Es war neun Uhr vormittags, als auf dem Düsseldorfer Flughafen eine Lufthansa-Maschine startbereit stand und auf den Abflug wartete. Sie erbebte leicht als ihre Düsenaggregate anfingen zu arbeiten. Die Startfreigabe war durchgegeben worden, und jetzt glitt der riesige Koloss langsam über die glatt asphaltierte Startbahn, um die nötige Geschwindigkeit zum Abheben zu erreichen. Aus den Lautsprechern der Bordsprechanlage des Airbusses LT 545 ertönte leise Musik, die auf die unruhige Schar der Passagiere beruhigend einwirken sollte. Plötzlich verstummte die sanfte Melodie, und die Chefstewardess begrüßte die Flugreisenden mit freundlichen Worten: „Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten starten wir zum Langstreckenflug Düsseldorf-Miami, ich bitte sich anzuschnallen und die Toiletten nicht mehr zu benutzen.“ Eine Unzahl kleiner Lampen der Flugzeuginnenbeleuchtung flammten auf, kleine rote Lämpchen zeigten die Anschnallpflicht an, und die kleinen Bildschirme, die über jeder dritten Sitzplatzreihe angebracht waren, zeigten eine braungebrannte, freundlich lächelnde Flughafenbedienstete, die mit wohlklingender Stimme alle Handgriffe erklärte, die zu verrichten sind, um bei einer eventuellen Notlandung Schwimmwesten anzulegen. Danach erschien auf den computerähnlichen Monitoren eine geographische Landkarte, auf der die westliche Halbkugel zu sehen war. Die vorgesehene, eingezeichnete Reiseroute war gut zu erkennen, mit Angaben über die Flugdauer und der voraussichtlichen Kilometeranzahl der Gesamtstrecke. Nach wenigen Minuten heulten die Flugzeugantriebsdüsen lauter auf, und der Jet beschleunigte seine Geschwindigkeit auf etwa zweihundert Stundenkilometer. Mit einem Ruck hob die schwer beladene Maschine vom Boden ab, und im Steilflug ging es durch die dicke Wolkendecke, um die vorgeschriebene Flughöhe zu erreichen. Die Kraft des Steilflugs drückte die Reisenden in Polstersessel, und mancher Ängstliche versuchte sich kraftvoll dagegen zu stemmen. Nach wenigen Minuten wurde die Anschnallpflicht aufgehoben, und die Erlaubniszeichen zum Rauchen erschienen wieder. Der mehrere Stunden andauernde Flug über den großen Teich nach Miami hatte seinen Anfang genommen.
Heller Sonnenschein von einem blauen Himmel spiegelte sich im silberweißen Rumpf des Flugzeugs, in dem mehr als dreihundert Passagiere mit der elfköpfigen Crew den Weg nach Amerika ansteuerten. Einige Fluggäste schlugen mitgebrachte Bücher auf, um zu lesen. Es waren diejenigen, die damit ausdrücken wollten, dass Fliegen nichts mehr Neues für sie bedeutete, sondern nur noch Langeweile bereitete. Lichte Sonnenstrahlen zwängten sich durch die kleinen, runden Flugzeugfenster, so dass wenig später die künstliche Beleuchtung ausgeschaltet wurde. Im fast voll besetzten Passagierflugzeug war es leiser geworden, und die meisten Passagiere lehnten sich aufatmend in die bequemen Sessel zurück. Mehrere blau gekleidete, nette Stewardessen liefen mit einem Stapel aktueller Tageszeitungen den Mittelgang entlang und verteilten sie an lesefreudige Gäste. Andere Flugbegleiterinnen boten Kopfkissen und zusätzliche Decken an, für diejenigen, denen es auf dem Fensterplatz zu kühl war, oder die sich vorsorglich auf einen ermüdenden Flug einstellten. Es waren nicht wenige, die sich mit zusätzlichen Decken und Kissen versorgten, um gegen eventuelle Unannehmlichkeiten gewappnet zu sein. Endlich schienen alle Passagiere zufrieden gestellt zu sein.
Der planmäßige Flug nach Amerika, der schon seit längerer Zeit vorbereitet worden war, hatte vorschriftsmäßig seinen Anfang genommen. Ob er auch unbeschadet verlaufen würde, dessen waren sich manche Gäste nicht sicher. Man sah es an den verkrampften, angsterfüllten Gesichtern von meist älteren Fluggästen an, die sich vor dem Abflug versteckt bekreuzigt hatten. In der dritten Reihe, auf einem Fensterplatz, saß ein Herr mittleren Alters, der allem Anschein nach das erste Mal in einem Flugzeug saß.
Auf seinen Knien hatte er einen Stapel Reiseführer über Cuba, Jamaika, Barbados und den kleineren Karibikinseln ausgebreitet, in denen er aufmerksam las. Schon zu Hause hatte er Bücher über die karibische Inselwelt gelesen und meinte, viel über die exotischen Inseln gelernt zu haben. Für alle Fälle hatte er sich gegen verschiedene Tropenkrankheiten impfen lassen und fürchtete sich nicht, die weite Reise über den Atlantischen Ozean zu wagen. Der angehende Südseeinselflieger saß schweigsam unter einer Menge gut gelaunter Touristen, die anscheinend in Amerika Spaß und Abwechslung suchten.
„Verzeihen Sie“, wandte sich der Bücherfreund an seinen Sitznachbarn, den er versehentlich angestoßen hatte, „es ist ziemlich eng hier, nicht gerade angenehm, nicht wahr?“
Seine höfliche Entschuldigung wurde nur mit gleichgültigem Kopfnicken erwidert. Leicht verärgert klappte er seinen vielseitigen Reiseführer zu und steckte ihn in eine lederne Schultertasche. Der Herr neben ihn rückte etwas von ihm ab, und sein Blick schweifte durch das Fenster auf der gegenüberliegenden Seite. Der nicht mehr junge Mann war etwa fünfzig Jahre alt und hatte ein fast rundes, stark gerötetes Gesicht. Sein volles, dichtes Haar war dunkelbraun, und über der Oberlippe hatte er eine Narbe, die sich bis zum Nasenansatz hinzog. Im Gegensatz zu den meisten Reisenden war er pedantisch, man konnte sagen, sehr ordentlich gekleidet. Er saß aufrecht in unnahbarer Haltung auf seinem Platz und musterte die übrigen Passagiere aus kühlen, dunkelblauen Augen, als seien sie seine Rekruten. Er sah wie ein Offizier im Ruhestand aus. Etwas reserviert wandte sich der korrekt Gekleidete an seinen Sitznachbarn begann fast flüsternd zu sprechen.
„Darf ich mich vorstellen, Miller ist mein Name, Artur Miller, ich fliege nicht zum ersten Mal in die Staaten. Es ist nichts Ungewöhnliches für mich. Ich habe vor, meine Tochter Rosmarie in Miami zu besuchen. Sie lebt dort seit zwei Jahren, und fliege dahin, um mein erstes Enkelkind zu besichtigen. Schade, dass meine Frau nicht mitkommen konnte, sie hätte sich sicherlich gefreut.“ Der Herr, stolz wie ein Offizier, räusperte sich vernehmlich und verstummte nachdenklich.
Sein Sitznachbar erwiderte wenig interessiert. „Da haben Sie ihre Gattin daheim gelassen, und Sie fliegen die vielen Kilometer über den Teich so ganz allein, ist so etwas nicht langweilig?“
„Nein, nein, keineswegs, ich freue mich darauf, meine Tochter und das Enkelchen in die Arme zu drücken.“ Nach einer kurzen Gesprächspause, begann der am Fenster sitzende, gut aussehende Herr, mit grauen Schläfen, und markanten Gesichtszügen.
„Ich heiße Roman Fischer, komme aus Düsseldorf und beabsichtige, die karibischen Inseln in Augenschein zu nehmen.“
„Haben Sie dabei an eine bestimmte Insel gedacht?“ fragte der Angesprochene freundlich lächelnd. „Nein, nein, keineswegs, ich bin seit kurzem pensioniert, und ich möchte mir einen lang gehegten Wunsch erfüllen. Ich will mir etwas von den Schönheiten der Welt anschauen."
„Das machen Sie richtig. Meine Frau ist leider vor zwei Jahren an Krebs gestorben, und hat es nicht erlebt, von der Geburt des ersten Enkelkindes zu erfahren. Leider, jetzt muss ich allein dorthin fliegen. Ach, ich wollte nicht unerwähnt lassen, ich wurde in Aachen geboren, und bin mit den Rheinländern immer gut ausgekommen", fuhr der militärisch aussehende Mann fort.
Roman Fischer begann das Gesprächsthema zu wechseln, denn er wollte nicht lang und breit über banale Dinge des alltäglichen Lebens reden.
„Entschuldigen Sie mich bitte, wenn ich mich in Schweigen hülle, denn ich habe in den letzten Tagen eine schlimme Erkältung durchgemacht, und ich bin noch nicht ganz gesund. Außerdem fühle ich mich müde und abgespannt, am liebsten würde ich mich etwas ausruhen.“
Der Offizier verstand den eindeutigen Hinweis, rückte etwas von ihm ab, und verstummte enttäuscht. Doch der Düsseldorfer konnte nicht so schnell Ruhe und Entspannung finden. Halb im Schlaf bemerkte er, wie die Frau vor ihm dick geschminkt war, und einen mit Blumen geschmückten Hut trug. Den neben ihr sitzenden Ehemann, ein kleines Männchen, dem man die vielen geduldig ertragenen Ehejahre ansah, stieß sie unsanft mit dem linken Ellenbogen und herrschte ihn an:
„Hör mal, das ist das erste- und das letzte Mal, dass ich mit dir nach Amerika fliege. Ich habe so ein komisches Gefühl im Magen, es wird bestimmt etwas passieren.“
„Aber, aber ich bitte dich Elfriede, was soll denn passieren? Wir fliegen doch in einem deutschen Flugzeug erster Qualität, so ein Flug ist die normalste Sache der Welt."
Er saß tief im Sessel versunken, blätterte in einem Buch und sprach unverständliche Sätze vor sich hin. Der arme Mann wusste in seiner Verlegenheit nicht wohin er schauen sollte. In seiner Verwirrung richtete er seinen Blick ausgerechnet auf die schönen Beine einer Stewardess, die eilig vorbeilief.
„Lass das, Herbert.“ Seine Frau hatte es sofort bemerkt. Sie packte einen Arm, als wollte sie ihn anketten. Wie du dich wieder benimmst", zischte sie.„Hör lieber auf das, was ich dir sage. Hier stimmt etwas nicht. Ich habe so ein ungutes Gefühl, und es wird bestimmt etwas passieren. Du wirst es schon sehen."
Roman Fischer, der jetzt gespannt lauschte, war die Müdigkeit vor dem Einschlafen vergangen. Er lächelte amüsiert vor sich hin und fragte sich, welche Pläne wohl diese nicht mehr jungen Leute in Amerika vorhaben.
Die Passagiere, die sich in der Nähe befanden, waren auf den Streit des allein stehenden Ehepaars aufmerksam geworden und schauten neugierig herüber. Nur eine junge Frau mit einem kleinen Kind auf den Armen interessierte sich nicht für die streitbaren Paar. Die junge Mutter streichelte und liebkoste ein schlummerndes Kind, das sich unruhig hin und her bewegte.
Das Flugzeug flog jetzt über London in Richtung Schottland hoch über silbergrauen Wolken, die wie Wattebäusche aussahen. Aus dem Lautsprecher ertönte die Stimme des Chefpiloten, der sich an die Fluggäste wandte.
„Meine Damen und Herren, der Kapitän und die Besatzung begrüßen sie an Bord der TRISTAR 500. Wir haben jetzt genau neun Uhr fünfundvierzig, und wir werden voraussichtlich um fünfzehn Uhr zehn in Miami Ortszeit landen. Wir haben ausgezeichnete Witterungsverhältnisse und fliegen auf einer Höhe von elftausend Metern. Wir wünschen eine angenehme Reise.
„Gott sei Dank, nur sechs Stunden", raunte die Blumen-Hut-Frau zu ihrem Mann, „wenn da nichts passiert, dann gibt es noch Wunder auf der Welt.“
„Nicht sechs Stunden fliegen wir, sondern zehn, wegen der Zeitverschiebung", versuchte der Ehemann ihr zu erklären, was ihm aber die zanksüchtige Ehehälfte nicht abnahm.
„Was du schon weißt, von wegen mehr Stunden fliegen, das glaube ich nicht", konterte sie aufgebracht. „Glaub` was du willst, aber lass mich in Frieden", brummelte der Mann zurück und duckte sich in seinen Sitz.
