merkte, dass er nicht gern über seine Frau sprechen wollte. Sie wechselte das Thema und lächelte charmant.

Um die aufkommende Missstimmung zu beenden, meinte Mirko freundlich.

„Stell dir vor Beate, Hiromo ist rein geschäftlich hier. Er will sein Unternehmen aus den roten Zahlen herausbringen, er sucht bei uns Absatzmöglichkeiten für japanische Autos und mir scheint, wir sind auf dem besten Wege etwas zu erreichen. Hiromo und ich, wir haben ein Projekt gestartet, das uns voll in Anspruch nimmt. Vielleicht hast du schon etwas von der DAWN-COMPANY gehört? Zwei der Hauptaktionäre sitzen vor dir. Es gibt aber noch etwa zehntausend Kleinaktionäre, die alle unsere Idee der DAWN-Organisation aktiv unterstützen. Wir haben viel Arbeit bis heute gehabt, der Erfolg kann sich sehen lassen, aber ebenso soviel haben wir noch vor uns. Es trifft sich gut, das Hiromo und ich gemeinsam an der Verwirklichung einer schwierigen Aufgabe arbeiten, die sich im wesentlichen darauf konzentriert, der Welt Frieden und Arbeit zu verschaffen, um für die nachkommende Generation eine bessere Zukunft zu sichern.“

„Ach ja? Das ist ja interessant, du hast mir nur andeutungsweise etwas davon erzählt, aber nichts Genaues. Vielleicht kann mir dein Freund dazu noch mehr dazu sagen?“

Die noch recht jung wirkende Ehefrau blickte den japanischen Gast auffordernd an. „Wenn Sie wüssten, gnädige Frau, wie oft Ihr Mann und ich, uns über die Missstände auf unserer schönen Welt unterhalten und uns darüber ärgern. Wir haben Pläne geschmiedet, die Weltöffentlichkeit von der Notwendigkeit einer Umkehr des bisher Praktizierten zu überzeugen, leider, wie ich meine, mit geringem Erfolg. Es ist doch so, dass sich die Politiker mit immer neuen Abgrenzungen, mit der Erschaffung einer europaweiten Währungsunion, mit Frei-Handels-Zonen, mit neuen Friedensverträgen befassen. Ein großes Problem kommt noch hinzu. Das ungehemmte Bevölkerungswachstum in der dritten Welt. Man kann feststellen, je ärmer die Menschen sind, desto schneller vermehren sie sich. Deswegen ist jede internationale Hilfe von Anfang an zum Scheitern verurteilt.“

„Aber, wenn wir gar nicht helfen, dann wird ist es doch noch schlimmer auf der Welt“, meinte Frau Akapi mitleidvoll.

Ihr Mann widersprach überzeugend. „Meine liebe Beate, du mit deinem Barmherzigkeitsdrang, kannst dabei gar nichts ausrichten. Darüber bestimmen andere. Auch wenn die Christen noch soviel für die Aktion „Brot für die Welt“ oder „Adveniat“ spenden, das ist letztendlich wie mit dem sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein. Wenn die Machthaber und Sektenführer in ihren Ländern nicht wollen, dass die Untertanen von sich aus versuchen ihr Dasein zu ändern, dann kommt es niemals zu einem gerechten und dauerhaften Frieden auf der Welt. Der Bevölkerungsüberschuss macht alle Bemühungen zunichte, und so paradox es klingt, die Armut wächst stetig, in immer schnelleren Maße, trotz aller Hilfsaktionen.“

Hiromo, der aufmerksam zugehört hatte, lächelte nachdenklich und wandte sich an Frau Akapi. „Entschuldigen Sie, gnädige Frau, wenn ich dazu auch etwas sage. Es ist doch so: Flüchtlinge, die aus wirtschaftlicher Not aus der dritten Welt kommend, im vermeintlichen goldenen Westen Hilfe suchen, vermindern letztendlich dessen Wohlstand, so, dass die erwartete Hilfe auch geringer ausfällt. Der Reichtum wird durch die ungehemmte Aufnahme von Scheinasylanten bald verschwunden sein. Denn jeder neue Einwanderer will ja auch einmal einer Beschäftigung nachgehen, er will ernährt werden. Wo sollen denn so viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden? Das Gegenteil ist heute eingetreten. Wir leben im Zeitalter des Computers, viele Arbeitsstellen wurden wegrationalisiert. Der japanische Gast hatte sich in Rage geredet; im Gesicht war er feuerrot geworden und versuchte tief Luft zu holen. Sein amerikanischer Freund versuchte ihn zu beruhigen. „Reg, dich nicht so auf, mein lieber Hiromo, wir machen doch schon etwas dagegen. Siehst du nicht, wie unsere DAWN-COMPANY floriert. Wie vielen Menschen haben wir schon Arbeit und Brot gegeben. Außerdem will ich in den nächsten Tagen nach Washington fliegen, um mit einem Freund im Innenministerium zu sprechen.“

Frau Akapi, die aufmerksam zugehört hatte, und die für sie unverständliche Aufregung des Japaners nicht begriff, fragte um Aufklärung bittend.

„Aber es helfen doch auch staatliche Stellen, hoffentlich doch auch die weltweiten großen christlichen Religionsgemeinschaften?“

„Entschuldigen Sie bitte, gnädige Frau, weil sie gerade von den Kirchen sprechen, da enttäusche ich Sie. Das Gegenteil ist der Fall. Wir hatten in der letzten Zeit, großen Ärger von den so genannten christlichen Parteien. Wissen Sie, was uns vorgeworfen wurde? Wir würden die einzelnen Staatsbürger zur Ungläubigkeit und Christenverfolgung aufrufen. Wenn die Sache nicht so ernsthaft wäre, könnte ich darüber lachen.“

„Erzählen Sie mir Näheres“, wandte sich Frau Akapi an den Japaner, ich höre das erste Mal von solchen Vorwürfen“. 

„Ja, das war so, noch vor Weihnachten erhielt ich mit meiner Privatpost einen eingeschriebenen Brief vom bischöflichen Offiziliat in Miami/Florida.“

„Erzähl mal ausführlicher, ich erfahre heute von so einem Brief“, wandte Mirko ein, „warum hast du mir nicht eher von so einem Schreiben erzählt?“

„Ich dachte, weil das Schriftstück an mich persönlich gerichtet war, außerdem weil es unhaltbare Vorwürfe enthielt, und um dich nicht unnötig aufzuregen, habe ich dem Schreiben keine große Bedeutung beigemessen. Ich habe den Brief zufällig bei mir, ich kann ihn kurz vorlesen.“

„Ich bitte darum“ erwiderte Mirko erwartungsvoll. Der Erzbischof von Südflorida Monsignore Alfredo Calvado schreibt eindeutig: An Herrn Dr. Hiromo Tegami in Miami, meine Privatadresse Joan-Collins-Street: Sehr geehrter Herr Tegami, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Ihre Tätigkeit in der DAWN-Company gegen die amerikanische Verfassung verstößt, die von Toleranz und christlicher Nächstenliebe geprägt wird. Sie propagieren in ihrem so genannten Friedens-Manifest, den Kampf gegen alle Kriegsgewinnler und Militärdespoten. Sie wissen scheinbar nicht, dass Sie als Ausländer (Japaner) kein Recht haben, unsere freiheitsliebende Gesetzgebung zu kritisieren, öffentlich zum Kampf gegen Zucht und Ordnung zu hetzen. Im Interesse der Gleichbehandlung aller Interessengruppen, bitte ich Sie, in Zukunft Ihre Aktivitäten einzuschränken, damit wir nicht gezwungen werden, gegen Sie gerichtlich vorzugehen. Unterzeichnet: Erzbischof A. Calvado.“

„Das ist ja ein starkes Stück“, erregte sich Mirko und verkündete nach kurzem Überlegen.

„Nur weil du kein Amerikaner bist, versucht man auf diese Art unsere Friedensbemühungen zu untergraben. Da seht ihr es wieder einmal“, fuhr er zornig fort, „welche kirchlichen Einrichtungen uns für Hilfe gewähren. Das Gegenteil ist der Fall. Sie versuchen uns mundtot zu machen. Sie fürchten um ihre gutgläubigen Kirchgänger, sie bangen um ihre Kirchenbeiträge, die widerspruchslos von der Mehrheit aller Menschen freiwillig oder unfreiwillig gezahlt werden. Dass wir etwas Aktives für die Erhaltung des Friedens auf der ganzen Welt tun, das interessiert scheinbar nicht die Kirchen-Oberen. Nach dem Motto: „Es war immer so gewesen, bitte keine Experimente“, ist man gewillt eine Friedensorganisation zum Schweigen zu bringen. Aber nicht mit mir. Ich bin seit 25 Jahren Amerikaner, zahle pünktlich meine Steuern, ich werde mich beim Bundes-Verfassungsgericht in Washington beschweren“, ereiferte sich Mirko und blickte seinen Freund Hiromo kampfbereit an. „Überlasse bitte mir den unfreundlichen Brief, ich, als der erste, und du als der zweite Hauptaktionär, haben die DAWN-COMPANY geschaffen, nicht um jemandem zu schaden, oder um auf jemanden Druck auszuüben, nein im Gegenteil, wir wollen die Leute aufmuntern, einen Neubeginn in den zwischen-menschlichen Beziehungen zu schaffen. Wir kämpfen gegen Arbeitslosigkeit, gegen Armut und Hoffnungslosigkeit, für eine bessere Zukunft aller Menschen auf der ganzen Welt.“

„Mein lieber Mirko“, sprach Frau Akapi aufmunternd zu ihrem Mann, „lasse dich nicht unterkriegen, was ihr beide begonnen habt, diesen Neubeginn müsst ihr fortsetzen. Das seid ihr nicht nur unseren Kindern, sondern der ganzen Menschheit schuldig. Ich verstehe nicht, dass Organisationen, die sich christlich nennen, nicht einsehen wollen oder können, dass es Leute gibt, die sich außerhalb staatlicher Machtbefugnisse, Gedanken über die Lage der Menschen auf der Welt machen. Zu wenig wird meiner Meinung nach darauf aufmerksam gemacht, dass die Dawn-Company, einen großen Teil zur Erhaltung der Naturlandschaften beiträgt. Die Gesellschaft produziert doch keine Waffen, sie vernichtet sie vielmehr, sie schafft Arbeitsplätze, sie sorgt für Zufriedenheit, sie kämpft gegen Hunger und Not.“ „Apropos Hunger und Not, da fällt mir etwas ein“, erwiderte Hiromo, „war es nicht immer so, dass in Hungerszeiten die Kirchen mehr besucht werden. Es wird zu einem allmächtigen Gott gebetet, der die Hungrigen und Notleidenden erretten soll. Das beste Beispiel, war die Zeit nach dem letzten Weltkrieg. Die Menschen hatten kaum etwas zu essen, dann gingen sie vermehrt in die Kirchen, um zu beten. Heute, wo viele Menschen im Überfluss leben, sind die Gotteshäuser oftmals leer. Man kann sagen, je größer die Not, desto mehr Menschen suchen ihr Heil in irgendeinem Glauben, ob es der große christliche Gottessohn Jesus ist, oder der islamische Allah, oder der indische Buddha, sie haben aber alle eins gemeinsam, sie werden umso mehr geachtet und verehrt, je mehr die Anhänger in Not und Elend leben. Dazu kam noch, dass Not und Elend umso größer waren, je mehr Kinder die einzelnen Familien besitzen. Also, auch daher ist die Missachtung unserer Aktivitäten durch die verschiedenen Sekten und Religionsgemeinschaften zu verstehen. Wie propagiert eine Familie mit nur so vielen Kindern, wie ein gesunder Familienvater ernähren kann. In Zeiten von Arbeitslosigkeit und Überbevölkerung sollte jeder erwachsene, kluge Mann sich die Frage stellen, wie und womit kann ich meine Familie ernähren. Wir sprechen von einer verantwortungsbewussten Familienplanung, das manchen Politikern nicht in ihre Planungen zu passen scheint. Für meine Begriffe ist es auch sehr wichtig, das Analphabetentum muss beseitigt werden. Es geht nicht an, dass in der dritten Welt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung lesen und schreiben kann. Manchmal meine ich, den Leuten wird das Lesen nicht beigebracht, damit sie sich nicht aus Zeitungen und Büchern informieren können, wie es in anderen Teilen der Welt zugeht. Wenn die Menschen ungehindert erfahren könnten, wie man einen gerechten Frieden schaffen kann, wie der Wohlstand erreicht wird, dann meine ich, sind schon einige Voraussetzungen für eine bessere Zukunft geschaffen.