Eine junge Stewardess kam mit einem rollenden Servierwagen den Mittelgang entlang. Es war die junge
Dame, die der kleine Mann so verwegen betrachtet hatte. Sie war mittelgroß und zierlich, und lächelte beruhigend im fein geschnittenen Gesicht mit dem leicht geöffneten Mund. Unter dem hellen Haar wölbten sich schmale Brauen über strahlenden Augen, die lächelnd dem neugierig aufschauenden Düsseldorfer in die Augen blickte. Er verspürte wenig Appetit auf die Fruchtsäfte, die sie anbot, aber er nahm ein Glas, weil sie ihn so ansah, als täte er ihr einen persönlichen Gefallen. Als sie ihm das Getränk reichte, berührten flüchtig ihre Finger seine kräftige, braungebrannte Hand. Er lächelte ihr zu, und sie lächelte zurück. Er konnte er sehen, wie sie leicht errötete und sich abwandte. Doch schon hatte sie sich wieder gefasst und wandte sich an den daneben sitzenden Fluggast.
„Möchten Sie etwas trinken oder zu essen haben?"
doch der Angesprochene, dieser grauhaarige, pensionierte Offizier schüttelte unmerklich den Kopf und sagte abweisend: „Nein danke. Nichts.
„Nach ein paar Minuten beugte sich der Düsseldorfer Amerikareisende vorsichtig nach vorn, um eine Zeitung aus dem Gepäcknetz zu angeln. Vor ihm schien das Ehepaar sich weiter zu streiten.
„So ein Unsinn. Wenn ich schon höre. Du musst fliegen, um einmal etwas zu erleben, ausgerechnet, du!“ Der kleine Mann griff schüchtern nach einem Bonbon und wickelte ihn aus.
„Wirf das Papier nicht in den Aschenbecher, dafür ist er nicht da", musste er sich vorwurfsvoll anhören. Roman Fischer lehnte sich zurück und versuchte in der Bordzeitung zu lesen. Der Offizier aus Aachen blies verächtlich die Luft durch die Nase und spottete höhnisch.
„Eine bunt zusammen gewürfelte Gesellschaft befindet sich hier an Bord, finden Sie das nicht auch so?"
Er machte eine missbilligende Kopfbewegung zu den übrigen Reisenden.
„Ich habe diese Maschine nur genommen, um bei Gelegenheit rechtzeitig nach El Paso zu gelangen. Sehen Sie sich nur an, was sich da alles ein Stelldichein gibt, von weinenden Babys bis zänkischen Weibern ist hier alles vertreten. So etwas gab es früher nicht. Aber heutzutage? Ich habe immer gesagt. Wenn wir erst einmal so weit sind, dass jeder überallhin fliegen kann, dann ist es vorbei. Dann bleibt man besser zu Hause. Sehen Sie bloß, wie alle hier angezogen sind. Als ob sie am Strand wären.
Roman Fischer war vom Geschwätz seines Nachbarn wenig angetan. Für seinen Teil hatte er nichts an seinen Mitreisenden auszusetzen. Das Baby störte ihn nicht, die keifende Frau vor ihm belustigte ihn nur, und an den übrigen Passagieren gab es wirklich nichts auszusetzen. Die anderen Mitreisenden würden sich bestimmt nicht so zugeknöpft und formell gekleidet haben wie der Offizier. Und nicht alle Anwesenden schienen so unerträglich zu sein. Besonders die zum Teil hübschen jüngeren Frauen in ihren luftigen Sommerkleidern, fand Fischer, waren eine Augenweide.
Sein Nachbar fuhr fort. „Und was sagen Sie zu diesen beiden dort vorne? Haben Sie sich die schon angesehen? Wollen Sie mir vielleicht weismachen, dass diese harmlosen Menschen Ferienreisende sind?“
„Wen meinen Sie? Die beiden Herren dort?“
Er fragte so gleichgültig wie möglich. Er wollte seinen Nachbarn nicht aufregen, aber die beiden Männer waren ihm auch schon aufgefallen. Es waren südländische Typen, und sie sahen, ehrlich gestanden, nicht danach aus, um Vertrauen zu erwecken. Sie waren beide dunkel gekleidet, hatten dichtes, glänzendes Haar und verwegene Gesichter. Man konnte sie für Mafiosis halten.
„Es würde mich nicht wundern, wenn sie etwas im Schilde führten", flüsterte der pensionierte Offizier leise.
„Ich habe sie die ganze Zeit beobachtet. Sie sehen alle wenigen Minuten auf die Uhr. Und dann die Tasche, die sie zwischen sich stehen haben! Sehen Sie nur, wie sie festhalten. Weiß der Teufel, was sie darin versteckt haben. Ich würde mich nicht wundern, wenn es eine Bombe wäre.“
„Eine, eine was?“ fragte der Sitznachbar ungläubig.
„Aber ich bitte Sie, wie kommen Sie denn darauf. Das glauben Sie doch selbst nicht im Ernst."
Sein Nachbar schlug die langen Beine übereinander und verzog das Gesicht.
„Ich war im Krieg in Nordafrika, dazumal war ich noch jung, aber schon zu der Zeit habe ich solche Typen kennen gelernt. Da! Sehen Sie nur, jetzt schaut der rechts schon wieder auf seine Uhr. Und wie sie dasitzen! Starr! Ich sage Ihnen, solche Leute sind zu allem fähig."
Der Angesprochene lehnte sich zurück und unterdrückte einen Seufzer. Er hatte wirklich langsam genug. Der Mann neben ihm sah anscheinend Gespenster. Er zuckte die Achseln. Unter dem Vorwand zum Waschraum gehen zu müssen, ließ er den Offizier allein zurück. Aber vor der Toilette blieb er stehen und sah sich unwillkürlich noch einmal um. Er war überzeugt, dass die beiden dunkel gekleideten Herren ganz gewöhnliche Geschäftsleute waren, die ungeduldig schnell zu neuen Geschäften eilten.
Als Roman Fischer an seinen Platz zurückkehrte, war sein Nachbar eingeschlafen, was er mit Zufriedenheit feststellte. Endlich konnte er sich bequem zurücklehnen und sich ausruhen. Der Düsseldorfer versuchte auch zu schlafen, doch seine Gedanken wanderten weit voraus. Vor seinem geistigen Auge sah er sein Reiseziel, die Millionenstadt Miami auf der Halbinsel Florida, deutlich im hellen Sonnenlicht. Unwillkürlich durchströmte ihn ein berauschendes Gefühl von Abenteuerlust und ungesättigter Freiheit. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm, dass es noch mehrere Stunden dauern würde, bis er das erste Ziel seiner Amerikareise erreicht haben würde. Doch der recht eintönige Flug über den Atlantik verlief ruhig und ohne Wetterturbulenzen. Über die kleinen Fernseh-Monitoren flimmerte ein amerikanischer Unterhaltungsfilm, den die meisten Passagiere mit Spannung verfolgten. Zweimal wurde ein Bordimbiss serviert, der von vielen gern angenommen wurde. Die Befürchtung aber trat nicht, ein, keine Bombe ging hoch, wie es der Offizier vermutete, sondern als nach fast sieben Stunden das Flugzeug sich langsam senkte und stetig an Höhe verlor, ertönte wieder die ruhige Stimme des Kapitäns aus dem Lautsprecher: „Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten landen wir auf dem Flughafen von Miami. Bitte schnallen Sie sich an und verharren Sie auf ihren Sitzplätzen so lange, bis die Maschine ihren Halteplatz erreicht hat. Es ist jetzt genau fünfzehn Uhr Ortszeit, die Crew von TRISTAR 500 verabschiedet sich nun und wünscht Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Amerika.
„Es klickte leise aus dem Lautsprecher; die sympathische ruhige Stimme des Kapitäns verstummte.
Unruhe machte sich im Flugzeug bemerkbar. Die meisten Passagiere konnten kaum die Landung erwarten. Neugierig und vom langen Flug erschöpft wollten sie so schnell wie möglich amerikanischen Boden betreten. Selbstredend fragte sich der Karibikforscher Fischer: „Werde ich jemals einen von den Mitreisenden wieder treffen?“ Und er traf jemanden, aber einen, von dem er es nicht erwartet hätte.
Die Erledigung der Einreiseformalitäten nahm einige Zeit in Anspruch, und manche Amerikabesucher wunderten sich nicht wenig, über die vielen Fragen, die dabei zu beantworten waren. Umso größer war danach seine Freude, als Fischer zum Ausgang zustrebte und von hellem Sonnenlicht begrüßt wurde. Eine fast endlose Reihe Taxis, die zur Aufnahme der Neuankömmlinge bereit standen, warteten geduldig in der brütenden Hitze.
„Sasson-Hotel please, on the Collins Avenue", wandte sich der Deutsche in einwandfreiem Schulenglisch an einen baumlangen Taxifahrer, der langsam herangefahren kam.
„Okay, okay", brummte der dunkelbraune Farbige und half ihm das Gepäck in den Kofferraum zu verstauen.
„You are from Germany?“ fragte der Fahrer, wobei er kaum die Lippen bewegte.
„Yes, yes, I am on holidays here", antwortete der Deutsche unsicher und schaute interessiert auf die vielen Straßenkreuzer auf den breiten Stadtstraßen.
Ein Wagen nach dem anderen brauste den Highway entlang, ein faszinierendes Bild für jeden Amerikabesucher. Nach einer halben Stunde hatte er sein Hotel erreicht, und der Taxifahrer bedankte sich für das reichliche Trinkgeld. Fischer bestellte beim freundlichen Kassier in der Empfangshalle ein helles Einzelzimmer für drei Tage. Der ältliche Mann bedankte sich und nannte eine Zimmernummer auf der fünften Etage.
„Kann ich bei Ihnen ein Auto mieten, ich wollte morgen nach Cap Canaveral fahren, um mir das Space Center anzuschauen", wandte sich Fischer an den Empfangschef.
„Oh, yes, natürlich", strahlte ihn ein nicht mehr junger Mann an, „wir haben alles für unsere Gäste und bemühen uns ihre Wünsche zu erfüllen.
Die erste Nacht auf amerikanischem Boden war für Fischer ungewohnt. Er hatte vergessen die Klimaanlage einzuschalten, und als er frühmorgens aufwachte, fröstelte ihn ein wenig. Die Morgentoilette war schnell verrichtet und als er, der sich als deutscher Tourist ins Gästebuch eingetragen hatte, den Frühstücksraum betrat, überraschte ihn das recht magere Angebot an Essen und Trinken. Die Gäste holten sich selbst ihren Kaffee oder den Tee am Selbstbedienungsautomaten und brachten auch das Geschirr zurück zu einem Geschirrspülautomaten. Auf einem Sideboard lagen geschnittenes Toastbrot und trockene Croissant-Teilchen, die man mit Marmelade oder Butter bestreichen konnte. Fischer, der das reichliche Frühstücksangebot in Deutschland vermisste, begnügte sich mit einem belegten Schinkenbrötchen und einem Glas Orangensaft. Nachdem er seinen Zimmerschlüssel an der Pforte abgegeben hatte, begab er sich danach zu seinem bereitstehenden Mietwagen. Er kontrollierte dessen Fahrbereitschaft und drückt auf den Anlasser. Vorsichtig reihte er sich in die endlose Kette der vorbeifahrenden Autos ein. Ein Gefühl der Freiheit und Zufriedenheit erfüllte ihn, als er bei strahlendem Sonnenschein die Richtung zum Space Center einschlug.
Doch die Fahrt dahin war beschwerlicher, als er sich das vorgestellt hatte. Dafür aber war die Rundfahrt im Betriebs-Bus ein Erlebnis, das er so schnell nicht vergessen sollte. Die einzelnen Ausstellungstücke aus der Raumfahrtechnik, die über einhundert Meter lange Trägerrakete und die großen Hallen und Wirtschaftsgebäude, wirkten imponierend auf alle Besucher. Mit einem Besucherbus, in dem es angenehm kühl war, wurden die Gäste über ein riesiges Gelände gefahren. Und die Erläuterungen des fachkundigen Fahrers wurden mit großem Interesse verfolgt. Als er nach der fast zweistündigen Rundfahrt auf dem riesigen Parkplatz sein Auto suchte, konnte er es nirgendwo finden. Er dachte schon, Diebe hätten es gestohlen.
„Suchen Sie Ihren Wagen?“ sprach ihn ein Mann in blauer Uniform an.
„Oh yea, Touristenauto wieder falsch geparkt, steht hinter dem Drahtzaun, nicht hier, wo nur Werksangehörige parken dürfen“.
Nachdenklich fuhr Roman Fischer zum Hotel zurück und war froh, dass er die erste selbständige Autofahrt unbeschadet überstanden hatte. Am nächsten Morgen fuhr er zum Disney-World -Area, das ihm neben seinen vielen Attraktionen auch einen guten Überblick vom American-Way-of-Life verschaffte. Der Tagesausflug war sehr anstrengend gewesen, und als er abends müde und erschöpft ins Hotel zurück kam beschloss er am nächsten Morgen die Reise fortzusetzen. Nach dem Frühstück bezahlte er seine restlichen Unterbringungskosten und lud danach das Gepäck in den Mietwagen. Er beschloss nach Key West zu fahren, zu einem kleinen Städtchen, auf der äußersten Spitze der Halbinsel Floridas gelegen.
Dort angekommen, besuchte er zuerst das Ausbildungs-Camp für Manager und Führungskräfte vom Dachverband der amerikanischen Industrie- und Handelsgesellschaften.
Ein Museum mit reich bebilderten Exponaten der Heeresstreitkräfte, von Luftwaffe und Marine faszinierte die Besucher ungemein stark. Als er in der Eingangshalle die Ausstellungsstücke betrachtete, vernahm er erstaunt, wie er unverhofft mit seinem Namen angesprochen wurde.
„Hallo, Mister Fischer, nun warten sie doch, kennen Sie mich nicht mehr? Ich bin der Nachbar von ihrem Flugzeug.“
Im ersten Moment wusste er nicht, von was für einem Flugzeug der Fremde sprach. Doch dann erkannte er ihn. Er war es, der Offizier, vom Hinflug nach Miami. Dieser war wirklich schwer zu erkennen gewesen. Er trug blaue Jeanshosen, ein offenes rotes Hemd, auf dem Kopf einen hellbraunen Hut mit einem Büschel Vogelfedern.
„Nanu, Sie sind es? Sind Sie unter die Farmer gegangen, ich hätte Sie nicht wieder erkannt, was machen Sie denn hier?"
„Das darf ich Ihnen nicht sagen", konterte er geheimnisvoll, „ich bin inkognito hier, man soll mich nicht erkennen."
„Und warum haben Sie mich denn angesprochen?“ wollte der Düsseldorfer wissen.
„Weil Sie Deutscher sind, und meine Landsleute sind mir immer lieb und teuer, am liebsten im Ausland.“ Fischer wusste nicht recht, was er von dieser Aussage halten sollte. Meinte er es ehrlich, oder versteckte er sich hinter zweideutige Ausreden? Wenn der pensionierte Offizier im Flugzeug nicht seinen Vorstellungen entsprach, so sah er in dieser Maskerade noch scheußlicher aus. Unter einem Vorwand verabschiedete er sich alsbald. Er suchte sein abgestelltes Fahrzeug auf und fuhr danach zu einem Hotel, wo er nur eine Nacht verbringen wollte. Im engen Zimmer funktionierte die Klimaanlage halbwegs, und Roman Fischer studierte bei offenem Fenster seine nächste Reiseroute. Eine tiefe Stimme rief vom gegenüberliegenden Balkon zu: „Hallo, Mister, ich bin ihr Nachbar, darf ich Sie was fragen?“
Ein robust aussehender Mann, mittleren Alters schaute fragend herüber, lächelte dabei über das ganze Gesicht und zeigte seine weißen Zähne.
„Natürlich, fragen Sie nur, was wünschen Sie von mir?"
„Oh, Sie sind Deutscher, ich höre es an Ihrem Akzent, meine Eltern kamen aus Old Germany, aus Frankfurt, wissen Sie!“
„Ja und, was kann ich für Sie tun?“
„Ich wollte Sie fragen, ob Sie ein knife haben, ein Messer sagen Sie auf Deutsch, ich habe eine Dose Ananas-Saft, die ich nicht aufbekomme."
Der rothaarige Amerikaner reichte dem Deutschen eine Pine-Apple-Dose und grinste ihn an. Mühelos öffnete der Angesprochene die Büchse und gab sie ihm zurück.
„Oh, thank you", presste er zwischen den Zähnen vorbei und bedankte sich in breit gezogenem amerikanischen Englisch.
Roman Fischer war noch nicht müde und ging zur Hotelbar, die sich unten im Hinterhof befand. Dort saßen nur wenige Gäste, die sich gelangweilt auf leichten Korbstühlen herumräkelten. Die schwülwarme Luft, die von draußen hereinströmte, trieb den Colatrinkenden Schweiß aus den Poren. Der Deckenventilator drehte sich nur langsam, und schaffte es nicht für Abkühlung zu sorgen. Nach kurzem Aufenthalt an der Theke, wo er ein eisgekühltes Erfrischungsgetränk getrunken hatte, ging Fischer langsam zum Strand hinunter. Er schlenderte gemütlich Schritt für Schritt, genoss dabei die erfrischende Abendluft, die vom Meer her wehte. Unzählige Sterne funkelten hell am nachtklaren Himmel, und seine Gedanken schweiften weit in die Ferne. Zwei Männer gingen vor ihm her, sie unterhielten sich über Politik, schimpften auf die Regierung und den Präsidenten, wie er aus den Wortfetzen entnehmen konnte, die der Wind herantrug. Roman, der deutsche Amerikabesucher, beschleunigte seine Schritte und steuerte auf eine Bank zu, auf der schon ein älterer Mann saß.
„Good evening Sir, ist hier noch ein Platz frei?"
Der Mann nickte, rückte etwas beiseite und antwortete mit singender Stimme.
„Si, si, senjor, setzen Sie sich nur hin, die Bank ist für alle da!"
Dem Aussehen nach konnte man ihn für einen Südamerikaner halten, sein Sombrero hatte er in den Nacken geschoben und wischte sich mit einem bunten Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Nach einer Weile räusperte er sich vernehmlich, drehte sich etwas zur Seite und fragte.
„Perdone senjor, habla usted espanol?"
Der Deutsche antwortete mit seinem Schulenglisch.
„Entschuldigen Sie mich, ich verstehe zwar leidlich Spanisch, aber ich kann es nicht gut genug sprechen!“ „Wissen Sie, mein Herr, „fuhr er auf spanisch fort", seitdem Touristen unser Land überschwemmen, hat sich vieles verändert, nirgendwo kann man Ruhe finden, überall werden Hotels gebaut, die Umwelt wird zerstört, das Klima verändert sich."
Fischer wollte nicht unhöflich sein und antwortete nach einer kurzen Weile freundlich lächelnd.
„Si, si, senjor, you are right. Sie haben vollkommen Recht!"
Der Südamerikaner sprach noch lange über alle Veränderungen in Amerika und in Mexiko, wobei er betonte, dass die meiste Schuld an der Umweltzerstörung die amerikanischen Touristen hätten.
„Die Amerikaner, das müssen Sie wissen, sind von Natur aus bequem und sie achten nicht auf die Schönheit der Umwelt. Sie werfen alles weg, was sie im Moment nicht brauchen."
Fischer gab sich wohlweislich nicht als Tourist zu erkennen, und als er dem alten Mann erklärte, er wäre aus Deutschland hergekommen, um die spanische Sprache zu erlernen, hellten sich seine Gesichtszüge auf.
Nach einer Weile begann er von einer Insel zu erzählen, die auf keiner Landkarte verzeichnet wäre, und die von jeglichem Tourismus bis heute unberührt geblieben wäre. Der alte Mann machte Roman Fischer mit seiner Erzählung neugierig, und als er ihm den Fünfdollarschein in seine Jackentasche steckte, fuhr er eifrig fort.
„Wissen Sie, diese Insel, die in keinem Buch erwähnt wird, kenne ich persönlich. Sie befindet sich hier ganz in der Nähe. Ich war einmal für zwei Monate dort, aber für mich ist es da unten zu einsam. Wenn Sie die Ruhe lieben, keinen besonderen Komfort verlangen, dort auf dieser Insel können Sie ganz ungestört und billig leben. Außerdem ist das Klima dort sehr gesund, es gibt kaum Temperaturunterschiede, es ist immer warm. Das Wetter ist dort noch besser, als hier auf Florida! Und wenn sie sich für die exotische Pflanzenwelt interessieren, dort kommen Sie auf Ihre Kosten."
Als Fischer ihn nach dem Namen der Insel fragte, tat er so, als ob er seine Frage nicht gehört hätte. Er sprach vielmehr von der allgemeinen Verteuerung der Lebenshaltungskosten, beklagte sich über die vielen Veränderungen auf allen karibischen Inseln. Fischer steckte ihm noch eine Fünfdollarnote in die andere Jackentasche. Der Mann rückte näher heran. Er betonte jedes Wort halb in spanischer, halb in englischer Sprache.
„Wenn Sie allein sind, und die Welt kennen lernen wollen, dann fahren Sie morgen früh mit dem Schiff „Okreta“ zu dieser kleinen Insel, die von den Einheimischen Palaosa genannt wird, was soviel wie „Glückliche“ bedeutet.“ Das Wort Palaosa sprach er andächtig, fast geheimnisvoll aus, als ob das Eiland auch das Ziel seiner Träume wäre.
„Diese Insel, die sich vor den großen Bahamas befindet", fuhr er fort, „wird nur von wenigen Menschen bewohnt. Es gibt dort keine Hotels, und Sie leben dort bestimmt ganz ungestört!"
Der Deutsche holte eine Landkarte von Mittelamerika hervor, hielt sie ihm vor die Augen und bat ihn die Stelle zu zeigen, wo diese unbekannte Insel liegen sollte. Er schüttelte energisch den Kopf und sagte singend.
„No, no senjor, diese kleine Insel ist auf keiner Karte eingezeichnet, sie gehört niemandem, dorthin kommen auch keine Touristen!“
Neugierig geworden, beschloss der Deutsche die Insel aufzusuchen, denn er zweifelte an der Tatsache, dass es im zwanzigsten Jahrhundert noch Orte auf der Erde gibt, die nicht von Regierungen verwaltet würden. Zu seinem Zufallsbekannten gewandt sagt er.
„Muchas gracias, vielen Dank für Ihren Ratschlag, der bestimmt von mir befolgt wird. Aber wo, und wann kann ich das Schiff finden, um mit dem Kapitän zu sprechen?“
„Das ist ganz einfach zu finden. Gehen Sie zum Hafen bis zum Leuchtturm auf der rechten Seite. Etwa einhundert Meter davon entfernt, liegt das Schiff vor Anker. Es ist leicht zu erkennen, weil es nicht nur mit einem Dieselmotor angetrieben wird, sondern auch zwei Masten mit rotweißen Segeln hat. Sie müssen wissen, dass das Schiff OKRETA ein Versorgungsdampfer mittlerer Größe ist, der einmal im Monat diese Insel ansteuert, um die wenigen Eingeborenen, die dort leben, mit dem Nötigsten zu versorgen. Wenn ich Zeit hätte, würde ich mitfahren. Aber leider, ich erwarte meinen Schwiegersohn, der fährt auch zur See, aber auf einem anderen Schiff. Im Hafenamt haben sie mir gesagt, dass die „Noelia", so heißt das Schiff auf dem mein Schwiegersohn Dienst macht, erst für morgen früh angesagt ist."
Der alte Mann hatte offensichtlich Langeweile und hätte noch weiter erzählt, wenn ihn nicht Roman Fischer unterbrochen hätte.
„Oh, vielen Dank, muchas gracias für Ihre Auskünfte, Sie haben mir sehr geholfen, senjor, adios!"
Der Deutsche ging zum Hotel zurück, beglich die Rechnung für den Kurzaufenthalt und begab sich auf sein Zimmer. In der Nacht schlief er unruhig, und am anderen Morgen stand er sehr zeitig auf, um rechtzeitig den Hafen zu erreichen. Ein Taxifahrer, der die ganze Nacht vor dem Hotel gestanden hatte, ohne eine Fuhre zu bekommen, freute sich verhalten, als Fischer ihn bat, die vielen Gepäckstücke aufzuladen und mit ihm hinunter zum Hafen zu fahren. Nach nicht zu langem Suchen wurde die OKRETA entdeckt, die zwischen den großen Dampfern ziemlich unscheinbar aussah. Die Sonne ging blutrot im Osten auf, ein schwacher Wind wehte vom Meer, und nur wenige Menschen hielten sich im Hafen auf. Nach einigen Minuten stand der Karibikfahrer mit viel Gepäck vor dem Laufsteg zur OKRETA. Sie war ein nicht mehr neues Schiff, das mit großen Kisten und Ballen beladen wurde. Als er einem vorbeieilenden Matrosen nach dem Kapitän des Schiffes fragte, zeigte dieser auf eine Kabinentür, an die der Deutsche klopfte.