Mit einem Satz könnte man vereinfacht sagen: Dummheit bedeutet Armut, und Aufklärung ist eine von den Voraussetzungen zum Wohlstand eines Volkes.“

Mirko und seine Frau Beate hörten aufmerksam die Ausführungen des japanischen Freundes und waren erstaunt, wie viel bittere Wahrheit seine Worte enthielten. „Genug, genug“, rief Mirko,“ wir wollen uns das gemütliche Zusammensein nicht verderben lassen. Ich schlage vor, wir beenden für heute unsere Diskussionen. Noch eins möchte ich dennoch sagen, nämlich, dass immer mehr Frauen gottlob für die Erneuerung der zwischenmenschlichen Beziehungen eintreten, sie sind im größeren Maße bereit unsere Sache mit allen Mitteln zu unterstützen.“

Er schaute dabei auf seine Frau Beate, die mit strahlenden Augen seinen Worten gefolgt war.

Es war kurz vor elf Uhr in der Nacht, als Hiromo sich für den netten Empfang bedankte. Frau Akapi drückte dem Japaner herzlich die rechte Hand, der darauf hin sich zweimal tief verneigte, und fest zusicherte, bald wiederzukommen. Mirko begleitete seinen Freund zum nächsten Taxi-Stop, winkte noch einmal zu, nachdem er eingestiegen war, und kehrte langsam ins Haus zurück.

Am folgenden Tag trafen sich die beiden Freunde wie gewöhnlich wieder in der Bürokantine beim Mittagessen.

„Oh, Hiromo, bist du gestern abends gut nach Haus gekommen?“

„Danke, gut, ich habe sogar sehr gut geschlafen, und heute früh habe ich mir etwas überlegt, das ich dir mitteilen möchte.“

„Na, dann komm in mein Büro und schieß los, was du dir Neues ausgedacht hast“, ermunterte ihn Mirko, „nein, warte noch einen Augenblick, zuerst erzähle ich dir, was mir in der Nacht eingefallen ist.“

Ohne große Umschweife begann Mirko.

„Finanziell stehen wir mit unserer Firma gut da. Was wir brauchen, das ist mehr Resonanz in der Bevölkerung. Die Zuschauer unserer Shows und die Leute am Fernsehbildschirm, verhalten sich äußerst passiv, d.h. sie lassen sich berieseln, für sie ist das Dargebotene eine Unterhaltung, ohne dabei den Sinn der Vorführung zu erfassen. Deswegen, so meine ich, müssen wir eine größere Zahl von Leuten mit unseren Zielen ansprechen, wir müssen mehr Breitenwirkung erreichen. Ich will in der Hauptstadt erfahren, um zu erkunden, ob es uns gestattet ist, eine Partei zu gründen. Wir wollen uns auch politisch betätigen. Mir schwebt der Name einer DAWN-PARTEI vor. Wenn die DPP Massenorganisation, so sollte sie abgekürzt heißen, richtig geführt wird, dann bekämen wir auch Zutritt zum Parlament, wir könnten dann auch mehr auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen.“

„Und wen schlägst du als Parteivorsitzenden vor?“ fragte Hiromo mit verschmitztem Lächeln auf seinem asiatischen Gesicht.

„Zuerst müssen genug Leute da sein, die bereit sind sich parteipolitisch zu betätigen. Du kennst doch, mein lieber Hiromo, die Parteiverdrossenheit von breiten Schichten der Bevölkerung. Ich hoffe, dass unsere Werbeagentur sich zündende Slogans einfallen lässt, damit wir viele Anhänger in die DP-Partei bekommen.“

„Na klar, dann wünsche ich dir, viel Erfolg beim Gelingen deines Planes. Es klang nicht schlecht, eine Partei mit einem Statut zu gründen, die als Ziel hat, Kriegsstreitigkeiten zu unterbinden. Eigentlich müssten viele, viele eintreten, denn für die Erhaltung des Friedens sind wir doch grundsätzlich alle. Hast du gewusst, dass wir wirtschaftlich eine Macht sind, aber in der Politik haben wir nichts zu sagen. Nur wenn die Politiker mitziehen, dann kann unser Werk gelingen“, meinte hoffnungsvoll der Amerikaner, eng neben seinem Freund sitzend. Er war bemüht, die Unterhaltung sachlich und spannend zu führen. Doch die Verbindung von Wirtschaft und Politik sollte für die DAWN-COMPANY eines Tages zur großen Belastung werden, die beiden Freunde zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen konnten.

Die Gründung der neuen Organisation vollzog sich in den nächsten Wochen ganz im Stillen. Sie war keine Zeitungsnotiz wert. Überall auf der Welt werden täglich so viele Vereine und Parteien gegründet, dass es mit der Zeit langweilig wird, davon Kenntnis zu nehmen. Die DP ging mit großem Elan an ihre Aufgaben. Aus dem Werbeetat wurde eine Menge Geld freigestellt, um die Vorraussetzungen einer Massenorganisation zu schaffen. Von den über eintausend fest angestellten Mitarbeitern, waren fast siebenhundert sofort bereit, die Mitgliedschaft in der DP zu beantragen. Alle Aktionäre der DAWN-Firma wurden angeschrieben, von denen viele ihre Unterstützung zusagten. Bei der ersten Monatsversammlung, in einem speziell dafür gemieteten Hotel, worin sich ein großer Versammlungsraum befand, kamen fast zweitausend Leute zusammen, die mit großer Mehrheit Mirko Akapi zum Parteivorsitzenden wählten.

Er saß nun, kerzengerade im maßgeschneiderten blauen Anzug, neben seinem japanischen Freund, der etwas ratlos vom hoch aufgebauten Podium herunter auf die große Schar der Versammelten schaute. Nachdem der Parteigründer sich und seine engsten Mitarbeiter vorgestellt hatte, begann er leise, aber mit fester Stimme ins Mikrophon zu sprechen.

„Liebe Morgenrotgemeinde! Ich habe euch hergebeten, um den Beginn einer politischen Vereinigung zu feiern, die sich zum Ziel gesetzt hat, für die Schaffung und den Erhalt des Friedens auf der ganzen Welt einzutreten. Viele von Ihnen sind als aktive Mitarbeiter unser DAWN-COMPANY mit allen Kräften dabei, für den gerechten sozialen Ausgleich in der Welt zu sorgen. Dafür möchte ich mich von dieser Stelle aus herzlich bedanken. Die Erfolge, die wir bis heute zu verzeichnen haben, sind nur möglich gewesen, dass viele mehr, als nur ihre Pflicht getan haben. Denen gilt mein besonderer Dank. In Anbetracht der vielen kriegerischen Auseinandersetzungen in allen Teilen unserer Erdkugel, die alle auf sozialen Ungerechtigkeiten basieren, haben wir die Verpflichtung unsere Anstrengungen zu verdoppeln, um Kriegsherde zu löschen, noch besser, erst gar nicht aufkommen zu lassen. Doch alle wunderschönen Beteuerungen von den Verantwortlichen in den Krisengebieten nutzen nichts, wenn nicht umgehend für soziale Gerechtigkeit in diesen Regionen gesorgt wird. Dies kann nur geschehen, wenn die horrenden Ausgaben für Waffen und Vernichtungsmittel vermindert werden, wenn möglich ganz gestoppt werden. Dass dieses nicht so bald geschehen wird, das wissen wir alle. Deshalb sollten wir, als neue gegründete Friedenspartei, die Bevölkerung aufklären, wo die Ursachen für kriegerische Auseinandersetzungen liegen. Wir sollten uns bemühen, mit allen Mitteln zur Völkerverständigung beizutragen. Ich habe die Genehmigung zur Herausgabe einer Friedens-Zeitung beantragt. Ich hoffe, dass die erste Ausgabe schon in einem Monat erscheint. Dass wir unsere Tätigkeiten auch im Ausland ausüben werden, das versteht sich von selbst. Gerade in den Entwicklungsländern müssen wir gezielte Aktionen starten. Wir werden an konkreten Beispielen den Menschen klarmachen, dass Wirtschaftswachstum nur dann Erfolg haben wird, wenn die Bevölkerungsexplosion gestoppt wird. Wenn es der Menschheit nicht gelingt, die Geburtenrate auf ein Minimum zu reduzieren, dann werden wir in nicht allzu ferner Zukunft am Zusammenbruch aller gesellschaftlichen Strukturen zugrunde gehen. Die so genannten reichen Industrienationen können auf Dauer die armen, unterentwickelten Völker nicht ernähren. Wo Armut herrscht, breiten sich auch Krankheiten aus. Die AIDS-Seuche wäre nie so massiv aufgetreten, wenn sie nicht von Einwandern in alle Erdteile eingeschleppt worden wäre. Den Frieden können wir nur erhalten, wenn keiner mehr hungern, oder sogar verhungern muss. Wenn heute täglich 40 000 Kinder an Unterernährung sterben, dafür sind wir mitverantwortlich. Wir müssen drastischere Maßnahmen ergreifen. Hilfe zur Selbsthilfe ist unsere Parole. Man könnte sie auch mit christlicher Nächstenliebe vergleichen. Liebe Friedensfreunde, wir müssen alle Kräfte einsetzen, um unsere schöne Welt zu erhalten und sie nicht durch grausame Kriege, Umweltverwüstungen und Überbevölkerung zugrunde richten.

Ich vertraue auf den gesunden Menschenverstand unserer Jugend, sie soll in der Zukunft in verstärktem Maße in Frieden und Freiheit leben, in allen Ländern der Welt, ohne Ausnahme. Zum Schluss meiner Rede möchte ich mich besonders bei meinem japanischen Freund Doktor Tegami bedanken. Er hatte die zündende Idee vom Friedens-Morgenrot, das von Japan ausgehend, die ganze Welt überzieht. Es sollte der Neubeginn einer weltumspannenden Friedensmission werden, einer Zukunft ohne Krieg und ohne Hass, eine friedvolle Zeit mit sozialer Gerechtigkeit für alle Menschen auf der Welt. Ich bedanke mich für das Zuhören und verabschiede mich mit dem Gruß: Shalom, der Friede sei mit euch.“

Doktor Tegami erhob sich, verneigte sich vor seinem Freund und den Versammelten, und verließ erhobenen Hauptes das Podium.

„Das hast du gut gemacht, Hiromo, alle Achtung“, wandte sich sein Freund beim Hinausgehen an ihn, „ich spüre, wir sind einen großen Schritt vorangekommen, vielen Dank, für deine eindrucksvolle Ansprache.“

Während des Verlassens des großen Saales, erhielt jeder Versammlungsteilnehmer ein Parteiprogramm überreicht, mit einem Vorwort des ersten Vorsitzenden. Zu dieser Versammlung waren auch Vertreter der Stadt Miami und der Provinz Florida geladen worden. Die Herren zeigten sich von der gelungenen Veranstaltung sehr beeindruckt.

Mirko Akapi und Hiromo Tegami wurden mit noch anderen prominenten Parteimitgliedern zur nächsten Stadtverordnetenwahl eingeladen. Es wurde eine neue Fraktion im Rathaus der Stadt gegründet. Die Dawn-Partei zog ein, und konnte ab sofort an der politischen Willensbildung mitwirken.

Hiromo war ob dieser Entwicklung höchst erfreut. Beim Stammtischessen mit Parteifreunden, das jeden Samstag stattfand, verkündete er zuversichtlich.