„Herein!“ Vernahm er die barsche Stimme des Kapitäns.
Ein kräftig gebauter Mann, schätzungsweise vierzig Jahre alt, den man sich gut als die Verkörperung eines „Seebären“ vorstellen konnte, blickte den Hereintretenden misstrauisch an. Mit einem langen Schnurrbart, der nach unten gebogen, ihm einen mürrischen Gesichtsausdruck verlieh, saß er hinter einem eisernen Schreibtisch, auf dem mehrere Seekarten lagen. Auf einem Regal aus Holz stand ein Erdglobus, neben ihm lagen mehrere Bücher. Auf der rechten Seite, hinter dem Kapitän auf der mittleren Wandseite, war das amerikanische Sternenbanner angebracht, der dem Zimmer einen amtlichen Anstrich verlieh. Das Bild des ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter hing an einem rostigen Nagel. In der linken Ecke des Kapitänsbüros stand ein eiserner Tresor, in den höchstwahrscheinlich Wertsachen eingeschlossen wurden. Die Kapitänsmütze lag auf einem einfachen Holzstuhl und auf seiner Rücklehne hing sein nicht allzu reines Jackett. Hemdsärmelig, mit starken Backenknochen und kräftigem, eigenwilligen Kinn im braungebrannten Gesicht, das von einem Schopf dunklen Haares umrahmt wurde, machte er keinen guten Eindruck. Das gelbliche, vom vielen Kaffeetrinken gefärbte Gebiss, wurde durch eine Zahnlücke unterbrochen, in die sich beim Sprechen die Zungenspitze drängte. Mit neugierigem Augenaufschlag musterte er den eintretenden Besucher, der nun vor ihm stand, und der sich für einen Moment fragte, ob er sich ihm anvertrauen sollte. Um den Kapitän nicht zu verärgern, wandte sich der Deutsche mit höflichem, stark akzentuiertem Schulenglisch an ihn.
„Excuse, I want to go to Palaosa! To the island of Palaosa, please, zur Insel Palaosa, bitte!"
Der schnauzbärtige Kapitän war überrascht und zugleich belustigt, über diese für ihn seltsame Bitte, die in so knapper Form zusammengefasst, niemand je zuvor ihm vorgetragen hatte.
„Aha, typisch Ausländer! Die reden alle so!“ durchzuckte es den Seebär, und er hob irritiert die Achseln. Um sich zur Ruhe zu zwingen, schluckte er erst einmal sein Erstaunen herunter, dann vergewisserte er sich nochmals mit breitem amerikanischen Slang.
„Where do you want to go?“
„Nach Palaosa, eine Insel hier in der Nähe, wenn Sie die kennen „, erwiderte Fischer unsicher, „ein Indio hat mir gesagt, dass Sie noch heute dorthin auslaufen.
„Was für ein Indio, wer hat Ihnen das erzählt?“ fragt der Seebär misstrauisch.
„Seinen Namen hat er mir nicht genannt, er sprach, dass die OKRETA jeden Monat dorthin fährt, und dass es dort sehr schön und ruhig sein soll.“
„Sind Sie Deutscher?“ fragte der Kapitän Stirn runzelnd.“
„Ja, das bin ich, ich komme aus Germany und ich möchte mir sehr gern die Südseeinseln näher anschauen."
Ohne eine weitere Frage zu stellen, nahm Fischer klugerweise einen Hundertdollarschein aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. Der Kapitän schaute zuerst auf das Geld, dann auf ihn und brummte dazu.
„Na gut, weil Sie es sind, aber es soll eine Ausnahme sein, bringen Sie Ihr Gepäck aufs Schiff!"
Nachdem er das Geld weggesteckt hatte, erhellten sich die Gesichtszüge des Kapitäns, und etwas freundlicher fuhr er fort.
„Ich mag die Deutschen, sie wissen wenigstens, was sich gehört. Sie wissen, dass für Geld fast alles zu haben ist."
Er lächelte dabei anerkennend, was ihm aber gar nicht stand.
„Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Kabine, sie befindet sich leider neben der Küche, und wenn Sie das nicht stört, dann können Sie mitfahren!“
Zum Zeichen seines Einverständnisses versuchte der deutsche Karibikforscher ein breites amerikanisches okay nachzuahmen, das ihm aber nur halb gelang. Ohne Zeit zu verschwenden ging er von Bord, um sein Gepäck zu holen. Ein herumlungernder Indiojunge half ihm die nicht wenigen Taschen und Seesäcke in eine winzige Einzelkabine zu tragen, die hellblau gestrichen war. „Wie soll ich nur all mein Gepäck hier Platz sparend unterbringen?“ fragte er sich leise murmelnd.
Der Kapitän, der hinter ihm stand, hatte seine Worte verstanden und meinte aufmunternd.
„Wenn Sie nicht alles unterbringen können, daneben in der Küche ist noch genug Platz, dort können Sie auch etwas abstellen.
„Ungern bejahte der Angesprochene den Vorschlag, war aber so umsichtig, die wertvolleren Sachen in seiner Schlafkoje zu verstecken.
„Die Fahrgäste auf der OKRETA", betonte der Kapitän nachdrücklich, „dürfen aber keine besonderen Ansprüche stellen."
Das Schiff, ein mittelgroßes Segelboot mit Hilfsmotor, wurde vom Kapitän und sieben Mann Besatzung als lohnende Nebenerwerbsquelle genutzt. Die Seeleute, außer dem Koch und dem Kapitän, bestanden meist aus Einheimischen von der Insel Palaosa. Diese dunkelbraunen, von der Sonne verbrannten Männer freuten sich darauf, bald wieder bei ihren Frauen und Kindern zu sein. Plötzlich ertönte die Schiffssirene mit tiefem, anhaltendem brummigem Geheule, und Fischer schrak zusammen. Kurz darauf klopfte der Kapitän an die Kabinentür und schlug ihm vor, aufs Deck zu kommen, um vom Hafen Abschied zunehmen. Die OKRETA entfernte sich langsam vom Kai, und einige Zurückgebliebene winkten den Davonfahrenden mit bunten Tüchern und Hüten zu. Roman Fischer, der Kapitän und alle Besatzungsmitglieder drängten sich an die Reling und winkten zurück. Das langsam fahrende Schiff fuhr an einem Ozeanriesen vorbei, zog danach nach Osten ab, um die Richtung zu den Bahamas-Inseln einzuschlagen. Nach ein paar Minuten ging Roman, der einzige Fahrgast zurück in seine Kabine und sah durchs kleine Kabinenfenster, dass die Sonne schon hoch am Himmel stand. Das Festland verschwand langsam hinter dem Horizont, und da es auf dem Schiff sehr warm geworden war, zog sich der Deutsche eine leichte Sommerhose und ein Hemd mit kurzen Ärmeln an. Er wechselte sein Schuhwerk, und in leichten Sandalen fühlte er sich gleich viel wohler. Kaum hatte er die Kleidung gewechselt, da klopfte es wieder an die Tür seiner Behausung. Der Kapitän stand vor ihm und begann mit tiefer Stimme.
„Wenn Sie Hunger haben und essen wollen, dann kommen Sie zu mir in meine Kabine. Bei mir ist mehr Platz, und wir können uns etwas unterhalten. Jetzt, wo wir aus dem Hafen heraus sind, habe ich mehr Zeit für meine Gäste!"
In der Kapitänskabine befand sich ein nicht großer Tisch, davor standen zwei eiserne Stühle, und daneben ein Liegesofa, worauf der Kapitän sich niederließ. Der Tisch war für zwei Personen gedeckt worden. Eine große Schüssel mit Salat, duftenden Bratkartoffeln und Rühreier war vorbereitet worden. Daneben stand eine Flasche Rum mit zwei Gläsern. Der Kapitän ließ es sich nicht nehmen, seinen Passagier noch einmal herzlich zu begrüßen und schenkte ihm als Willkommenstrunk ein volles Glas Rum ein.
„Ich hoffe, Sie werden sich auf meinem Schiff wohl fühlen, trinken Sie ein Glas auf unser aller Gesundheit, das kann nie schaden. Ich wünsche Ihnen eine gute, erfreuliche Reise und viel Erfolg!"
„Cheerio - salute y dinero wie der Spanier sagt."
Der Kapitän machte nach dem ersten großen Schluck den Vorschlag sich mit Vornamen zu nennen.
„Hallo Mister, my name is Billy, wie heißen Sie denn?"
„Man nennt mich Roman - Roman Fischer ist mein voller Name, und ich komme aus Düsseldorf."
„Ach, so genau will ich es gar nicht wissen. Aber sag mal, was machst du denn so, was treibt dich hierher in diese gottverlassene Gegend?“
„Für mich ist diese Gegend keineswegs gottverlassen, im Gegenteil, sie ist äußerst interessant und deswegen bin ich ja hierher gekommen."
„Ach, papperlerpapp, das sagst du bloß so daher, oder bist du vielleicht ein versnobter Millionär?“
„Ich bin kein Millionär, bin auch nicht versnobt, ich bin ein pensionierter deutscher Staatsbeamter und schaue mir die Welt an.
„Roman, wie du es gut hast, du brauchst nicht mehr zu arbeiten und von deiner Rente kannst du solche Reisen machen. Bei uns in Amerika gibt es so etwas nicht. Das kann ich mir nicht einmal gönnen. Gern würde ich eine Reise nach Deutschland machen, und obwohl ich nicht schlecht verdiene, kann ich es mir nicht leisten, Europa anzuschauen. Die Preise für den normalen Lebensunterhalt sind bei uns zu hoch.“ Roman Fischer hatte nicht die Absicht gleich am ersten Tag mit dem Kapitän über finanzielle Unterschiede in der Besoldung und Lebenshaltungskosten diskutieren. Dazu war er zu müde und abgespannt. Lächelnd wandte er sich deshalb an den Amerikaner.
„Weißt du was Billy? Amerika und die Karibik sind von der Natur so reich ausgestattet worden, dass das Geld doch keine große Rolle spielen sollte. Ihr habt doch fast alles. Ihr habt reiche Bodenschätze, seit 150 Jahren hat euch kein Krieg heimgesucht, den Amerikanern geht es doch wesentlich besser als wir es in Europa haben, was wollt Ihr noch mehr?"
Der Kapitän mäßigte nach dem zweiten Glas Rum ein wenig seine überlaute Stimme und mit freudestrahlendem Gesicht bemerkte er augenzwinkernd.
„Ja, ja, du hast schon Recht, ich habe ja das nur zum Spaß gesagt, denn was wäre aus Amerika geworden, wenn keine Leute aus der alten Welt zu uns gekommen wären? Ohne Immigranten und Touristen, so was kann ich mir gar nicht vorstellen."
Um das Thema zu wechseln fragte Fischer neugierig.
„Wie lange werden wir eigentlich unterwegs sein, bis wir auf Palaosa landen?"
„Das hängt vom Wind und vom Wellengang ab, es kann zwei Tage dauern, es kann auch das Doppelte daraus werden."
Der deutsche Seefahrer trank langsam aus seinem Rumglas und fuhr freundlich lächelnd fort.
„Sag mal Billy, wie kommst du denn mit den Indios zurecht?"
„Ach, das ist kein Problem, die Männer sind arbeitswillig. Nur sie sind das Tempo von weißen Arbeitern nicht gewohnt. Sie haben eine ganz andere Mentalität. Schlimm war es, als mein Vorgänger auf diesem Schiff, ein strenges Reglement eingeführt hatte. Das war vor fast zwei Jahren, ich war damals sein Stellvertreter, da gab es auf dem Schiff eine Meuterei, die Indios haben sich geweigert, die harten Arbeitsbedingungen von den weißen Matrosen zu übernehmen. Einige sind verschwunden, darunter auch der Indio-Koch John von der Insel Palaosa. Um diesen tat es uns leid, für die anderen haben wir schnell Ersatz gefunden. Heute lasse ich meine Leute gewähren, ich kann sie ja auch verstehen, in dieser stetigen Hitze, die hier in den Tropen herrscht, das macht die Menschen träge und müde, das zehrt an der Arbeitskraft.
Roman Fischer fing an zu gähnen und hielt sich eine Hand vor den Mund.
Ach, entschuldige, du sprichst gerade von Müdigkeit, das ist ansteckend, ich bin müde geworden, und wenn du nichts dagegen hast, dann verziehe ich mich in meine Kabine."