„Wir haben den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt. Ist das nicht ein toller Erfolg? Unser Freund Mirko arbeitet für die gute Sache in der Stadtverwaltung, und die bisherigen Erfolge können sich sehen lassen. Es geht mit uns rasant bergauf. Wir können zunehmend neue Mitglieder in unseren Reihen zählen.“

Die Werbeagentur sorgt für gute Wahlpropaganda und machte es möglich, dass unser Freund Mirko in der nächsten Stadtverordnetenwahl zum Stellvertreter des Oberbürgermeisters gewählt wird. Das ist doch in dieser kurzen Zeit ein Riesenerfolg. Wir werden noch intensiver uns bemühen müssen, damit wir in der Provinzhauptstadt vertreten sind. Und zuletzt meine lieben Freunde wünsche ich mir, dass wir auch in Washington gehört werden.“ Es dauerte aber doch noch lange, ehe ein Morgenrot-Vertreter in die Kongresspartei in der amerikanischen Bundeshauptsstadt aufgenommen wurde. Aus diesem erfreulichen Anlass veranstalteten die beiden Hauptaktionäre, die als Gründer der DAWN-COMPANY in ganz Amerika bekannt geworden waren, ein großes Frühlingsfest, das von Funk und Fernsehen übertragen wurde. Eine imposante Demonstration vom Aufstieg zur Macht einer kleinen Schar von Leuten, die sich der Idee verschrieben hatten, die Welt von Krieg und Hunger zu befreien. Zwei Jahre waren seit den ersten zaghaften Anfängen vergangen.

Mirko Akapi, der unermüdlich für die Dawn-Organisation rührend tätig war, fragte während der Geburtstagsfeier zum zweiundfünfzigsten Lebensjahr seines Freundes Hiromo:

„Sag mal, mein Lieber, was hört man Neues in den Nippon-Werken, wie läuft das Unternehmen?“

„Oh, danke für die Nachfrage, ich kann mich nicht beklagen. Meine Leute kommen ganz gut in Osaka ohne mich zurecht. Ich habe Fax-Verbindungen mit allen verantwortlichen Direktoren eingerichtet; sie schicken mir zweimal in der Woche genaue Übersichten von Produktions- und Verkaufszahlen. Daraus geht hervor, dass sich die Automobil-Produktion verdoppelt hat, ein erfreuliches Ergebnis. Außerdem bin ich jeden zweiten Monat für ein oder zwei Tage selbst im Hauptwerk und überzeuge mich an Ort und Stelle, ob alles seine Richtigkeit hat.“

„In der Tat, das freut mich für dich. Ich möchte nicht, dass durch dein Engagement für die Dawn-Firma, deine Mitarbeiter in Japan unzufrieden werden.“ - „Das Gegenteil ist der Fall. Für unsere Morgenrot-Aktivitäten werden immer mehr schnelle japanische Rennautos gekauft. Die Anzahl der Angestellten in Osaka musste erhöht werden, so dass Japan heute die niedrigste Arbeitslosenquote seit 1945 aufzuweisen hat. Ich wollte dich auch fragen, hast du den Artikel in den heutigen Miami-News gelesen? Unter der Überschrift: „TWO YEARS DAWN“ ist ein Bericht über das Wirken und die weiteren Ziele der DAWN-Bewegung zu lesen. Sogar in der deutschen BILD-Zeitung war zu lesen: „Zwei Jahre Morgenrot.“ - Großes Jubiläums-Fest in Miami-Florida. Die Leser wurden ausführlich über das Ereignis bei uns informiert. Besonders wurde hervorgehoben, dass die eingeladenen Gäste alle gleich behandelt wurden. Weder die Rassenzugehörigkeit, noch politische Einstellung oder religiöse Überzeugung spielten eine Rolle. Es waren alles DAWN-Anhänger, eine neumoderne Friedensbewegung, die alle Chancen hat, die Welt von Krieg und Elend zu befreien. Was in früheren Zeiten unmöglich war, wurde hier Wirklichkeit. Menschen aus allen Regionen der Welt, kamen zu einem Gedankenaustausch für fünf Tage nach Palm Beach, um im größten Stadion der Welt den Willen zur Erhaltung des Friedens zu demonstrieren. Rund Dreihunderttausend Teilnehmer, junge und alte, lebten in einer riesigen Zeltstadt friedlich zusammen. Bei Spiel und Gesang, in gut besuchten Vorträgen wurde von den Organisatoren die Erfolge und Zielsetzungen der Friedens-Bewegung erläutert“, so schreibt die Zeitung.“

„Stop, Hiromo, a moment please, gib` mir die Zeitung, bitte, das muss ich selbst sehen.“

Mirko begann laut zu lesen: „In einer kurzen aber eindrucksvollen Begrüßungsrede, konnte der Kongressabgeordnete John Foreman von der DP- Partei darauf hinweisen, dass es ihm gelungen war, den Präsidenten von Amerika zu überzeugen, selbst nach Jugoslawien zu fliegen, um den UNO-Truppen den moralischen Auftrieb zu geben, sich für die Lösung der Balkan Krise zu engagieren.

Journalisten der DAWN-Zeitung, die den obersten Feldherrn der USA begleiteten, berichteten aus dem Kriegsgebiet.

„Truppen aus 16 Ländern sind für die Friedensmission bereit. Unsere Soldaten werden „Helden des Friedens“ genannt. Bei Eis und Schnee harren sie in Winterzelten aus, um ein Aufflammen der Kämpfe zu verhindern.“

Zum ersten Mal in der Geschichte, hatte die UNO Soldaten ins ehemalige Jugoslawien gesandt, um die verfeindeten Volksgruppen auseinander zu halten. Unverständlich ist die Tatsache, dass im zwanzigsten Jahrhundert, manche Menschen die sich für zivilisiert halten, gleich ob Katholiken oder orthodoxe Christen oder Muslime, sich wie Barbaren benehmen. Die hoch gepriesene christliche Nächstenliebe wird brutal mit Füßen getreten. Viele unschuldige Frauen und Kinder werden auf beiden Seiten hingemordet, als gäbe es keinen Herrgott im Himmel. Auch Moslems, die auf ihre Fahnen das Wort Toleranz groß geschrieben haben, beteiligen sich am Völkermord. Man könnte annehmen, dass die Errungenschaften von zweitausend Jahren christlichen Abendlandes aus den Fugen geraten sind. Gemeinsame Kultur und Sprache können die herzlosen Untaten nicht verhindern. Oftmals genügt lediglich die Tatsache, eines anderen Glaubens zu sein, oder einer anderen Volkszugehörigkeit anzugehören, um ein Opfer von Terror und Gewalt zu werden. Wenn man bis dahin angenommen hatte, die Schrecken des Mittelalters überwunden zu haben, so muss man feststellen, dass moderne Menschen sich schlimmer benehmen als Tiere. Das Tier tötet nur, wenn es Hunger hat oder angegriffen wird. Der Mensch tötet aus Habsucht, Neid und Intoleranz. Man kann sich fragen, wo bleibt der Verstand, den er von seinem Schöpfer erhalten hat? Wir werden bald unsere ganze Aufmerksamkeit auf den europäischen Kontinent richten müssen. Das von Krieg und Hass gespaltene Europa muss einen dauerhaften Frieden bekommen. An der Nahtstelle zwischen Ost und West, wo immer noch große Bestände von Atomwaffen lagern, ist es vor allem notwendig, aufmerksam die politische Entwicklung in den Ländern des ehemaligen Ostblocks zu verfolgen. Die Intoleranz aller Religionsgemeinschaften ist das größte Hindernis auf dem Wege zu einer friedvollen Zukunft. Wenn Christen, Moslems und Juden sich gegenseitig bekämpfen, wie es in Jugoslawien und im Nahen Osten erst kürzlich geschah, und noch bis heute geschieht, so kann das auf die Dauer nicht hingenommen werden.“ Mirko wischte sich mit einem weißen Taschentuch über die schweißbedeckte Stirn, räusperte sich und fuhr fort: „Interessant, very interesting, was die Zeitungen über uns schreiben, ein besseres Echo konnten wir gar nicht erwarten.“

Zu Hiromo gewandt fuhr er etwas lauter fort:

„Ich meine, die Vernunft muss doch endlich einmal bei den Verantwortlichen einsetzen. Wir werden in naher Zukunft ein Aufklärungszentrum in Sarajewo bauen, in der Stadt, die über vier Jahre belagert wurde und viel gelitten hat. Ebenso werden wir im Kosowo ein Friedenszentrum errichten. Wir werden dort Albaner, Kosowaren  und Christen schulen müssen, in Toleranz und Selbstachtung miteinander umzugehen, um ethnische Säuberungen und Vertreibungen ein für allemal zu beenden. Wir haben in unseren Satzungen das Wort Frieden groß geschrieben, und dafür müssen wir etwas tun. Wir sind keine Pazifisten, die passiv das Weltgeschehen bejammern und auf Hilfe von oben warten. Beten allein nutzt nichts, man muss durch Aufklärung und Hilfe aktiv den Friedenserhaltungsprozess unterstützen. Wenn auch manche behaupten, um den Frieden muss man kämpfen, so halte ich das für widersinnig. Man kann keinen Krieg mit Strafexpeditionen aus der Welt schaffen. Lediglich Aufklärung und Hilfestellungen beim Wiederaufbau vermindern zukünftig jedes Kriegsrisiko. Aufbau wiederum bedeutet, Arbeit und Brot für viele. Eine Hebung des Lebensstandards der Bevölkerung bedeutet Rückgang der Geburtenrate und Anhebung des allgemeinen Wohlstands eines ganzen Volkes. Wo eine gerechte Ausgeglichenheit in materieller Hinsicht zwischen den verschiedenen Volksschichten vorherrschend ist, dort entfallen die sozialen Spannungen, dadurch werden die notwendigen Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden geschaffen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Bundesrepublik Deutschland. Sie hat ihre Streitkräfte auf ein Minimum reduziert, die allgemeine Wehrpflicht wurde auf die Dauer von zehn Monaten herabgesetzt. Ein großer Teil der Jugend nimmt am Wehrersatzdienst teil und leistet damit Friedensdienste. Wenn der kalte Krieg zwischen Ost und West für immer beendet sein soll, dann sehe ich nicht ein, dass es Staaten gibt, die 60 Prozent des Bruttosozialprodukts für militärische Rüstungsaufgaben ausgeben. Und das sind meistens die armen unterentwickelten Staaten, die auf Hilfe und Unterstützungen seitens der so  genannten sieben reichen Industrienationen warten. Mein Appell richtet sich an die Machthaber in der dritten Welt.

„Schluss mit dem Wettrüsten - wendet euch sinnvolleren Aufgaben zu - sorgt für Geburtenkontrolle - für Frieden, Freiheit und Brot, damit es euch die nachkommenden Generationen danken.“

„Das hast du wieder einmal hervorragend formuliert“, entgegnete ihm der japanische Freund, „wir beide können über den Fortgang unserer Bemühungen zufrieden sein, nicht wahr?“

Einen Monat nach diesem großen Frühlingsfest und den positiven Berichten in der örtlichen und internationalen Presse, meinte Doktor Tegami bei einem Plausch mit seinem Freund:

„Ich verstehe nicht, warum Christen in Nordirland sich nicht vertragen können. Meinst du nicht, ich sollte einmal dorthin fliegen, um zu erfahren, warum immer wieder unschuldige Menschen ein Opfer von Terror und Gewalt werden?“

Der Amerikaner antwortete belehrend: „Am besten du fliegst nach Dublin und Belfast, um auf beiden Seiten die Gründe für die lange Feindschaft festzustellen. Ich meine außerdem, du solltest dich zuerst mit der geschichtlichen Vergangenheit dieser beiden Völker vertraut machen. Ich glaube, der Antagonismus zwischen den beiden Völkern liegt in den Glaubensgegensätzen. Während die einen, den Papst in Rom anerkennen, ist die englische Königin für die anderen das Oberhaupt der anglikanischen Kirche.“

Und es dauerte nicht lange, da hatte sich Hiromo gründlich für die Nord-Irland-Friedens-Mission vorbereitet. Als er mit einer kleinen Delegation von Vertretern der Dawn-Company in Belfast landete, waren alle über die Zustände in der geteilten Stadt entsetzt. Überall konnte man Straßensperren sehen, Militär-Patrouillen kontrollierten mit geschultertem Gewehr jeden Verkehrsteilnehmer. Fahrzeuge wurden nach Waffen und Sprengmaterial durchsucht. Aber Furcht und Angst kehrten erst richtig nach Einbruch der Dunkelheit in die Herzen von friedliebenden Familien ein. Wie oft konnte man in den Zeitungen lesen, dass Killerkommandos im Schutze der Dunkelheit zu angeblichen Feinden geschlichen waren, um erbarmungslos zu töten, manchmal sogar im Beisein von Müttern und Kindern. Wurde tagsüber ein Katholik angeschossen, so konnte man sicher sein, dass in der nächsten Nacht eine protestantische Familie von Rächern heimgesucht wurde.

Doktor Tegami begab sich mit seinen Delegations-Mitgliedern zum Rathaus, das eher wie eine ausgebaute Festung aussah. Nach mehreren Kontrollen, wurden sie in einen Saal geführt, der von bewaffneten Soldaten bewacht wurde. Die Vorwürfe der englischen Verwaltung in Nordirland wurden mit einer Namensliste von Ermordeten der letzten zehn Jahre dokumentiert.

„Die Katholiken sind zu keinem Kompromiss bereit. Sie beharren auf Rückgabe der von uns konfiszierten Ländereien, die wir den Widerstandskämpfern weggenommen haben. Sie sind nicht bereit, ihre Waffen abzugeben, die sie gegen uns richten. Nordirland ist von König Edward erobert worden, und die Katholiken müssen sich unseren Gesetzen unterordnen.“ - „Haben Sie es schon einmal versucht, mit Entschädigungsangeboten den vertriebenen Leuten entgegenzukommen, um sie zur Verhandlungsbereitschaft zu ermuntern?“

„Nein, das haben wir nicht, und das können wir auch nicht, denn dafür ist die Regierung in London zuständig.“

Doktor Tegami nahm diese unbefriedigende Aussage kopfschüttelnd zur Kenntnis, sprach ein paar trostreiche, unverbindliche Worte, verabschiedete sich freundlich und versprach bald wiederzukommen. Als nächstes reisten die Friedensvermittler nach Dublin. Dort konferierten sie drei Tage lang mit dem katholischen Erzbischof und Vertretern der irischen Untergrundorganisation IRA, die für ein freies Nordirland kämpften. Wieder wurde alle Schuld der englischen Königin angelastet, die als Oberhaupt der anglikanischen Kirche, keine Zugeständnisse an die katholische Bevölkerung mache. Nach den wenig erfolgreichen Vermittlungsgesprächen, reisten die amerikanischen DAWN-Partei-Freunde nach London. Nach intensiven Bemühungen erhielten sie einen Termin für eine Audienz am Königshof. Der Wortführer der amerikanischen Dawn-Company, gab sich vorsichtig optimistisch.

„Wenn die Königin uns empfängt, so bin ich sicher, dass wir Erfolg haben. Ich werde sie an der Ehre einer Leid gestresster Mutter packen. Sie hat momentan genug Probleme mit der eigenen Familie, für sie sollte es eine Kleinigkeit sein, einen Schlussstrich unter die unheilvolle geschichtliche Vergangenheit von Irland und dem britischen Königreich zu setzen.“

Die von Hiromo angeführte Friedenmission drohte am Widerstand des Londoner Erzbischofs zu scheitern. Doch in einem persönlichen Gespräch unter vier Augen, während dem der Japaner einen Scheck von einer Million Dollar als Geldspende für die Restaurierung der Westminster-Abtei überreichte, bahnte sich endlich eine Wende an. Der Bischof ließ sich die Ziele der DAWN-COMPANY erläutern, lobte deren Einsatz zur Erhaltung des Friedens und wünschte dem Unternehmen viel Erfolg. Doch die Umsetzung der schönen Worte in praktische Ergebnisse dauert noch an, und wird vielleicht noch recht lange andauern, denn das, was Jahrhunderte lang in Feindschaft gespalten war, lässt sich nicht in paar Jahren aus der Welt schaffen. Nachdem die Dawn-Delegation in Miami gelandet war, erwartete sie Mirko mit einem großen Blumenstrauß in der Hand.

„Ich begrüße euch auf heimatlichem Boden und gratuliere zum großen Erfolg“, begann er seine Begrüßungsrede. „Ich habe in den Zeitungen von eurem Einsatz gelesen und bin stolz, dass ihr unserer Company einen großen Dienst erwiesen habt.“ Die Europa-Heimkehrer fuhren gemeinsam in einem Minibus zur Hauptverwaltung, wo sie ausführlich auf gestellte Fragen von Journalisten und Friedensanhängern antworteten. In den örtlichen Zeitungen erschienen in der nächsten Ausgabe, ausführliche Berichte über die Friedensmission, die von Amerikanern unternommen wurden, um der Welt Frieden und Freiheit zu bringen.

Nach einer Woche, traf Mirko seinen Freund wieder einmal in der Angestelltenkantine und bat ihn, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Er räusperte sich versteckt und schaute Hiromo freundlich in die Augen.

„Entschuldige, wenn ich danach frage, wie geht es deiner Frau? Hast du Nachricht von ihr?“

„Ja, vorgestern bekam ich einen Brief von ihr. Sie schreibt, dass sie in Berlin bei einem Studiumskollegen wohnt, und ganz vom dortigen Leben begeistert ist. Angeblich, so schreibt sie mir, würde sie an der Humboldt-Universität die deutsche Sprache studieren, sie hätte schon große Fortschritte erzielt, und würde noch länger dort bleiben.“

„Na, dann weißt du wenigstens, wo sie steckt und womit sie sich beschäftigt.“

„Ja, aber das ist nicht der Sinn meines Lebens. Ich arbeite hier in Amerika für ein Unternehmen, das den Frieden sichern soll. In Osaka wohnt in unserem schönen Haus nur die Haushälterin, und meine Frau befasst sich mit Studien einer Sprache, die keiner in meinem Bekanntenkreis versteht.“

Ein paar Tage später landete auf dem Schreibtisch von Doktor Tegami ein Bittschreiben aus dem besetzten Gaza-Streifen. Nachdem er den Inhalt kurz durchgesehen hatte, rief er seinen Freund Mirko an und begann den Inhalt des Briefes vorzulesen.

„Hör mal bitte zu, was uns Palästinenser aus dem von Israel besetzten Gebiet schreiben.

 "Liebe Dawn-Firma in Miami, wir bitten Sie inständig uns zu helfen, denn wir befinden uns in einer großen Notlage. Die jüdische Zwangsverwaltung verbietet uns die ungehinderte Einreise in unser Land Palästina, wo unsere Familien leben. Viele von unseren Leuten leben im Flüchtlingslager. Die äußerst spärlichen Rationen von internationalen Hilfsorganisationen sind zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Bitte, helft uns zum Überleben.“

Diesen Hilferuf haben über einhundert Palästinenser unterschrieben. Mirko, ich frage dich, was soll ich mit diesem Schreiben anfangen?“

„Warte auf mich, ich komm gleich in Dein Büro.“

Gemeinsam lasen sie nochmals den Bittbrief und kamen zum Entschluss, es muss geholfen werden. Dass diese Hilfe mit einem großen Risiko verbunden war und für Hiromo fast den Tod bedeutete, das konnten die beiden Freunde zu dieser Zeit nicht ahnen.

„Weißt du was Hiromo? Fliege du in den nächsten Tagen mit ausgesuchten Helfern nach Israel. Vielleicht gelingt es dir doch noch Juden und Araber an einen Verhandlungstisch zu bringen. Es handelt sich um eine große Aufgabe. Anhänger des Palästinenserführers Arafat haben uns gebeten, der Bevölkerung vom Gaza-Streifen und allen leidgeprüften Arabern zu helfen.“

„Ich muss zuerst einmal planen, wie und mit welchen Mitteln geholfen werden kann.“

„Du wirst es schon schaffen“, meinte sein Freund zuversichtlich, „nimm genug Geld mit, einige Erfahrungen auf dem Gebiet der Friedenssicherung hast du ja schon in Irland sammeln können. Aber ich sage dir, mit Geldspenden allein ist es nicht getan. Die Araber müssen lernen, so wie es die Juden ihnen in der Wüste Sinai vorgemacht haben, fleißig zu arbeiten. Ich habe gelesen, selbst war ich noch nicht in Israel, dass die Israelis in den Wüstengebieten große fruchtbare Oasen angelegt haben. Sie bauen Obst, Gemüse und Blumen an, die sie in Frachtflugzeugen in fast alle Hauptstädte Europas liefern.“

„Um etwas anbauen zu können, muss man zuerst Land besitzen“, konterte Hiromo mit Nachdruck, „um das geht es ja letztendlich. Die Juden haben den Arabern im Sechs-Tage-Krieg, große Landstriche weggenommen, sie berufen sich darauf, dass auf diesen Gebieten ihre Vorfahren schon vor fünftausend Jahren gelebt hätten. Sie haben nach dem letzten Weltkrieg mit viel Arbeit und Mühe den Staat Israel geschaffen, sie sind stolz darauf im Land ihrer Ahnen leben zu können.“

Hiromo fuhr nachdenklich fort.

„Eine verdrehte Situation besteht da unten, umso mehr, da hier in Amerika mehrere Millionen einflussreiche Juden leben, die im Kongress eine starke Lobby haben. Kein amerikanischer Präsident kann es wagen, die Israelis öffentlich zu kritisieren. Ich schlage vor, unbebaute Wüstengebiete aufzukaufen, um sie dann unter fachlicher Anleitung neu zu besiedeln. Wenn es sein muss, bauen wir den Arabern auch eine Pipe-Line in der Wasser aus dem Nil in die Wüste gepumpt wird, um sie in fruchtbares Land zu verwandeln. Ja, das ist die Lösung, übermorgen fliege ich nach Tel-Aviv, um die Juden und Araber an einen Verhandlungstisch zu bringen. Es wird nicht einfach sein, das weiß ich, aber ich werde versuchen, mit Geld und guten Worten und mit Hilfe des einflussreichen Araberführers Arafat, eine Konferenz in Jerusalem einzuberufen. Ich lasse mir ihre Standpunkte erklären und werde darauf drängen, dass der Gaza-Streifen und die gesamte West-Bank die volle Selbstverwaltung erhalten.

In den nächsten Wochen weilte Doktor Tegami mit einer Friedensdelegation im Nahen Osten. Nicht alle Vorschläge wurden sofort angenommen, doch wesentliche Schritte zur Befriedung der gesamten Region wurden eingeleitet. Eine Begegnung zwischen dem Araberführer Arafat und jüdischen Regierungsvertretern in Jerusalem war der Höhepunkt dieser nahöstlichen Friedensmission.

Es war zwei Tage vor der Rückreise nach Amerika, als Hiromo in seinem Hotelzimmer einen Telefonanruf erhielt.

„Hallo, hier ist das Generalsekretariat des Palästinenser-Präsidenten Arafat“, meldete sich ein Mann in gebrochenem Englisch.

„Bitte kommen Sie zur Klagemauer, ich möchte Ihnen etwas von meinem Chef anvertrauen, aber kommen Sie bitte allein, heute abends um achtzehn Uhr.“

Als er zur angegebenen Stunde am Treffpunkt erschien, ahnte er nicht, was ihn erwarten sollte. Zwei Araber in Polizeiuniformen traten an ihn heran und fragten: „ You are Mr. Tegami?“

„Yes, I am „, erwiderte er ahnungslos.