„Nein, nein, ich habe nichts dagegen, leg dich ruhig hin, ich wünsche dir eine gute Nacht. Mache aber das Fenster zu, damit die Moskitos dich nicht zu sehr stechen!"
Das Schaukeln des Schiffes hatte den deutschen Karibikbesucher in unruhigen Schlaf sinken lassen. Er träumte, auf einer Insel zu sein, wo ein Rudel wilder Löwen zu einer Wasserstelle raste, und dabei sich auf zwei junge Zebras stürzten, die dort ihren Durst stillten. Das eine Zebra, wurde vom ersten Löwen im Maul weggetragen, die anderen Wildkatzen trotteten hinterher und brüllten laut, als ob sie sich auf das Fressen freuen würden. Plötzlich verwandelte sich das Zebra in eine Schlange, die den Löwen in den Hals biss, so dass dieser das Maul schmerzerfüllt aufriss, und die Schlange im hohen Bogen aus dem Rachen ins nahe Wasser hinein spuckte, dass es hoch aufspritzte. Im Halbschlaf fasste sich Roman an den Kopf und spürte wie seine Stirn feucht war. Er war nass geschwitzt, der Traum war Gott sei Dank wie weggeblasen, und im Schein des Mondes, der tief am Himmel stand, wischte er sich mit einem Taschentuch trocken. Aus einer Flasche trank er kühles Sodawasser und schlief wieder ein. Als der Morgen graute und der rote Sonnenball aus dem Meer stieg, schreckte ihn monotones Knattern aus dem Schlaf. Der Schiffsmotor war eingeschaltet worden und tuckerte eintönig. In der Nacht war der Wind abgeflaut, und das Schiff stand fast still. Der nächste Tag war für den deutschen Passagier mit einigen Überraschungen verbunden. Zum Frühstück rief ihn der Kapitän zu sich, und erkundigte sich in seiner trockenen Art.
„Na, Roman, wie hast du geschlafen? Hat dich nicht der Klabautermann heimgesucht?"
„Nee, das nicht, aber ich fühle mich seekrank, mir dreht sich alles im Magen, ich musste mich schon an der Reling übergeben."
„Ja, ja, das geht allen Menschen so. Aber das macht nichts. Ein leerer Magen, hält eher die Schaukeln aus. Am besten du verdrückst dich in deine Kabine, und trinkst schwarzen Tee, den ich dir gleich bringe.“
Es vergingen keine zehn Minuten, als der Kapitän mit Tee und drei saftigen Zitronen an seinem Bett stand und ihn zum Trinken aufforderte.
„Nimm auch eine von den Zitronen dazu, aber ohne Zucker, der Saft erzeugt in deinem Magen die nötige Darmflora, damit du danach wieder Appetit bekommst."
Und so geschah es auch. Gegen Abend bat Roman, wie ihn der Kapitän kurz nannte, um eine Portion Pommes-Frites mit frisch gebratenem Thunfisch, die ihm gut bekam.
„Ach Billy, wie bin ich froh, dass meine Seekrankheit so schnell verschwunden ist, ohne deinen guten Ratschlag hätte ich es nicht geschafft.“
Der Kapitän wollte ihm wieder Rum einschenken, aber der gerade erst Gesundete lehnte dankend ab. In den folgenden Stunden segelte das Schiff mit Hilfe des Dieselmotors langsam, aber sicher, zu den Bahamasinseln hin. Als nach drei Tagen das Schiff sich der Insel Palaosa näherte, die in nicht weiter Entfernung zu sehen war, läutete die Schiffsglocke eindringlich. Der Kapitän rief mit dröhnender Stimme. „Alle Mann an Bord, wir landen in fünf Minuten."
Zu seinem einzigen Passagier gewandt begann er.
„My dear Roman, ich hoffe, es hat dir auf meinem Schiff gefallen, leider sind wir nicht auf Personenbeförderung eingestellt, so dass ich dir keinen Komfort anbieten konnte. Wenn wir bald an unserem Reiseziel ankommen, dann bitte ich dich, sage niemandem etwas von dieser Fahrt auf meinem Schiff. Ich habe offiziell keine Genehmigung für Passagierbeförderung, ich möchte keine Scherereien haben!"
Trotz einiger Unzulänglichkeiten auf dem Schiff, über die sich Fischer geärgert hatte, versprach er dem Kapitän, nichts von seiner Schiffspassage zu erzählen.
„Ich verstehe schon Billy, ich weiß, dass ich keinen Komfort erwarten konnte, und Gott sei Dank ist ja alles gut gelaufen. Ich würde mich freuen, wenn wir uns in drei Monaten wieder sehen, denn so lange will ich auf dieser Insel bleiben, dann will ich wieder heimfahren."
Der „Seebär“ schüttelte dem deutschen Passagier die Hand und versprach ihm, nach der Landung einen Matrosen abzustellen, der ihm helfen sollte, das Gepäck ans Land zu bringen.
„Roman, wenn ich dir noch einen Rat geben darf, ich habe an Bord genug zu essen und zu trinken, wenn du etwas für die nächsten Tage brauchst, dann sage es ruhig. Mein Lagerverwalter verkauft dir jede Menge von allen Dingen, die du brauchst, und das sogar zum Bordeinkaufspreis."
Roman nahm das Angebot des Kapitäns gerne an, schüttelte ihm zum Abschied kräftig beide Hände und wünschte ihm noch viele Jahre gute und ertragreiche Schiffsfahrten. Er war später froh, dass er seine Vorräte aufgefüllt hatte, denn wie er nach wenigen Tagen feststellen konnte, auf der ganzen Insel gab es kein Geschäft, in dem man diese Sachen kaufen konnte. Auf dem Schiff bekam er ohne Schwierigkeiten alles, was für einen Alleinreisenden von Nöten war. Wehmütig packte der Deutsche seine Gepäckstücke und verstaute sie auf einem stabilen Handwagen, den er mit einer Plastikplane überspannte. Ungeduldig wartete auf das Anlegen des Schiffes. Die Schiffsirene ertönte noch einmal laut dröhnend, dass es in den Ohren schallte. Ein junger Indio fand sich ein, um dem Karibikinselforscher zu helfen, die Gepäckstücke ans Land zu bringen. Endlich hatte er das unbekannte Eiland erreicht, mitten zwischen den vielen bewohnten und unbewohnten Südseeinseln. Das erste, was dem Inselforscher auffiel, war die Stille und Ruhe, die im kleinen Hafen für Schiffe und Boote herrschte. Ein paar halbnackte Indios erhoben sich träge vom steinharten Boden, streckten verschlafen ihre Glieder und kamen mit Jubelrufen zur Gangway des Versorgungsdampfers gelaufen. Sie wussten, heute können sie sich wieder ein paar Dollar verdienen und sich das kaufen, was sie dringend benötigten. Wie Kinder, die vom Weihnachtsmann beschert werden, liefen sie und tanzten an der Anlegestelle herum und konnten kaum das Festmachen des Schiffes erwarten. Ehe Roman Fischer, als einziger Passagier von Bord gehen konnte, kamen sie die schmale Treppe hoch gelaufen, um sich beim Kapitän zur Arbeit zu melden.
„Stopp - Stopp, alle Männer bleiben stehen, ihr müsst warten, bis der Barkeeper hochkommt. Der muss die bestellten Waren in Empfang nehmen, und er teilt euch zur Arbeit ein."
Der Barkeeper, ein älterer Mestize, kräftig gebaut mit dunklen, langen Haaren, die wie eine Pferdemähne ihm auf den Rücken fielen, brachte seinen Assistenten mit und begrüßte den Kapitän mit einer tiefen Verbeugung. Erst jetzt konnte Fischer seinen hochbeladenen Wagen vorsichtig die steile Treppe herunterziehen, wobei ihm der Indio behilflich war. Die Sonne schien heiß, Roman Fischer sah noch, wie sich die einheimischen Hilfskräfte in einer Reihe auf dem Schiffsdeck aufstellten und auf die Arbeitseinteilung warteten. Unschlüssig schaute er auf seinen Gepäckwagen und überlegte, was am besten zu tun sei. Seine Blicke richteten sich auf einen uralten amerikanischen Jeep, der langsam angerollt kam und mit laufendem Motor in seiner Nähe stehen blieb. Der Fahrer, ein breitschultriger junger Indio, musterte den Neuankömmling mit prüfendem Blick. Roman hob die rechte Hand zum Zeichen, dass er ein Taxi wünschte. Der Indio musterte ihn sekundenlang, näherte sich, und brachte in gebrochenem Englisch hervor: „What you want?“
„Hallo Sir, good morning, ich habe eine Bitte, können Sie mich zu einem Hotel bringen, ich möchte hier Urlaub machen!"
Der Angesprochene verzog sein Gesicht zu einem grinsenden Lächeln, das sich freundlich aufhellte, als er ihm einen Zehndollarschein in die Hand drückte. Der Jeepchauffeur, mit schwarzem, lockigem Haar, das ein freundliches braungebranntes Gesicht umrahmte, hatte das Wort Hotel scheinbar nicht verstanden, er schüttelte sein gutmütig dreinblickendes Gesicht und schaute den Schiffspassagier verständnislos an.
„Un hotel por favor", sprach der Weiße auf Spanisch zu ihm. Der Indio unterbrach sein Grinsen und presste ein langgezogenes Okay - okay - heraus. Dann kratze er sich am Hinterkopf, murmelte ein paar unverständliche Worte und zog die Handbremse an. Fischer konnte nur erraten, dass er ihn irgendwo hinbringen wollte. Mit Händen und Füßen machte er ihm klar, dass er alles gut bezahlen wolle.
„I want to eat, I want to sleep."
Er versuchte es nochmals auf Spanisch: „Quiero comer, quiero dormir, ich möchte essen, ich möchte schlafen!"
Der hoch gewachsene Indio schaute ihn einen Augenblick an, dann öffnete er mit einladender Handbewegung die einzige, schief hängende Seitentür, die noch am Wagen vorhanden war. Wortlos nahm der Fahrer das Gepäck und verstaute es vorsichtig auf dem Rücksitz und im Kofferraum des altersschwachen Oldtimers. Der Inselforscher kümmerte sich darum, dass alles auf den Wagen kam. Eine wasserdichte, große verschließbare Ledertasche, in der er das Handgepäck aufbewahrte, nahm er mit nach vorn und stellte sie neben den Fahrersitz. Den ledernen Geldbeutel mit wichtigen Papieren und Ausweisen befestigte er so am Hosengürtel, dass man ihn von außen nicht sehen konnte. Dann bestieg er erwartungsvoll das voll beladene Gefährt und setzte sich auf den freien Sitzplatz neben dem Fahrer. Den leeren Handwagen hatte der Indio unter eine Palme geschoben und ihn mit mehreren Palmwedeln zugedeckt. Danach kletterte er auf den Fahrersitz, lächelte den Deutschen aufmunternd zu und steckte einen verbogenen Autoschlüssel ins Zündschloss. Er drehte kräftig nach rechts und bald ertönte ein stotterndes Geräusch. Der Anlasser war eingeschaltet, der nach ein paar Aussetzern den Motor zum Drehen brachte. Der Mitfahrer sah, wie der Indio die Handbremse löste, den ersten Gang einlegte und etwas Gas gab. Mit einem Ruck sprang der Wagen nach vorn und fing an, sich in Bewegung zu setzen, rollte langsam auf einen unbefestigten Weg zu, der mehr einem Pfad glich. Roman Fischer schaute fragend auf den jungen Chauffeur und sprach aufmunternd.
„Let us go to the hotel! Vamos, zum Hotel, bitte!"
Stolz wie ein echter Spanier wiederholte der Indio. "Vamos al hotel!"
Die Fahrt ging in südlicher Richtung am Meeresufer entlang.
„Wohin fahren wir?“ fragte der Weiße.
„Ist es weit bis zum Hotel?“ Der braune Indio-Fahrer blickte freundlich ins Gesicht seines Gastes und presste mit rostiger Stimme hervor.
„Tata ...tata ...jo tata ...!"