„Steigen Sie bitte ein“, wurde er gebeten, als ein dunkelblauer Mietwagen neben ihnen auftauchte.

Hiromo wunderte sich über die unpersönliche Aufforderung, vermutete aber immer noch nichts Ungewöhnliches. Erst als das Taxi mit überhöhter Geschwindigkeit aus der Stadt raste, versuchte er vergeblich zu erfahren, wohin die Fahrt ginge. An einem mit antiken Ruinen übersäten Gelände hielt das Fahrzeug, und Hiromo wurde mit vorgehaltener Waffe gezwungen, auszusteigen. Ein halbes Dutzend schwer bewaffneter Araber umringten den Japaner, der unruhig von einem Fuß auf den anderen trat. Als er die finster dreinblickenden Männer musterte, fing sein Herz wild an zu klopfen. Ein ungekanntes Angstgefühl überfiel ihn, und er verwünschte seine Gutgläubigkeit, ohne vorher nachgeprüft zu haben, wie er jetzt in eine Falle raten konnte. Doch alle Flüche und Selbstvorwürfe nützten nichts, er befand sich in einer ausweglosen Situation. Die Entführer näherten sich drohend, und ein leidlich englisch sprechender schwarzhaariger Mann, in einem langen Kaftan und Burnus bekleidet, verkündete mit rollenden Kehlkopflauten, dass er jetzt ein Gefangener der palästinensischen Befreiungsarmee sei.

Mit sich überschlagender Stimme wandte sich der Anführer an den wehrlosen Hiromo: „You are now, a prisoner, You are amerikanischer Spion, der mit den Juden gemeinsame Sache macht. Wenn du willst lebendig unser Land verlassen, dann musst du eine Million Dollar Lösegeld zahlen, oder wir mauern dich in eine Felshöhle ein, dort findet dich keiner.“

„Aber ich bin doch kein Spion, ich bin gekommen, um mit den Juden und euch zu verhandeln, damit endlich Frieden im Lande herrscht“, versuchte der Japaner seinen Aufenthalt in Palästina zu erklären und seine Unschuld zu beteuern.

Doch der Anführer schrie unbeherrscht: „Was nutzt uns der Friede, wenn wir kein Land besitzen, alles haben uns die Juden weggenommen, dafür musst du büßen“.

„Aber ich bin doch kein Amerikaner, ich bin Japaner, ich will euch den Frieden bringen, das müsst ihr mir glauben“

„Wir haben schon lange genug geglaubt, unsere Geduld ist zu Ende“, kreischte der Mann mit dunkler Stimme. Der unsympathische Araber deutete auf zwei bewaffnete braungebrannte Gestalten, die sich rechts und links neben Hiromo aufstellten und ihm mit Handzeichen befahlen, ihnen zu folgen. Nach etwa 100 Metern zwängten sie den Japaner in eine Felsspalte, durch die man in ein schräg abfallendes Verließ gelangen konnte. Dort unten befand sich ein runder Hohlraum, der wie eine größere Gefängniszelle ausgebaut war. Durch eine runde Öffnung in der Decke schimmerte Tageslicht, das im Raum ein gespenstisches Halbdunkel verbreitete. Hiromo musste sich an einen halb zerbrochenen Holztisch setzen, und der Anführer befahl ihm, einen Scheck über die geforderte Summe auszustellen. Mit zitternden Händen zog er sein Scheckbuch hervor, schrieb mit ängstlichen Blicken, eine Eins mit sechs Nullen und setzte darunter seine Unterschrift. Grinsend nahm der Araberanführer den Scheck in Empfang, buchstabierte mühsam das Geschriebene im schwachen Dämmerlicht und sagte etwas auf Arabisch, das Hiromo nicht verstand. Die beiden bewaffneten Bewacher stellten sich vor den Ausgang, und der Araber, mit dem Scheck hoch in der rechten Hand schwenkend, verließ rückwärtsgehend den Raum, wobei er spöttisch dem Japaner zurief: „Noch drei Stunden musst du warten, ich fahre zur Bank um das Geld zu holen, dann lassen wir dich frei.“

Hiromo setzte sich auf eine steinerne Bank und wartete und wartete. Ungute Gedanken kreisten in seinem Kopf herum, und ließen ihn nichts Erfreuliches ahnen. Vielleicht waren zwei Stunden oder etwas mehr vergangen, als plötzlich Gewehrschüsse aufpeitschten.

Die zwei Bewacher stürmten nach draußen, und es dauerte keine drei Minuten, als ein hoch gewachsener israelischer Soldat sich durch den Eingang zwängte, und vor dem Japaner salutierte.

„Sorry, Sir“, begann er in fehlerfreiem Englisch.

„Sie sind frei Doktor Tegami. Sie haben Glück gehabt, denn ein Bankbeamter wurde misstrauisch, als der Araber mit dem Scheck auftauchte. Er informierte die israelische Militärverwaltung, das übrige war nur reine Formsache. Wir haben Erfahrungen mit Erpressungsversuchen seitens der arabischen Bevölkerung, da sind wir hart. Nach anfänglichem Leugnen, verriet uns der Araber die Erpressung mit Lösegeldzahlung, und musste uns hierher führen. Wenn Sie wollen, dann bringe ich Sie zu ihrem Hotel, und gebe Ihnen der Rat, reisen Sie so schnell wie möglich von hier ab. Immer wieder werden Unschuldige erpresst, und nicht jedes Mal gelingt es uns, diese gemeinen Schandtaten zu verhindern.“

Hiromo bedankte sich für die rechtzeitige Befreiung und atmete befreit auf, als er sich wieder in seinem Hotel befand. Ohne seinen Reisebegleitern viel zu erklären, drängte er auf eine vorzeitige Abreise aus diesem ungastlichen Land, dem er helfen wollte.

Wieder zurück in Miami, berichtete Hiromo nur seinem Freund Mirko, was er wirklich alles im Nahen Osten erlebt hatte. Auf der monatlichen Betriebsversammlung dagegen sprach er mit überzeugender Stimme:

„Liebe Freunde, ich war in der letzten Zeit unten in Israel, im vorderen Orient. Was ich dort gesehen habe, erstaunte mich nicht wenig. Mit modernster Technik sind dort Gebiete erschlossen worden, wo früher öde Landstriche sich befanden. Alle Achtung, dort ist hart gearbeitet worden. Doch eines ist noch nicht erreicht worden, es fehlt das friedliche Zusammenleben zwischen Palästinensern und Israelis. Obwohl schon vieles mit Hilfe verschiedener Friedensorganisationen getan worden ist, müssen wir weiterhin Mittel und Wege finden, um die Aktion Morgenrot noch populärer zu machen. Ich schlage vor, dass wir eine eigene Zeitung herausgeben, die in den wichtigsten Weltsprachen erscheinen sollte. Ich werde mit der Werbeabteilung sprechen, um die Möglichkeit zu sondieren, auch eigene Fernseh-Spots zu produzieren, die zu bestimmten Zeiten im privaten Fernsehen zu sehen wären. Was die Kosten anbetrifft, ich weiß, sie werden enorm hoch sein. Deshalb erwäge ich auch, ob es sich für unsere Firma lohnen würde, eine Sendelizenz zu erwerben, und ein eigenes Programm auszustrahlen. Wir dürfen natürlich nicht an einem Unterhaltungsprogramm sparen, die neuesten Hits sollten gebracht werden, mit interessant aufgemachten Werbeeinlagen.“ Mirko Akapi erhob sich spontan und fügte überzeugend hinzu.

„Ich werde mich bemühen, am Anfang vor einer Sendung ein Interview mit einem Fernsehjournalisten und mir zu bringen. Ich stelle mir vor, dass wir eine Diskussionsrunde einführen werden, während der ich auf Fragen von Journalisten antworte.

Sogar ein großer Fernsehsender aus Deutschland hat schon Interesse an einer Talk-Show signalisiert. Dass dabei die wichtigsten Tagesereignisse besprochen werden, versteht sich von selbst.“

Es vergingen keine vier Wochen, als ein neues Satelliten-Fernseh-Programm in Nordamerika und Europa zu empfangen war. Unter dem Namen SAT-DCP wurde ein Programm ausgestrahlt, das von der Dawn Gesellschaft erstellt worden war. Im ersten Frage- und Antwort-Spiel konnten die Zuschauer folgendes, gekürztes Interview verfolgen.

„Mister Akapi, Sie sind Mitbegründer der weltweit verbreiteten DAWN-COMPANY, einer der sich für den Weltfrieden einsetzenden Organisation. Was sagen Sie zu den immer noch herrschenden Kriegszuständen in vielen Teilen unserer Erde?“

„Nun, wenn es sich um lokale Kriegsauseinandersetzungen handelt, so konnten sie leider nicht völlig verhindert werden. Aber einen großen Krieg, wie er in den Jahren 1939 bis 1945 tobte, gab es in den letzten fünfzig Jahren Gott sei dank nicht mehr. Eine so lange friedliche Zeitspanne ist der Verdienst von allen friedliebenden Kräften auf der ganzen Welt. Denken Sie an den dreißigjährigen Krieg in Deutschland, an den langen hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich, diese wirklich unmenschlichen Zustände, haben wir, so scheint es, d. h. ich hoffe es, hinter uns gebracht. Wir haben es geschafft, dass die offenen Religionskämpfe in Nordirland beendet wurden. Der lange Konflikt zwischen Juden und Arabern, ist durch gegenseitige Verzichtserklärungen aus der Welt geschafft worden. Leider zeigen sich in der jüngsten Vergangenheit wieder neue Konfliktregionen, dazu zähle ich die Balkanstaaten in Europa, auch die Region in Asien, die Landstriche zwischen Indien und Pakistan sind umstritten. Sie können leicht zu einem neuen Krieg führen, umso mehr, da beide Staaten im Besitz von Atomwaffen sind und sich gegenseitig bedrohen. Der grausame Unterdrückungskrieg im Kosowo mit den ethnischen Säuberungen konnten wir leider nicht verhindern. Das ist ein Beispiel dafür, dass, wenn man meint, die Menschen lebten Jahrhunderte lang im Frieden, das müsste auch zukünftig so bleiben, das kann sich schnell ändern. Andere friedenserhaltende Maßnahmen haben wir mit viel Geld unterstützt, dazu zähle ich auch die Aufklärungstätigkeiten, die wir tagtäglich in den Massenmedien verbreiten. Auch dieses Interview soll dazu beitragen manches Missverständnis auszuräumen.“

„Wenn ich Sie recht verstanden habe“, versuchte der Journalist zu ergründen“, dann sind Sie sicher, dass nur ein privates Unternehmen den Frieden auf der Welt sichern kann.“ - „Das möchte ich nicht behaupten“, erwiderte Mirko Akapi einschränkend, „doch wir haben einen wesentlichen Teil zu einer friedvolleren Gegenwart beigetragen. Das Bewusstsein der Menschheit ist insgesamt geschärft worden. Wir haben die Zusammenhänge zwischen Krieg und Frieden, zwischen Zerstörung und Aufbau, zwischen Reichtum und Armut, zwischen Religionen und Atheismus klar und für jeden verständlich aufgezeigt, und wir geben Unsummen für die Verbreitung dieser Erkenntnisse aus. Ich glaube, dass durch die Erfindung von Funk und Fernsehen ein wesentliches Mittel für die Erhaltung des Friedens geschaffen wurden.“

„Das verstehe ich nicht“, warf der Reporter Stirn runzelnd ein, „das müssen Sie mir näher erklären. Was hat das Fernsehen mit Krieg oder Frieden zu tun?“