Dass tata kein Hotel sein konnte, war für Roman Fischer klar. Aber was sollte das tata, tata bedeuten? Was sollte er tun? Auf der Straße anhalten, die mehr und mehr einem Trampelpfad ähnlich aussah, war zwecklos. Der Wagen rollte langsam über Stock und Stein auf einem unbefestigten Weg, etwa drei Kilometer weit immer in Strandnähe am Meer entlang. Das altersschwache Vehikel fuhr unter hohen Palmen entlang, die sich majestätisch im Winde wiegten. Rechts und links wuchsen Hibiskussträucher und Weihnachtssterne, die über das saftige Grün von Schilfgräsern hinausragten. Eine paradiesisch schöne Landschaft tat sich vor den Augen der Autoinsassen auf. Nur das unregelmäßige Knattern des alten Jeeps störte die ruhige Tiefebene, auf der in der Ferne ein paar Hüttenhäuser zu erkennen waren. Als der Jeep näher kam, waren in den Vorgärten rote und weiße Blumen zu erkennen, die in ihrer bunten Mannigfaltigkeit in allen Farbschattierungen blühten. Eine Welt tat sich auf, die im europäischen Raum nicht vorstellbar wäre. Wenn einer gesagt hätte, die Insel sei ein paradiesischer Garten mit der üppigsten Flora, die in der Natur vorkommt, so könnte man dies mit ja bestätigen. Ein paar braune Kinder, die nackt herumliefen, passten in die Vorstellung eines Paradieses, das wohl nirgendwo mehr auf der Welt zu finden ist. Der voll beladene Jeep rollte langsam an ein paar Hütten vorbei, die ohne Türen und Fenster, unbewohnt zu sein schienen. Als einige Kinder das Auto heran nahen sahen stießen sie Laute aus, die sich wie Jubelrufe anhörten. Nach etwa zehn Minuten hielt der Fahrer vor einem Haus, das nur teilweise aus Holz gebaut war. Es war auch größer, als die anderen Hütten in der nächsten Umgebung. Der Unterbau auf ebener Erde war aus groben Natursteinen zusammengefügt, das Dach aber aus trockenen Palmenwedeln zusammengefügt. Der Indio machte eine Handbewegung, Roman Fischer sollte aussteigen. „Wieder sprach er sein komisches tata tata ...aus, zeigte auf das Haus, und er begriff, dass er hier in diesem Haus wohnen sollte. Am liebsten wäre er zurück zum Hafen gelaufen, so groß war seine Enttäuschung. Aber wie sollte er dahin kommen? Die Sonne neigte sich schon merklich dem Untergang zu, und er musste schnell sein Gepäck ins Haus bringen, um für die Nacht eine Bleibe zu haben. Der Fahrer nahm die einzelnen Gepäckstücke mit kräftigen Armen aus dem Auto und legte sie unter eine Art Sonnendach, das aus Palmenblättern und bunten Kunststoffplanen zusammengebastelt worden war. Das Haus selbst mit Wellblechteilen umrahmt machte einen soliden Eindruck. Eine Außentreppe führte zum oberen Stockwerk, wo sich drei kleinere Zimmerchen befanden. Aus den Fenstern ging der Blick zum nahen Meer hin. Der Neuankömmling ging nachdenklich hinter das Haus um sich die Füße zu vertreten. Hier entdeckte er große Gemüsebeete, die teilweise schon abgeerntet waren. Der junge Indio folgte ihm und rief zweimal laut: mato - mato, worauf eine ältere Frau erschien, seine Mutter nach dem Aussehen zu urteilen.
Sie lächelte den Weißen freundlich an und sprach in schwer verständlichem Englisch.
„Good morning - sir! Mit vielen spanischen Worten, gemischt mit englischen, unterstützt mit Handbewegungen, erfuhr der Inselbesucher, dass er bei ihr wohnen könnte.
„Was kostet die Miete für einen Monat?“ Die Frau spreizte die Finger von beiden Händen, das soviel wie zehn Dollar bedeuten sollte.
Roman Fischer legte gleich fünfzig Dollar hin, worauf ihm die Wohnungsmieterin aus Dankbarkeit, die Hände küssen wollte.
„Nein, nein - no senjora, das ist schon gut so, wenn Sie wollen, ist das die Miete für drei Monate. Aber jetzt sagen Sie mir, wie viel muss ich für Essen und Trinken bezahlen?“ Sie streckte zweimal alle Finger vor, das bedeutete noch 20 Dollar pro Monat für volle Verpflegung. Die Überraschung war groß. So eine billige Bleibe zu finden einschließlich voller Verpflegung, das war wirklich ein Glücksfall.
Roman Fischer gab ihr nochmals 50 Dollar dazu und macht ihr verständlich.
„Es ist gut so. Very well, danke vielmals, ich nehme ein Zimmer, ich werde Ihnen keinen Ärger machen!“ wiederholte er nochmals freundlich und verbeugte sich lächelnd.
„Bitte bringen Sie mir das Gepäck in mein Zimmer, aber vorsichtig!“ wandte sich der neue Mieter an den Sohn des Hauses. Ohne etwas zu erwidern, ergriff er seine Koffer, zwei Stück auf einmal, und ging die Treppe hinauf ins windschiefe Zimmer, welches für den Gast aus Deutschland vorgesehen war. Der Raum, etwa zehn Quadratmeter groß, hatte eine Tür die sich von innen verriegeln ließ. Ein kleines Fenster, hatte sogar eine Jalousie, mit einem Gardinchen darüber, die als Sonnenschutz diente. Mit seiner Reisemaschine unter dem Arm folgte Fischer dem Eingeborenen die Holztreppe hinauf. Ein alter Gartentisch mit dem dazugehörigen hölzernen Stuhl stand in einer Ecke, eine Art Liege mit trockenem Maisstroh gefüllt, befand sich gegenüber vor dem kleinen Fenster. Zwei Decken aus Schilfrohr geflochten, sollten als Bettzeug dienen. An einer Wandseite befanden sich in Manneshöhe mehrere Eisenhaken, darüber ein Bord, worauf man Kleinigkeiten ablegen konnte. Der Fußboden war mit Reisstrohmatten ausgelegt. Roman Fischer war enttäuscht. Hier sollte er wohnen? Eine deutsche Gefängniszelle war besser ausgestattet. Es gab keinen Ofen, noch Licht oder Heizung im Zimmer. Ehe er sich seiner Enttäuschung hingeben konnte, hatte der Indio alle Sachen hochgebracht. Mit Händen und Füßen machte er sich verständlich, der Gast sollte mit ihm nach unten kommen. Der junge Indio führte ihn hinter das Haus, wo sich ein Ziehbrunnen befand, davor standen zwei Blecheimer mit lauwarmem Wasser gefüllt. Er zeigte dem weißen Mieter, wie und womit er sich waschen konnte. Weiter hinten im Garten, unter einer alten, halb umgefallenen Palme, könnte er seine Notdurft erledigen. „Very well, schon gut, ich habe alles verstanden", antwortete Roman. Und um seine Enttäuschung zu überspielen, gab er dem Eingeborenen zwei Dollars, die er dankend einsteckte. Er verbeugte sich mehrmals und sagte doba, doba, das offensichtlich so viel wie gut, very well bedeuten sollte. Der deutsche Gast ging hinauf in sein Zimmer, um in der nächsten halben Stunde seine Sachen zweckmäßig unterzubringen. Auf der einen Wandseite hing sogar ein vergilbtes Heiligenbild, ein Lichtblick in dem spärlich eingerichteten Zimmer. Das einzige Fenster mit dem Ausblick zur Südseite ließ sich öffnen und schließen. Aus ihm heraus konnte er das nahe gelegene Meer sehen und hören. Ein beruhigendes Rauschen der ewig sich hin und her bewegenden Wellen drang bis ins geschlossene Zimmer. Der Gast aus Germany atmete aufatmend die lauwarme Meeresluft ein. „Ach, wie herzerfrischend, eine wahre Wohltat! „murmelte er zu sich selbstredend. Die Sonne ging langsam unter, der Abend näherte sich und ein paar Wölkchen hingen romantisch am sich verdunkelnden Himmel. Solange es noch hell genug war, ordnete der Inselgast aus Deutschland seine Habseligkeiten und beschloss, beizeiten schlafen zu gehen. Von der langen Reise war er müde geworden, und er wollte am ersten Abend sein Zimmer nicht mehr verlassen. Zum Abendbrot aß Roman etwas vom mitgebrachten Reiseproviant und trank eine Colabüchse leer. In der ersten Nacht schlief Fischer gut und erholsam, ohne gestört zu werden. Als er aufwachte, schien die aufgehende Sonne durch das Fenster und kündigte einen schönen Tag an. Dann öffnete er ein Zimmerfensterchen und ließ frische Morgenluft herein. Unten im Haus war es ruhig, scheinbar schliefen noch Mutter und Sohn. Nachdem er sich angezogen hatte, ging er leise die Treppe nach unten, um zum „Stillen Örtchen“ zu gelangen. Am Brunnen standen auf einem kleinen Hocker zwei Plastikeimer voll Wasser, die offenbar für die Morgentoilette bereitgestellt worden waren. Er holte Seife und Handtuch, bald hatte er sich unter freiem Himmel frisch gemacht, was ihm sichtlich wohl tat. Er rasierte sich und wartete danach auf ein Lebenszeichen von der Vermieterfamilie. Das erste was er vernahm, war das Schnurren einer Katze. Sie lief am Haus entlang, und, als er sie erblickte, kam sie geradewegs durch die geöffnete Tür in sein Zimmer gelaufen. Das Tier begann zufrieden zu miauen, wobei es sich an sein Hosenbein schmiegte. Jetzt hörte er ein Geräusch von unten. Eine Tür wurde geöffnet, und die Katze lief wieder die Treppe hinunter. Eine Frau, die Mutter des Jeepfahrers, kam aus dem Haus heraus und ging in den Garten hinter dem Anwesen, um ihre Morgentoilette zu verrichten. Fischer wartete bis sie zurück kam, ging nach unten, um von ihr den Tagesablauf und die Essenszeiten zu erfahren. Er war hungrig, und als er ihr klarmachte, dass er frühstücken möchte, nickte sie freundlich und zeigte beide Hände mit zehn gespreizten Fingern. Das konnte nur bedeuten, dass er noch zehn Minuten warten sollte. Es dauerte noch eine Viertelstunde, als der junge Indio vom Vortag, an die Tür klopfte und ihn in ein relativ sauberes Wohnzimmer führte. Das Wohngemach bestand aus einem etwa. 30 Quadratmeter großen Raum, worin auch eine Vorratsecke eingerichtet war. In der Mitte stand ein großer Tisch, davor standen vier Stühle, in der einen Ecke stand ein kleiner Ofen, der mit Holz und trockenem Maisstroh beheizt wurde, in der anderen stützte sich eine Art Kommode an die Wand, in der Haushaltsgeräte aufbewahrt wurden. Auf der eisernen Ofenplatte standen mehrere Töpfe, in einem wurde Milch gekocht, und auf einer Bratpfanne wurden Eier gebraten. Der Gast aus Deutschland wurde gebeten, am Tisch Platz zu nehmen. Roman setzte sich so, dass er die Eingangstür sehen konnte, um mitzubekommen, was sich vor dem Haus abspielte. Seine Zimmerwirtin, seine - Mama, so bezeichnete er die ältere Frau, die von nun ihn für ihn sorgen sollte, stellte ein großes Glas mit Milch hin, dazu gab sie ihm Brot so viel er wollte und bat ihn, sich Rühreier zu nehmen. Der Anblick von Essen macht bekanntlich hungrig, und er ließ er sich dazu nicht zweimal bitten. Gesättigt stand er nach einer Weile auf und sagte doba ...doba, worauf die Frau ihn freundlich anlächelte und zu ihm ein paar Worte sagte, die er nicht verstand. Das Frühstück war bald vorbei, ohne dass ein Gespräch aufkam, weil er seine Wirtsleute nicht verstand. Er konnte sich anfangs nur mit Gesten, mit Händen und Füßen verständigen. Und in dieser Situation beschloss er, so schnell wie möglich die wichtigsten Wörter der Eingeborenensprache zu erlernen, um an ihrem Leben teilnehmen zu können. Seiner Wirtin sagte er nochmals doba, doba und machte ihr klar, ihm zu sagen, wie die Begriffe: Brot, Eier, Milch, Wasser, Ofen, Feuer, Messer, Gabel, Löffel, Topf und noch viele andere Sachen in der Inselsprache heißen. Roman, der Inselbesucher, holte einen kleinen Notizblock, und bald hatte er eine Menge Wörter aufgeschrieben, die er am ersten Tag auswendig lernen wollte. Nach einer Stunde verließ er die Wohnküche, um sich mit der nächsten Umgebung vertraut zu machen. Der Jeep vom Vortag, mit dem er gekommen war, stand noch vor der Haustür, und der junge Indio war damit beschäftigt, den Wagen mit einem alten Putzlappen zu reinigen. Fischer nutzte die Gelegenheit und näherte sich ihm, um die Notizen mit den Wörtern zu zeigen, die er auswendig lernen wollte. Langsam las er seine Eintragungen vor, und der Indio nickte einige Mal den Kopf bestätigend, verbesserte aber dabei mehrmals seine Aussprache. Am Schluss sagte er ein paar Mal doba, doba und lächelte ihm aufmunternd zu. Fischer bedankte sich freundlich und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den breiten Rücken. Das Eis war gebrochen. In den Augen des Indios war Fischer ein Mann, der etwas seltsam aussah, aber, weil er sich bemühte die Inselsprache zu erlernen, kein schlechter Mensch sein konnte.
Nach dieser freundschaftlichen Geste lud der Indio seinen Gastbesucher ein, um im Jeep Platz zu nehmen. Roman hatte verstanden, er wollte mit ihm ein Stück weiter wegfahren und half ihm dabei, den Jeep zu starten, wobei er versuchte, den Wagen von hinten schieben, und ihn dadurch in Bewegung zu setzen. Schnell sprang Roman in den Wagen, und der junge Fahrer winkte fröhlich seiner Mutter beim Abfahren zu. Langsam fuhr der Jeep den Weg zum Fischerhafen zurück, dieselbe Strecke, auf der Deutsche am Vortag gekommen war. Die Sonne war in der Zwischenzeit höher gestiegen, Roman setzte deine Sonnenbrille auf und betrachtete neugierig die nähere Umgebung. Im Hafen angekommen, stellte er fest, dass die Okreta, mit der er gekommen war, schon längst wieder die Insel verlassen hatte. Nur einige kleinere Fischerboote lagen vor Anker und wiegten sich im sanften Südseewind. Als der weiße Inselerforscher auf die Boote zuging, waren starke Männer damit beschäftigt, die in der Nacht gefangenen Fische auszusortieren. Die Fangbeute wurde mit Hilfe von Plastikwannen in ein steinernes Haus getragen, das als Verkaufshalle und Kühlhaus diente. Hinter diesem Gebäude, im wohltuenden Schatten, hatte der Indio das Jeep-Auto abgestellt. Roman bot dem Fahrer an mit ihm die nahe gelegene Bar aufzusuchen, um den lästigen Durst zu löschen. Zwei Glas Bier waren schnell serviert,
Roman erhob sein Glas und wandte sich an den jungen Indio: „Cheerio, to you my friend, prosit!“ Der Indio lächelte breit grinsend zurück, nahm einen kräftigen Schluck und schien sichtlich erfreut zu sein. Noch einmal nahm Roman den Notizblock hervor, um die neu gelernten Worte langsam noch einmal zu wiederholen. Dieses Mal ging es schon besser, er kannte einige Begriffe auswendig und bemühte sich, die Aussprache möglichst genau nachzuahmen.
Der Deutsche wollte nun erfahren wie sein junger Fahrer mit dem Vornamen hieß. „What is your name? Wie heißt du? Are you Pedro, Ramon, Juan or Alfredo?"
Roman nannte einige spanische Namen, aber der Eingeborene schüttelte den Kopf. Als er den Vornamen Pepe erwähnte, zeigte er freudig auf sich. Roman Fischer nannte seinen Vornamen und die etwas umständliche Namensvorstellung wurde mit einer weiteren Runde Bier gefeiert. Als der Weiße zum vierten Mal Bier bringen ließ, winkte der Einheimische ab. Er müsste noch fahren und wollte nicht betrunken sein, konterte er. Roman respektierte seinen Wunsch, er bezahlte beim Wirt die Rechnung und wünschte allen ein etwas stockendes good bye, auf Wiedersehen, bis morgen. Pepe antwortete mit einem freundlichen bye, bye, setzte sich in seinen Wagen und fuhr allein zu seinem Elternhaus zurück. Vorher hatte ihm jedoch Roman erklärt, dass er sich den Hafen etwas ansehen wolle, und das er nachher allein zurück käme. Er hoffe, zum Mittagessen daheim zu sein, außerdem wolle er einmal barfüßig am Meeresstrand zurück laufen. Nachdem der Indio außer Sichtweite war, schlenderte der Deutsche langsam zu einem größeren Haus, das etwas landeinwärts stand. Auf dem Weg dorthin sah er ein paar rikschaähnliche Karren, auf denen sich Körbe mit Obst und Gemüse befanden, die von Männern gezogen wurden. Neugierig blieb Roman Fischer stehen, um zu sehen, wohin die Männer mit ihren Lasten gingen. Er folgte den Männern und kam nach etwa einer Viertelstunde zu einem größeren Platz. Roman hatte einen provisorischen Marktplatz erreicht. Dort befanden sich mehrere aus Holz gefertigte Buden, die mit einem kleinen Sonnendach versehen waren. Vor den Holzbuden lagen auf der Erde, nur durch eine Plastikfolie geschützt, Bananen, Zitronen, Apfelsinen, Oliven, die zum Verkauf angeboten wurden. Gedörrte Fische und lebende Hühner waren an einer anderen Stelle zu finden, etwas weiter abseits von den Südfrüchten. Für Fischer war der Markt auf Palaosa voller Neuigkeiten und interessanten Seltsamkeiten. Nicht nur das exotische Warenangebot, sondern auch die verschiedenen Menschen, die er dort vorfand, waren für ihn eine neue Entdeckung, die er mit weit geöffneten Augen verfolgte. Auf einem ziemlich großen Platz waren etwa fünfzig Leute zu sehen, Männer, Frauen Kinder, alle bunt angezogen, ein farbenprächtiges Bild. Bekleidet waren sie nur in leichten, südländischen Anzügen und Kleidern, meistens von geringer Qualität. Viele liefen mit entblößtem Oberkörper herum. Ohne es eilig zu haben, gingen die Leute hin und her, blieben da und dort stehen, kauften ein, feilschten mit den Verkäufern, kaum laute Worte waren zu hören. Kein hektisches Gehen, Schieben oder Laufen war zu erkennen, alles verlief harmonisch in einer Ruhe, die Roman immer wieder erstaunte. Die sonstige südländische Lautstärke und Geschwätzigkeit fehlten vollends. Die Menschen waren von einem Aussehen und einer Art, die er nirgendwo mehr auf seinen Reisen zu sehen bekam. Diese Feststellung reizte ihn noch mehr „Land und Leute“ kennen zu lernen, um einen noch besseren Eindruck von der Insel zu bekommen. Zur Mittagszeit machte sich Roman auf den Heimweg zu seiner Unterkunft.
Kaum eine Stunde ging er langsam im lauwarmen Wasser am Meeresufer entlang, bis er von weitem das Haus seiner Zimmerwirtin erblickte. Dort angekommen, setzte er sich vor dem Haus auf eine Bank, die vor den heißen Sonnenstrahlen geschützt, unter einem großen Olivenbaum stand. Aus der Küche hörte er Geräusche von eifrigem Topfschlagen und Tellerrücken, und als die ältere Frau ihn bemerkte, winkte sie ihn zu sich, um am Mittagessen teilzunehmen. Es gab gebratenen Fisch mit Kartoffeln, dazu Gemüse, so dass Roman zufrieden sein konnte. Nach dem Essen bekam er noch Fruchtsaft von einer frisch geöffneten Kokosnuss, die herrlich schmeckte. Walter bedankte sich mit freundlichem Kopfnicken, very well, doba, doba. Um etwas mehr von seinen Gastleuten zu erfahren, fragte er auf Spanisch, wo sich ihr Mann befände. Und so viel er aus ihren schnell gesprochenen Sätzen heraus entnehmen konnte, würde der Hausherr in einer Stadt arbeiten, weit weg von hier. Nach dem Mittagessen ging Walter in sein Zimmer und legte sich, nur mit Badehose bekleidet, auf ziemlich ramponierte hölzerne Liege. Er hielt spanische siesta. Das Fenster in seinem Zimmer hatte er morgens mit einem gardinenähnlichen Vorhang zugezogen, so dass die Hitze nicht so stark eindringen konnte. Aus dem Notizblock las er mehrmals die neuen Wörter aus der fremden Indiosprache, und bald kannte er sie auswendig. Beim Lernen schlief er sanft ein und wachte erst auf, als die größte Hitze vorüber war. Roman beschloss zum Meer zu gehen, um sich zu erfrischen. Das Wasser war warm, klar und tiefblau. Vor dem Ufer lag ein breiter Sandstrand, der von sanft heranrauschenden Wellen überspült wurde. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, und nach ein paar vorsichtigen Schritten, begann er ins offene Meer hinaus zu schwimmen, wobei er teils von heranbrausenden Wellen getragen wurde.
Über ihm der blaue Himmel, die Sonne schien mit voller Kraft, ein paar Meeresvögel zogen kreischend ihre Runden in der Luft. Was konnte es Schöneres auf dieser Welt für ihn geben? Als Roman sich wieder am Uferstrand befand, legte er sich, nass wie er war, in den sauberen, heißen Sand. Lange brauchte er nicht zu warten, bald war er wieder von Luft und Sonne getrocknet. Als es ihm zu heiß wurde, ging er zur Bank zurück, die unter dem Sonnendach vor dem Haus stand. Seine Zimmerwirtin setzte sich zu ihm, wischte sich den Schweiß von der Stirn und fragte: „Very hot today?“ Roman Fischer nutzte die Gelegenheit zu einem Gespräch und fragte: „Was heißt das auf Palaosisch sehr heiß heute?“ Zuerst verstand sie ihn nicht, dann erfasste sie aber doch den Sinn der Frage. Langsam sprach sie drei Worte mit dem karibischen Akzent, die der Deutsche in seinem Notizblock festhielt. Noch andere Begriffe, wie zum Beispiel: Wasser, Sonne, Meer, Haus, Strand; in erster Linie viele Hauptwörter, die er sich am leichtesten merken konnte, trug er in seinen Notizblock ein, um sie später auswendig zu lernen. Beide blieben noch eine Weile zusammen und Fischer lernte von der alten Frau viele neue Wörter.
Die Dämmerung brach schnell herein, und der deutsche Gast genoss einen wunderschönen Sonnenuntergang. Um sich in der Inselsprache fortzubilden, fragte er nach Begrüßungsformeln und Verabschiedungssätzen, wie sie in der Landessprache ausgesprochen werden. Er notierte alles fein säuberlich in sein Heft und meinte, für heute genug von dieser Sprache gelernt zu haben. In der zweiten Nacht konnte Roman Fischer nicht so schnell einschlafen. Die verrücktesten Gedanken schwirrten ihm im Kopf herum. Was wollte er eigentlich auf dieser Insel machen. Würde er nicht vor Einsamkeit und Langeweile krank werden? Unter diesen primitiven Lebensverhältnissen auszuhalten, erschien ihm unerträglich. Doch die Zukunft sollte ihn etwas anderes lehren. Als er das Fenster geöffnet hatte, um frische Meeresluft hereinzulassen, sah er den Mond am mit Sternen übersäten Himmel. Noch halb im Schlaf, ließ er seinen Phantasien freien Lauf. Er fühlte sich wie auf einer Wolke schwebend hoch in der Luft. Von oben herab sah er die Insel mitten in der weiten karibischen See, über ihm der tiefblaue Himmel, ein Zustand eines unbeschreiblichen Glücksgefühls, das er nirgendwo auf der Welt jemals wieder erlebte. Diese seltsame Glückseligkeit hob ihn empor bis über die Wolken, wo er kleine Engel fliegen sah, alle weiß gekleidet, mit goldenem Gürtel und einer Krone auf den lockigen Köpfchen. Sie sangen melodische Lieder, die sich mit dem Rauschen der Luft und des Meeres vermischten. Er versuchte Worte zu verstehen, die in einer für ihn fremden Sprache gesungen wurden. Allein der Wohlklang war so beruhigend, dass er meinte, in einem tiefen Schlaf versunken zu sein. Er genoss das Singen und Schweben in einer wohltuenden Atmosphäre, die jenseits von Not und Sorgen lag. Dieser Zustand der Schwerelosigkeit und des Gefühls von Glücklichsein umfasste seinen ganzen Körper, so dass er sich von seiner Maisstrohliege erhob. Schlafwandlerisch erhob er sich, um das Fenster noch mehr zu öffnen und den Vollmond besser zu können. Die kreisrunde Scheibe strahlte hoch über der Südsee. Sein fast taghelles Licht überzog Land und Meer mit gespenstischen Farben, die kein Maler besser hervorbringen könnte. Wie lange dieser Traum dauerte, konnte Roman später nicht sagen. Die Morgenröte zeigte sich schon am Himmel, als er aufwachte und in die Wirklichkeit zurückgerufen wurde. Enttäuscht darüber, dass alles nur ein Traum war, begann er seine bisherigen Erlebnisse Revue passieren zu lassen. Er kam zum Ergebnis, dass Traum und Wirklichkeit eng zusammen liegen können, und wenn man die nötige Vorstellungskraft besitzt, kann auch aus einer harten, vermeintlich unerträglichen Situation, ein befriedigender Zustand gefunden werden. Man muss sich nur intensiv um die Besserung von Härten bemühen. Roman hatte sich zum Ziel gesetzt die Sprache der Eingeborenen so schnell wie möglich zu erlernen. Schon früher hatte er großes Interesse für fremde Sprachen gezeigt. Und nun befand er sich auf der kleinen Insel Palaosa, auf der die Bewohner ein Idiom sprachen, das in keinem Wörterbuch zu finden war. Neben vielen Wörtern die er sich pausenlos einprägte, versuchte er auch grammatische Regeln zu erlernen. Man muss wissen, dass es auf der ganzen Insel keine Schule gab, keine Zeitungen wurden herausgegeben, keine Bücher, die in dieser Indiosprache geschrieben waren, konnte man erwerben, rein gar nichts Geschriebenes. So hatte er keine Vergleichsmöglichkeiten, wie weit er den fremden Wortschatz schon beherrschte. Der Anfang war nicht leicht, das musste er nach zwei Wochen zugeben. Den alltäglichen Wortschatz seiner Zimmerwirtin beherrschte er bald, und er konnte sich mit ihr über alles unterhalten. Die Gespräche drehten sich aber meist um banale Dinge wie über: Wetter, Essen, Trinken, Schlafen, Gesundheit, Arbeit und einiges mehr, alles Themen, die tagtäglich vorkommen. Wenn Pepe nach Hause kam, gestaltete sich die Unterhaltung interessanter. Er konnte sein Alter nicht genau angeben, da er weder lesen noch schreiben gelernt hatte, noch nie etwas von einer Schule gehört hatte. Als Roman ihn fragte, ob überhaupt jemand auf der Insel eine Schule besucht hätte, schüttelte er den Kopf. Die Eingeborenen kannten kein Telefon, kein Radio und kein Fernsehen. Das einzige Wunderwerk der Technik, das Pepe als seinen größten Schatz betrachtete, war das alte Jeep-Auto.