„Viel sogar, denn die Menschen lassen sich leider sehr schnell beeinflussen, das weiß jeder Werbefachmann. Wenn ein so genannter Führer, man müsste besser sagen Verführer, sich vornimmt, seine Landsleute von irgendwelchen Ideen zu überzeugen, dann gelingt ihm das immer. Er braucht nur oft und bei jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass Er der beste Mann sei, dass nur Er befähigt sei, das Land vor Feinden zu beschützen, die Leute glauben es ihm nach kurzer Zeit. Ein typisches Beispiel war der Propagandaminister Josef Goebbels, der wesentlich dazu beigetragen hat, die Hitlerdiktatur zu festigen. Zuerst wird immer ein Feindbild geschaffen. Der Feind ist natürlich an allem Schuld. Und dieser Feind muss bekämpft werden, um, wie der Diktator vorgibt, das Volk zu retten. Die Volksgenossen werden systematisch auf einen unvermeidbaren Krieg vorbereitet. Gegen wen sich die Auseinandersetzung richtet, ist im Grunde für Volksdemagogen uninteressant. Die Hauptsache ist, man findet Anhänger, die so lange manipuliert werden, d.h. sie werden durch Massenmedien beeinflusst, bis sie selbst den größten Lügen Glauben schenken. Der Feind, das können Andersgläubige sein, siehe in Jugoslawien und in Nordirland. Dasselbe gilt für Menschen anderer Rassen oder Volkszugehörigkeit, die auf Grund demagogischer Verhetzung zu Feinden erklärt werden, um sie brutal zu vertreiben. Dazu muss gleichfalls erwähnt werden, dass im Rahmen von Religionsfanatismus unzählige Kriege geführt wurden. Staat und Kirche arbeiteten, und arbeiten bis heute Hand in Hand, um vermeintliche nationale Probleme mit allen Mitteln zu lösen. Es gibt keine Religionsgemeinschaft, keine demokratische Regierung, die es fertig gebracht hätte, den Untertanen beizubringen, weniger Kinder in die Welt zu setzen. Die Kirchen brauchen viele Gläubige, die durch die Taufe automatisch in ihre Reihen einverleibt werden. Dass Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen für sie mit Geldeinnahmen verbunden sind, das kann doch niemand leugnen. Jeder Staat braucht viele Erdenbürger, um Arbeitskräfte zu haben, viele Steuerzahler und natürlich auch Soldaten. Das Gespenst von der Lüge, dass sich jeder Staat verteidigen muss, das spukt in vielen Köpfen unserer Politiker. Was täten die Leute, die Politik studieren, wenn sie keine oder weniger Menschen zum Regieren hätten? Sie wären letztendlich arbeitslos. Das will doch keiner. Darum müssen immer wieder viele Kinder geboren werden, damit Staaten und Glaubensgemeinschaften erhalten bleiben. Ohne viele Worte, könnte man meine, die Menschen werden nur geboren, damit sie einer kleinen Anzahl von Akademikern und Schlaufüchsen, eine recht bequeme Lebensführung ermöglichen, die sich anmaßen zum Regieren geboren zu sein.“

„Mister Akapi, Ihre recht interessanten Ausführungen, haben mich aber immer noch nicht überzeugt, wodurch Massenmedien am Ausbruch von Feindseligkeiten beteiligt sind.“

„Sie sind dann beteiligt, wenn sie zur Schaffung von Feindbildern missbraucht werden. Denn Feindbilder erzeugen naturgemäß Hass und Neid, die immer zu Auseinandersetzungen führen. Wir dagegen von der DAWN-Partei treten für Völkerverständigung für Gleichberechtigung aller Menschen auf der Erde ein, egal welcher Hautfarbe oder Glaubensgemeinschaft. Wir sorgen dafür, dass keine Feindbilder entstehen, dies ist der erste Schritt zur Schaffung eines dauerhaften Friedens auf der ganzen Welt.“

„Aber wie können sich die Massenmedien nach Ihrer Meinung nach dagegen wehren, nicht missbraucht zu werden? Wir leben hier in Amerika in einem freien Land, wo Presse- und Meinungsfreiheit herrscht. Woher weiß ich, dass ich missbraucht werde?“

„In der Bibel steht ein Satz, der ungefähr so lautet: „Was du nicht willst, dass man dir es tu`, das füg` auch keinem anderen zu!“ erwiderte Mirko Akapi einlenkend, „wenn alle Menschen nach diesem einfachen Satz handeln würden, dann gäbe es keine Feindschaften, der Friede wäre gesichert. Darum sollte jeder, der eine verantwortungsvolle Tätigkeit ausübt, an diesen Satz denken, ehe er etwas sagt oder zu handeln beginnt, was gegebenenfalls zu Missverständnissen, Hass oder Neid führt.“

Der Reporter war schon ungeduldig geworden und verabschiedete sich mit einem versteckten Blick auf die Armbanduhr.

„Mister Akapi, ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg mit Ihren Bemühungen für den Erhalt des Friedens auf der Welt, vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.“

Nach zwei Wochen hatten Mirko Akapi und sein Freund eine Verabredung mit Vertretern der Republikaner, die im Weißen Haus als Regierungspartei die Macht ausübten.

„Mister Akapi“, begann der Delegationsanführer, der einflussreiche Millionär Oliver Smith, „wir haben mit Erstaunen ein Interview gelesen, das Sie Reportern des deutschen Fernsehens gegeben haben. Können Sie uns erklären, was Sie damit gemeint haben, Kinder würden nur dafür geboren, um einer privilegierten Schicht ein angenehmes Leben zu gewähren? Ist es nicht so, dass Kinder aus Liebe und Zuneigung geboren werden. Die Eltern entscheiden doch selbst, wann und wie viele Kinder sie haben wollen. Der Staat oder die Kirche zwingt doch keine Menschen Kinder in die Welt zu setzen. Ist es nicht so, dass eine Ehe ohne Kinder keine richtige Erfüllung gibt, es fehlt doch etwas. Eine Ehe soll das Heim, das Nest für die Nachkommenschaft bilden. Wir haben Gesetze, die Ehe und Familie in jedem Fall schützen. Wir unterstützen junge, kinderreiche Ehepaare, wir zahlen Kindergelder, wir vergeben Steuererleichterungen für Familien mit Kindern. Außerdem, wenn keine oder nur wenige Kinder in unserem Land geboren werden, wer wird später einmal die Rentenbeiträge einzahlen, die heute ältere Mitbürger erhalten?“

„Mister Smith, Sie berühren ein Problem, das oft missverstanden und durch einige Medien verzerrt dargestellt wird. Es ist offensichtlich, dass Renten nur gezahlt werden, die vorher von der arbeitenden Bevölkerung verdient wurden. Aber wo steht es festgeschrieben, dass nur amerikanische Kinder für unsere Renten aufkommen müssen? Ist es nicht so, dass jeder der in unserem Lande arbeitet, automatisch seine Rentenbeiträge bezahlen muss? Auch Ausländer, Asylanten und Gastarbeiter werden zu Steuer und Rentenzahlungen herangezogen, ob sie wollen oder nicht, es sei denn, sie lassen sich entsprechend privat hoch versichern. Darüber hinaus werden Beiträge für die Arbeitslosen-Versicherung einbehalten, die im Falle einer ungewollten Arbeitslosigkeit, vom Arbeitsamt als Unterstützung ausgezahlt werden. Und wenn es ganz schlimm kommt, dann braucht dennoch keiner zu hungern oder zu frieren, er bekommt vom Sozialamt soviel, dass er davon leidlich leben kann. Das soziale Netz in unserem Land ist so ausgedacht, dass unfreiwillig in Not geratene Mitbürger bei einer gewissen Mobilität, die Möglichkeit haben, wieder aus der Misere herauszukommen. Natürlich gehört zu allen Gesundheit, Fleiß und ein bisschen Glück dazu. Wenn jemand sich Kinder anschafft, um im hohen Alter eine Fürsorge von ihnen zu erwarten, so mag dieses für frühere Jahrhunderte gegolten haben. Heute darf man von den Kindern keinen Dank, und keine Unterstützung bei Not und Missgeschicken erwarten. Dazu sind soziale Einrichtungen geschaffen worden, um in Dringlichkeitsfällen den Bedürftigen zu helfen.“

„Mister Akapi, Sie haben in prägnanter Form, unsere Gesellschaftsform charakterisiert. Aber was sollen Menschen in den Ländern tun, in denen es keine sozialen Einrichtungen gibt? Müsste da nicht die internationale Völkergemeinschaft Hilfe leisten?“

„Das wird auch bei Katastrophen wie zum Beispiel bei Erdbeben oder Überschwemmungen getan. Doch die gesamte Bevölkerung eines Landes zu ernähren, wo sich die Menschen ungehemmt vermehren, das ist doch nicht der Sinn einer Völkersolidarität? Das größte Problem unserer Zeit ist: der immer schneller wachsende Bevölkerungszuwachs, der alle unsere Friedensbemühungen zunichte macht. Von dieser Gefahr sprechen wir Anhänger der DAWN-PARTEI und leisten Aufklärungsarbeiten. In diesem Sinne ist auch meine Äußerung zu verstehen, die ich Reportern von verschiedenen großen Fernsehsendern gewährt habe.“ Die Vertreter der republikanischen Regierungspartei versicherten einsichtig, dass sie nichts gegen die Aktivitäten der DAWN-COMPANY hätten, doch wünschten sie sich mehr Zurückhaltung im Hinblick zu Äußerungen über die Bevölkerungspolitik, die im Ausland oft missverstanden wird.“

„Ich vermute stark“, begann ein paar Tage später Hiromo zögernd, „dass hinter dem Besuch der Regierungsvertreter, eine Intervention aus Rom steht. Der Papst sträubt sich neben vielen anderen Religionsvertretern gegen eine Geburtenkontrolle, er verdammt alle Verhütungsmittel, und ich nehme an, dass unsere Aufklärungskampagne ihn verärgert hat. Kurioserweise haben die Kirchen nichts gegen die neu erfundene Viagra Pille, die Sex stimulierend zu noch mehr Bevölkerungswachstum führt. Trotzdem, wir machen weiter, denn gute Einsichten brauchen ihre Zeit um angenommen zu werden. Auch wenn es manchem weltlichen Herrscher oder Kirchenfürsten schwer fällt, man muss sich an eine neue Zeit gewöhnen. Die Veränderungen der Lebens- und Verhaltensweisen von immer mehr Menschen in der heutigen Ära, ist von den verantwortlichen Machthabern, selbst verursacht worden. Im Rückblick auf die kriegerischen Ereignisse der letzten Jahrhunderte seit unserer Geschichtsschreibung kann man lesen, dass alle Kriege bis jetzt keine Verbesserungen der Lebensbedingungen gebracht haben. Denken wir nur an die letzten beiden großen Weltkriege. Es ist auch vielen jungen Menschen nicht zu verdenken, wenn sie sich keine Kinder anschaffen, aus Furcht vor der unsicheren Zukunft. Viele Menschen stellen sich die Frage, was bringt uns das nächste Jahrtausend? Krieg oder Frieden? Und es ist noch nicht bei allen die Erkenntnis durchgesickert: Nie wieder Krieg. Es gibt heute doch wieder viele, die nach einem gerechten Krieg rufen, es gibt Leute, die sich einen starken Mann herbeiwünschen, der einmal aufräumen sollte. In Deutschland spricht man von einem Adolf, der kommen müsste, um Ordnung zu schaffen. Sollten diese Leute, die so unvernünftig nach LAW und ORDER rufen, ihre Anstrengungen mehr darauf richten, einen demokratischen Staat widerstandsfähiger gegen die Attacken der kleinen und großen Diktatoren zu machen.“

Mirko Akapi hatte Mühe den Redefluss seines Freundes zu stoppen.

„Ich weiß, ich weiß, lieber Hiromo, du kennst die geschichtlichen Zusammenhänge der Vergangenheit noch besser als ich. Wir haben es doch erlebt, wohin Gesetz und Ordnung führen. Das Ende waren: Konzentrationslager mit Verbrennungsöfen. Dieses wollen wir doch nie wieder, oder? Eine Demokratie hat eben auch seine Schattenseiten, es gibt keine ideale Regierungsform. Dafür haben wir ein überreichliches Warenangebot zu jeder Tages- und Nachtzeit, wir können uns frei äußern, wir haben die freie Berufswahl, und Minderheiten genießen ihren Schutz, soweit sie der Mehrheit nicht ihren Willen aufzwingen wollen, das weißt du doch auch, nicht wahr?“

„Natürlich, natürlich, nur zu gut, und darum ärgere ich mich so oft über die Gleichgültigkeit vieler meiner Landsleute, die gedankenlos kritisieren, ich will nicht vulgär meckern sagen. Diese sollten sich mal ernsthaft mit Politik und Geschichte beschäftigen. Dann hätten sie eine Ahnung vom Machbaren, von der Möglichkeit, die Menschen nur durch Aufklärung und Brotverdienen zum Besseren zu bekehren.“

Eines Montagnachmittags läutete bei Dr. Tegami um zehn vor fünf das Telefon. Ein paar Sekunden später hörte er die Stimme seiner Frau, die ihm fremd und hart erschien.

„Hallo, Hiromo, hier Danuta“, klang es undeutlich aus der Hörermuschel.

„Bitte, sei mir nicht böse, ich bin hier in Berlin ohne Geld und ohne Papiere, mich haben sie überfallen, bitte hilf mir.“

Ihre Stimme klang verzweifelt. Hiromo hatte schon eine scharfe Absage parat, als sie weiter sprach: „Ich bin ganz allein, ich entschuldige mich für alles Böse, was ich dir angetan habe, aber bitte hilf mir in meiner Not.“

Hiromo überlegte abwägend und fragte wie unter innerem Zwang heraus:

„Wo steckst du?“ - „In Berlin-Weißensee, Polcherweg 2, bei Becker“, lautete die kurze Antwort.

„Okay, ich bin übermorgen bei dir, dann sprechen wir über alles, aber ich bitte dich noch, bleibe zu Hause, damit ich nicht die lange Reise umsonst zu dir mache.“

„Das ist doch selbstverständlich, aber komme bitte ganz bestimmt.“

Das Telefongespräch wurde unterbrochen und der Japaner murmelte still vor sich hin.

„Das ist ja eine unvorhergesehene Überraschung, hoffentlich gibt es dadurch nicht noch mehr Ärger.“

Keine zehn Minuten später begab sich Hiromo zu seinem Freund Mirko und wusste nicht recht, wie er ihm die Reise nach Deutschland erklären sollte.

„Ich muss unbedingt nach Berlin fliegen, meine Frau befindet sich in einer Notlage, ich muss ihr helfen“, begann er ohne große Worte zu verlieren. Mirko kannte die Verschlossenheit seines Freundes, wenn es sich um private Dinge handelte. Darum antwortete er, ohne zu zögern:

„Okay, okay, fliege hin, wenn du es für nötig hältst.“

Hiromo verließ das Bürozimmer seines Freundes, und begab sich umgehend zu seiner Sekretärin, die er bat, ein Flugticket nach Europa zu besorgen.

In den folgenden Stunden packte er ein paar nötige Reiseutensilien in einen kleinen Reisekoffer. Einen größeren Geldbetrag in Dollarscheinen versteckte er im Geheimfach seines Brustbeutels. Eine Kreditkarte für unvorgesehene, höhere Reisespesen, die er auch einsteckte, gab ein Gefühl von beruhigender Vorsorge.

Am anderen Morgen ließ er sich im mit einem Taxi zum Flughafen bringen, um Auslandschalter seine Reisepapiere abzuholen. Der mehrstündige Flug über den Atlantischen Ozean, wurde durch guten Bordservice, sowie einen interessanten Film erträglicher gestaltet. Dass die Reise in das frühere DDR-Gebiet Hiromo mit gewissen Befürchtungen verband, lag in der Unkenntnis vieler Amerikaner und Japaner, über die wirklichen politischen Verhältnisse im ehemaligen Ostblock.

Im Flugzeug hatte er Zeit, über seine fünfzehnjährige Ehe nachzudenken. Sie hatten sich einmal geschworen, in guten und in schlechten Tagen beizustehen. Er stand vor einer wichtigen Entscheidung. Sollte er sich mit ihr versöhnen, einen neuen Anfang versuchen, oder ihr die kalte Schulter zeigen?“

Energisch schüttelte er seinen schon leicht ergrauten Kopf, und beschloss nach langem Nachdenken, einen Neubeginn seines Ehelebens anzustreben.

„Was soll es, ich habe so viel für fremde Menschen getan, warum sollte ich nicht für meine Frau auch etwas tun?“ murmelte er vor sich hin. Als eine blonde Stewardess vorbeikam und ihm eine kleine Flasche mit hellbraunem Sekt überreichte, füllte er ein Glas vom perlenden Inhalt, trank daraus einen kräftigen Schluck und spürte bald, wie der Alkohol beruhigend auf sein Gemüt wirkte. Die deutlich spürbare Unruhe nahm langsam ab, und ein wohltuendes Gefühl der Gleichgültigkeit machte sich in seinem Gedächtnis breit. Zu Hilfe kam ihm auch eine Durchsage aus dem Cockpit, worin der Kapitän allen Mitreisenden einen angenehmen Flug wünschte.

Die Gespräche verstummten im Flugzeug, die meisten Passagiere hatten sich Kopfhörer übergestülpt, und verfolgten mit Spannung das Geschehen, das durchs Abspielen einer Videokassette zu sehen war. Als der Zwischenstopp auf englischem Boden angekündigt wurde, gähnte Dr. Tegami in die vorgehaltene Hand, und fühlte sich wunderbar entspannt. Der Flug wurde über den großen Teich, wie der Amerikaner sagt, verlief für die meisten Amerika-Passagiere problemlos.

Doch Dr. Tegami sollte in Berlin noch einiges erfahren, womit er nicht gerechnet hatte. Als er in der angehenden neuen Bundeshauptstadt aus dem Flughafengebäude trat, traf er ein Stadtbild an, das ihn überraschte und in Erstaunen versetzte. Fünfzig Jahre nach der Naziherrschaft, war von den Zerstörungen der Stadt nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil. Eine hochmoderne, verkehrsreiche Stadt bot sich seinen neugierig aufgerissenen Augen. Viele neu erbaute Hochhäuser, breite Straßen mit Bäumen an beiden Seiten, reizvoll angelegte Plätze und immer wieder mit vielen Grünflächen dazwischen erstaunten den Gast aus Übersee. Die Fahrt im Taxi durch die Innenstadt, am Brandenburger Tor und Alexanderplatz vorbei, beeindruckte Hiromo ungemein.

„So groß und so imposant hätte ich mir Berlin nicht vorgestellt“, murmelte er vor sich hin. In einem Taxi ließ er sich zum Polcher Weg bringen, eine kleine Nebenstraße am ehemaligen jüdischen Friedhof. Die kleinen Gartenhäuser machten einen friedlichen, sauberen Eindruck. Der Taxifahrer bedankte sich für das reichliche Trinkgeld, lüftete seine Ledermütze und vor dem Haus Nr. 2 half er seinem Fahrgast auszusteigen.

„So, hier sind wir am Ziel, ich wünsche Ihnen noch alles Gute und auf Wiedersehen“, rief er seinem Gast zu, wendete den Wagen und fuhr eilig zu seinem Taxi-Standplatz.

Dr. Tegami schellte am Türchen zu einem Gartengrundstück.

Er musste einige Minuten warten, ehe sich spaltbreit die Haustür öffnete, und eine Fraustimme ängstlich fragte:

„Wer ist denn da?“

„Ich bin es, Hiromo aus Osaka“, antwortete er erleichtert.

Schon längst hatte er die Stimme seiner Frau erkannt.

Sie riss die Tür auf, stürzte sich in seine Arme und begann aufschluchzend, mit Tränen in den Augen zu sprechen:

„Ach, Gott sei Dank, dass du da bist, ich wartete sehnsüchtig auf dich, komm rein und schließe zu, ich habe Angst, dass sie wiederkommen.“

„Was ist denn los? Wer soll nicht wiederkommen?“

Sich ängstlich umschauend setzte sie sich auf einen Stuhl und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, beugte sich vor und presste leise hervor.

„Du weißt gar nicht wie schlecht die Menschen sein können. Ach, lieber Hiromo, wie gut, dass du gekommen bist. Ich bin seelisch am Ende, allein in der großen Stadt, ohne Hilfe, du bist meine Rettung.“

„Warum bist du allein, wo ist die Familie Becker, was wird hier gespielt?“

„Das ist eine längere Geschichte, komm setz dich zu mir. Ich habe dir viel zu erzählen.“

„Aber ich habe wenig Zeit, ich muss so schnell wie möglich in die Staaten zurück, fasse dich bitte kurz „, antwortete er lustlos.

„Hiromo, mein lieber Hiromo, wollen wir nicht unseren Streit begraben und einen Neubeginn wagen?“

„Das liegt ganz an dir, ich frage mich nur, warum bist du vor über drei Jahren Hals über Kopf verschwunden, du hattest doch keinen Grund dazu - oder?“

Sie zögerte für einen Augenblick, dann schaute sie ihm in die Augen und flüsterte beschämt.

„Ja, ja, du hast ja Recht, ich habe einen großen Fehler gemacht, ich hätte dich nie verlassen sollen.“

„Und was hat dir zu dieser Einsicht verholfen?“ spottete der Ehemann erbarmungslos.

„Ach, Hiromo, mache dich nicht über mich lustig, ich bin genug bestraft worden, ich will alles wieder gutmachen, wenn ich es nur könnte.“

„Na, dann bin ich aber gespannt, wann und womit du anfängst. Aber zuerst erkläre mir bitte, warum hast du mich hierher bestellt? Was ist geschehen?“

„Lieber, Hiromo, bitte setze dich zuerst einmal hin, ich erkläre dir alles der Reihe nach.“

„Die Familie Becker, er und sie, sind vor vier Tagen verschleppt worden.“

„Und was hast du damit zu tun?“ konterte Hiromo ungeduldig.

„Ich wohne bei ihnen über zwei Jahre lang in einem Zimmer oben im ersten Stock. Ich brauche keine Miete bezahlen, denn dafür habe ich ihnen japanischen Sprachunterricht erteilt. Ich vermute, dass die Beckers bei der Stasi waren, dass sie Verbindungen zum russischen Geheimdienst hatten. Vielleicht war es auch so, dass die Familie Becker nach Russland verschleppt werden sollte, ich weiß es nicht. Jedenfalls kamen vorigen Samstag zwei hünenhafte Männer in schwarzen Lederjacken, zeigten einen Dienstausweis und verlangten, wir sollten uns innerhalb von zehn Minuten reisefertig machen. Sie forderten von mir meinen Pass, den sie mir nicht wiedergaben.“

„Was war das für ein Dienstausweis, warum solltet ihr euch reisefertig machen?“ fragte Mirko neugierig.

„Das weiß ich nicht, ich hatte aber den Eindruck, die Beckers kannten die beiden Männer, denn sie begannen widerspruchslos einen Reisekoffer zu packen. Was sollte ich machen? Ich stopfte meine wenigen Habseligkeiten in eine Reisetasche und wartete auf das weitere Geschehen. Nach fünf Minuten etwa, sprach mich ein unsympathischer Kerl von den beiden an, und befahl mir ins Wohnzimmer zu gehen. Als ich mich weigerte und auf Englisch und japanisch ihm erklärte, dass ich nur Gast in diesem Hause sei, stieß er mich brutal ins Badezimmer und sperrte mich dort ein. Als ich mich nach einer Stunde befreien konnte, war das Haus leer, von den Beckers und den zwei unheimlichen Besuchern fehlte jede Spur. In diesem Moment fiel mir deine Adresse ein, und ich rief in Miami an, und das weitere kennst du ja.“

Hiromo schüttelte ungläubig den Kopf und fragte nachdenklich.

„Und warum hast du nicht die Polizei verständigt, was hast du in der Zeit seit vorgestern gemacht?“

„Ich hatte Angst gehabt, was sollte ich der Polizei sagen, ich hoffte immer, dass die Beckers jeden Moment zurückkämen, aber es scheint, sie kommen nicht so schnell wieder.“

„Das glaube ich auch“, erwiderte Hiromo beschwichtigend.

„Jetzt ist guter Rat teuer. Weißt du was, wir fahren zum japanischen Konsulat, und ich lasse dir einen Ersatzpass ausstellen. Komm packe deine Sachen zusammen, und wenn wir Glück haben, fliegen wir schon morgen nach Miami zurück.“

Hiromo schaute seiner Danuta forschend in die Augen, die ihm zerknirscht zulächelte. „Das alles ist so sonderbar gelaufen, ich kann mir so etwas nicht erklären, wie so etwas einer deutschen Großstadt möglich ist?“

„Das weiß ich auch nicht“, räumte seine Frau ein, „komm, freu dich mit mir, dass ich ungeschoren davongekommen bin, es hätte schlimmer ausgehen können.“ Da es schon spät geworden war, übernachtete er auf der Couch ohne sich auszuziehen. Seine Frau kroch in ein schmales Feldbett, konnte aber lange Zeit nicht einschlafen, so hatte sie sich über ihr Missgeschick geärgert. Am frühen Morgen aß das japanische Ehepaar die Reste aus dem Kühlschrank, kochte sich einen starken Kräutertee, und verließ die wie unbewohnt aussehende Villa, ohne sich noch einmal umzuschauen.

Hiromo hatte schon vorher ein Taxi bestellt, und mit ihren nicht allzu großen Gepäckstücken ließen sie sich zum japanischen Konsulat bringen. Es dauerte nicht lange, da hatte Danuta einen neuen Reisepass. Ein Ticket für den Flug nach Florida war schnell besorgt, und schon am frühen Nachmittag saß das japanische Ehepaar einträchtig im Flugzeug.

„Ach, mein lieber Hiromo, wie bin ich dir dankbar „, wandte sich Frau Tegami an ihren Ehemann, als sie hoch über den Wolken gen Westen flogen. Ohne dich säße ich noch immer in Berlin fest, und ich weiß nicht wie ich da herausgekommen wäre.“ Hiromo brummte etwas in die angespannten Fäuste, denn er war müde geworden und wollte einschlafen. Daraufhin verstummte seine Frau, konnte aber lange nicht einschlafen, zu viel hatte sie in den letzten Tagen erlebt. Als das japanische Ehepaar in Miami landete, lachte die Sonne vom blauen, wolkenlosen Himmel.

„Gott sei Dank“, meinte Danuta, „ich habe Glück im Unglück, wenn mich die beiden Kerle verschleppt hätten, kein Hahn hätte nach mir gekräht.“

Die Japanerin wiederholte noch mehrmals zu sich selbst redend, die Erlebnisse der letzten Tage, die, wie sie meinte, ihr fast den Tod gebracht hätten. Da das Ehepaar, zwei Sitzplätze in der ersten Klasse eines Linienflugzeuges gebucht hatten, war der Bordservice entsprechend gut gewesen. Hiromo war so müde gewesen, dass er den größten Teil des Rückfluges leise lächelnd verschlafen hatte.

Bald nach der Landung rief er einen Taxifahrer herbei und nannte ihm die Adresse der Dawn-Company. Dort angekommen, telefonierte er umgehend mit Mirko, der schon ungeduldig auf die Rückkehr des Freundes gewartet hatte.

„Ich bin wieder da“, rief er freudestrahlend in die Sprechmuschel, ich bin schneller zurück, als ich zu wagen gehofft habe, ich möchte dich und deine Frau zu einer Wiedersehenfeier ins Hilton-Hotel einladen. Ich habe meine Frau aus Berlin mitgebracht, ich möchte sie dir vorstellen.“

„Du überraschst mich etwas, da muss ich zuerst meine Frau fragen“, gab Mirko zur Antwort.

In den nächsten Stunden waren Danuta und Hiromo mit den Vorbereitungen für die Wiedersehenfeier beschäftigt. Beide ließen sich vom Bekleidungs-Service, verschiedene Garderoben bringen, wählten ein nicht zu protziges Abendkleid aus, Hiromo ließ sich zu einem hellen Smoking überreden. Rechtzeitig fuhren sie mit einem Stadttaxi zum neuen Hafen-Hilton-Hotel, das von reichen Amerikanern frequentiert wurde.

Der Oberkellner rückte diensteifrig die Stühle zurecht, als die beiden Freunde mit ihren Ehefrauen zu einem Ecktisch geleitet wurden, der an einem großen Panoramafenster stand.

„Sitzen die Herrschaften gut, was darf ich für sie bestellen, lautete die nächste Frage des weiß gekleideten Kellners.

„Bringen Sie uns bitte, die Speisekarte, wir lassen die Damen wählen“, erwiderte Hiromo augenzwinkernd, wobei er sein freundliches japanische Lächeln aufsetzte. Nach der allgemeinen Begrüßung mit gegenseitigem Händeschütteln, begann Hiromo:

„Darf ich meine Frau Danuta vorstellen? Ich habe sie aus Deutschland mitgebracht, warum und weswegen, das erzähle ich später, zuerst wollen wir uns etwas Gutes zum Abend-Dinner aussuchen, nicht wahr mein Schatz?“

Die nicht mehr junge, dunkelhäutige Japanerin lächelt dankbar zurück und nahm zögernd die Speisekarte zur Hand, um die Bestellung aufzugeben.

„Darf ich für dich mit bestellen?“ fragte sie auf Englisch, „ich habe deinen Geschmack noch nicht vergessen.“

„Natürlich, natürlich, so war es doch ausgemacht, die Damen haben heute die Wahl, nicht wahr Frau Akapi?“

Die Amerikanerin blickte erstaunt dem Geschäftsfreund ihres Mannes in die Augen, lächelte dankbar zurück, und bald war die Bestellung für das Festessen zusammen gestellt.

„Den Wein, lieber Mirko musst du dir aber selbst bestellen, da kenne ich mich nicht so gut aus“, fuhr sie fort, „ich möchte gerne mit Frau Tegami einige Neuigkeiten austauschen.“

„Well, liebe Frau Tegami, ich kenne Ihren Mann schon seit längerem, ich freue mich Sie heute auch kennen zu lernen. Mein Mann hat mir erzählt, dass Sie längere Zeit in Deutschland gelebt haben? War das nicht für Sie als Japanerin zu beschwerlich?" 

„Ach nein, ich wohnte in Berlin bei guten Bekannten, denen ich meine Heimatsprache lehrte, und umgekehrt bemühte ich mich, das Deutsche besser zu verstehen.“

„Und ist Ihnen das gelungen?“

„Oh ja, in hohem Maße, ich kenne die deutsche Sprache besser als die englische, die mir nicht so geläufig ist.“

„Oh, Sie sprechen doch ein ganz verständliches Englisch, ich wäre froh, wenn ich nur halb so viel, wie Sie das Deutsche verstehen könnte.“

„Das ist mein Hobby, sich mit Sprachen zu befassen, schade, dass ich nicht Philologie studieren konnte, das hätte ich gerne getan.“

„Ich will nicht zu neugierig sein, aber ich meine gehört zu haben, dass ihre Ehe kinderlos geblieben ist.“

„Ja, Ja, das stimmt schon, es war eine große Enttäuschung, als wir trotz ärztlicher Beratungen uns abfinden mussten, kinderlos zu bleiben. Ich meine, viel versäumt zu haben, darum ist es mir nicht schwer gefallen nach Deutschland zu gehen, um dort meine Sprachstudien zu betreiben.“

„Und bleiben Sie jetzt hier, werden Sie bei Ihrem Mann wohnen?“

„Ja, das hoffe ich sehr, ich bin zur Einsicht gelangt, dass es nicht schön ist auf der Welt allein zu sein. Jetzt bin ich auch nicht mehr so jung, und ich stelle fest, je älter man wird, desto mehr braucht man einen Menschen, dem man vertrauen kann und von dem man auch Hilfe in der Not bekommt. „

Frau Tegami wollte noch weiter sprechen, doch sie musste ihre Erklärungen unterbrechen, denn der dunkelbraune Kellner brachte die bestellten Speisen an den Tisch und begann zu servieren.

„Oh, das sieht ja gut aus“, bemerkte Mirko freudestrahlend“, ich wünsche allen einen guten Appetit, wohl bekomm es.“

In den nächsten Minuten klapperten nur Messer und Gabeln bis Mirko als erster sein Weinglas hob, den beiden Tischdamen freundlich zunickte und eine kleine Verschnaufpause einlegte.

Hiromo griff ebenfalls nach seinem Glas, klopfte dreimal kurz an, und halberhoben begann er mit strahlend freundlichem Lächeln zu sprechen:

„Liebe Freunde, ich freue mich, dass wir heute so gemütlich an einem Tisch zusammensitzen. Besonders aber freue ich mich, dass meine Frau zurückgekommen ist und dabei sein kann. Sie und ich haben manches entbehrt und jetzt hoffen wir, dass die Zeit der Trennung für immer vorbei ist und wir noch recht viele Jahre zusammen bleiben.“

Danuta lächelte in sich hinein, reichte Mirko und seiner Frau die Hände als Zeichen der Freude und Dankbarkeit im Kreis von Gleichgesinnten aufgenommen zu werden. Alle vier nippten am köstlichen Wein, der die Zungen löste.

Hiromo fand in seiner Freude nicht immer die richtigen Worte, doch alle verstanden wohl, was er meinte, als er etwas unsicher fort fuhr: „Verzeiht, wenn ich jemanden zu nahe getreten sein sollte oder beleidigt habe. Ich kann meine Erlebnisse in den letzten Wochen nicht so schnell vergessen, und heute erst ist mir bewusst geworden, in welchen Gefahren ich mich befunden habe, als ich in Israel weilte.

Frau Akapi schaute dem japanischen Gast fragend in die Augen, dann blickte sie ihren Mann an, und wandte sich an ihn.

„Davon hast du mir aber noch nichts erzählt, mein lieber Mirko. Was war denn da unten los? Was hat dein Freund bei den Juden erlebt?“

„Ach weißt du, liebe Beate, ich wollte dich nicht unnötig ängstigen, lass dir die Erlebnisse von Hiromo selbst erzählen, er kann das besser als ich, außerdem ich war ja nicht dabei.“

Hiromo spürte zwei weibliche Augenpaare auf sich gerichtet und konnte nicht umhin, sein Abenteuer während der Friedensmission im vorderen Orient noch einmal zu erzählen. Frau Akapi schauderte leicht zusammen, als er seine Gefangennahme schilderte, atmete aber alsbald wieder dankbar auf, als er von seiner Befreiung erzählte. Hiromo hatte an diesem Abend noch viel zu berichten. Und als es schon fast Mitternacht geworden war, und der Weinkellner die dritte Flasche gebracht hatte, befand sich die Tischrunde in frohgelaunter Stimmung. Hiromo wandte sich an seinen Freund.

„Mein lieber Mirko, ich habe in den letzten Tagen soviel erlebt, verzeihe, wenn ich mich jetzt mit meiner Frau zurückziehe. Und zum Schluss möchte ich noch kurz erwähnen, wenn unsere Dawn-Company nicht alle meine Wunschvorstellungen erfüllen konnte, das Wichtigste ist für mich in Erfüllung gegangen. Ich habe meine Frau wieder gefunden, das schönste Morgenrot unter meinem Ehe-Himmel, das ich hege und pflege, solange mein Schöpfer es will. Für mich ist das ein Neubeginn in meinen eigenen Beziehungen, die ich mir nicht mehr kaputtmachen lasse.“

  Das Ehepaar Tegami verabschiedete sich aufs herzlichste, sie küssten sich gegenseitig auf beide Wangen und versprachen, die Freundschaft zwischen Amerikanern und Japanern zu vertiefen, um vielen anderen Menschen zu zeigen, dass Hilfsbereitschaft und Verständnis zwischen den Menschen die wichtigste Vorraussetzung für ein friedliches Zusammenleben sind.

Ende