„Pepe, mein Freund, erzähl mir mal, von wem hast du das Auto", wollte eines Tages Roman von ihm wissen, „hat es dir jemand geschenkt, oder hast du es gefunden?"
„Mein Auto", er betonte, „mein Auto", habe ich von einem amerikanischen Freund bekommen."
„Was war das für ein Amerikaner? Wie kam er auf die Insel?“ erkundigte sich Roman neugierig.
„Ich weiß nicht, wie lange es her ist, da wohnte er auch bei uns, so wie du heute, und er fuhr mit dem Auto durch die Gegend. Er hat mir das Fahren beigebracht, und mich manchmal steuern lassen. Ach, das war eine schöne Zeit. Ich bin mit ihm viel herumgefahren. Das Autofahren hat mir richtig Spaß gemacht.“
„Das glaube ich dir gerne, aber was geschah weiter mit ihm, warum ist der Amerikaner nicht mehr hier?“ „Bei einem Unglück ist er im Meer ertrunken, dann habe ich den Wagen weiter gefahren!“ Roman wollte von ihm noch mehr erfahren, als seine Mutter in diesem Moment hinzukam und ihn fragte, was er sich zum Abendessen wünsche.
„Nichts Besonderes, ich bin mit allem zufrieden, was auf den Tisch kommt, wenn es frisch und nicht zu fettreich ist!"
Das Gespräch mit Pepe hinsichtlich des Amerikaners war unterbrochen worden, und Roman nahm sich vor bei einer anderen Gelegenheit, noch einmal auf die ihn interessante Frage zurückzukommen. Pepe selbst, hatte im Moment keine Lust über die Vergangenheit zu sprechen. Fischer hielt die Zeit für gekommen, sich über Vorkommnisse des alltäglichen Lebens zu erkundigen.
„Sag mal Pepe", begann er behutsam, „wie funktioniert denn bei euch die Versorgung der Insel mit den notwendigen Bedürfnissen, wie Nahrungsmittel, Kleidung, Baumaterialien, Handwerkszeug usw. usw.“
„Ja, mein lieber Freund Roman", Pepe nannte den älteren Deutschen genauso, wie er angesprochen wurde. „Das Schiff mit dem du gekommen bist, legt normalerweise einmal im Monat an. Es bringt uns Stoffe für unsere Frauen, aus denen sie Kleider für sich, für die Männer und Kinder nähen. Auch Schuhwerk, allerlei Plastiksachen, Messer, Äxte und auch einfaches Werkzeug aus Eisen bringt uns das Schiff und bietet alles zum Kauf an."
„Aber, womit bezahlt ihr die Waren, wenn es offiziell bei euch kein Geld gibt?"
„Bei uns wird getauscht, „Ware gegen Ware", verblüffte Pepe seinen weißen Freund.
„Wir haben gedörrte Fische, Perlen die wir in Austern finden, getrocknete Weintrauben, auch zu gewissen Zeiten Südfrüchte, wenn die Erntezeit gekommen ist."
„Und das genügt, um eure Lebensbedürfnisse zu befriedigen?"
„Wir sind ja auch genügsam und mit dem zufrieden, was uns die Natur auf der Insel bietet", erwiderte Pepe selbstgefällig. Seine Mutter fügte hinzu: „Es ist aber doch nicht einfach auf der Insel Kinder großzuziehen. Und das mit dem wenigen Geld, das wir von Weißen bekommen, wenn sie manchmal zu uns kommen. Von denen erhalten wir amerikanische Dollars oder spanische Peseten, die uns sehr viel bedeuten. Für Geld können wir auch in der Bar am Hafen und beim Schiffskoch vieles kaufen."
Sie seufzte nachdenklich, und man sah es ihr an, dass sie noch viele Wünsche offen hatte, die sie sich nicht erfüllen konnte.
Die folgenden Tage waren für Roman bei den freundlichen Indios sehr abwechslungsreich. Fast jeden Tag lernte er etwas Neues dazu. Er machte sich eifrig Notizen, und wenn er Zeit hatte, schrieb er mit seiner kleinen Reiseschreibmaschine die ersten Seiten für einen Roman über die Erlebnisse in der Karibik. Oftmals unternahm Roman einen Morgenspaziergang bis zum Hafen. Dort bestellte er sich ein Bier oder auch zwei, gab auch schon manchmal eine Runde aus, und bald war er bei den Fischern ein gern gesehener und beliebter Gast. Der „weiße Mann", wie er überall genannt wurde, war bei vielen bekannt, und da er sich gern und oft mit ihnen unterhielt, verging die Zeit auf der Insel wie im Flug. Roman konnte sich bald fließend mit den Einheimischen unterhalten, das für ihn von großem Vorteil war. Er studierte ihre Lebensgewohnheiten, die ihn immer wieder erstaunten. Er war der erste Weiße, den die Inselbewohner ohne Argwohn voll akzeptierten. In ihren einfachen Booten fuhren sie, meistens zur Abendzeit, weit hinaus aufs offene Meer, legten dort Netze aus, die mit Hilfe langer Stricke frühmorgens ans Land gezogen wurden. Alle verwertbaren Fische, die in Netzen gefangen waren, wurden fachgerecht verarbeitet. Viele Fische wurden gleich am Meeresufer ausgenommen, um sie auf großen Ästen von Palmen an der Sonne trocknen zu lassen. Ein Teil der Fische wurde von Frauen für die Mahlzeiten geholt, jede Frau nahm sich so viel, wie sie tragen konnte. Diese frischen Fische und verschiedene Meerestiere waren bei den Indios Hauptbestandteil jeder Mahlzeit. Die Fischer führten ein karges, aber zufriedenes Leben. Das Meer brachte so viel ein, dass sie sich und ihre Familien zum großen Teil davon ernähren konnten. Für Roman Fischer war der Spaziergang zum Barkeeper immer eine willkommene Abwechslung. Die Bar, war keine richtige Bar in unserem Sinne. Ein großer Tisch stand unter einem hoch aufgewachsenen Palmenbaum, seitwärts waren aus Blättern Schutzwände errichtet worden. Hinter dem Tisch stand ein bärtiger Mestize, der mit seinem Angestellten auf ein paar große Petroleumfässer aufpasste, in dem sich Trinkwasser befand. Neben dem Tisch standen Bänke und Stühle aus Holz, und unter dem großen Tisch standen mehrere Kisten voller Dosenbier und Coca Cola. Diese Getränke brachte die Okreta, wenn sie von Key-West herübersegelt kam. Das Bier und die Cola werden aus der Dose getrunken, die leeren Büchsen waren begehrte Sammelobjekte für die Kinder. Die Bar wurde nur von Männern besucht, Frauen wurden dort nicht geduldet. Der bärtige Mestize und auch andere Fischer schienen Blut von weißen Vätern in sich zu haben. Höchstwahrscheinlich hatten sich in der Kolonialzeit ein oder mehrere Spanier auf der Insel verirrt, und für Nachwuchs gesorgt! Von der westlichen Zivilisation waren nur karge Ansätze zu erkennen. Sie liefen nicht wie früher alle nackt herum, die meisten waren bekleidet, aber erst ab einem Alter von zehn Jahren. Mit diesen Indios führte der Deutsche lange Gespräche und stellte bald fest, dass ihr Wortschatz sehr begrenzt war. Genau wie seine Wirtin, hatten sie keine Ahnung, was draußen in der Welt vor sich ging. Sie alle hatten noch nie die Insel verlassen, und woher sollten sie Kenntnisse von einer anderen Welt nehmen? Der Weiße hatte sie im Glauben gelassen, er wäre nur auf die Insel gekommen, um ihre Sprache zu studieren. Sie waren stolz darauf, dass ein Weißer zusammen mit ihnen wohnte, dass er sich für ihre Kultur und Sprache interessierte. Anderen Weißen gegenüber waren sie sehr misstrauisch. Roman hatte den Eindruck, dass das Unrecht, welches die Kolonisten vor Jahrhunderten den Indios angetan hatten, bei diesen Ureinwohnern noch nicht vergessen war. In ihnen lebte das Misstrauen allen Fremden gegenüber unvermindert fort. Sie lehnten eine generelle Zivilisation ab. Dadurch konnten sich die Inselbewohner eine große Selbstständigkeit bewahren. Die Eigenständigkeit drückte sich auch in ihrer Sprache aus.
Fischer stellte fest, dass sie grammatikalisch gesehen nur drei Hauptzeiten kannten: die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft. Die Nennform von Tätigkeitswörtern konnte mit wota = gestern, disa = heute, juto = morgen verbunden werden, und schon war ein Satz in einer anderen Zeit gebildet. Mit dem Wörtchen - jeso - wurde die Möglichkeitsform gebildet, so einfach war der Satzbau der Inselsprache. Sie machten keinen Unterschied, wenn es um die Mehrzahlbildung bei den Hauptwörtern ging, die Substantive blieben immer gleich. Sollte wirklich einmal etwas in der Mehrzahl wiedergegeben werden, dann wurde das entsprechende Substantiv mehrmals wiederholt. Dazugehörige Adjektive veränderten sich niemals. Die Adverbienbildung war von der Adjektivbildung nicht zu unterscheiden. Einzelne Sätze wurden durch Zusammenfügen von Wörtern gebildet wodurch es manchmal schwer war, den genauen Sinn der Sätze zu erkennen. Sie machten Pausen beim Sprechen, aber, ob hier, oder dort ein Komma oder Punkt hingehörte, das konnte Roman, der weiße Inselerforscher, nie feststellen. Die Zahlenbildung war einfach zu erlernen. Sie kannten auch das Dezimalsystem, aber für elf sagten sie zehn und eins, für zwölf zehn und zwei und so weiter, und so weiter. Für Hundert sagten sie zehn Mal zehn, für Tausend sagten sie zehn Mal hundert und so konnten sie mit Hilfe von Multiplikationen und Zusammensetzungen, alle Zahlen bilden. In ihrer Zeitrechnung waren sie schon im Jahr 3512 angekommen, wie sie zu dieser Zahl kamen, konnte der Deutsche nicht ergründen. Als Zahlungsmittel kannten sie nur den Dollar, der vom amerikanischen Festland gekommen war. Peseten hatten sie von den Spaniern kennen gelernt. Gold und Silber waren ihnen als Wertgegenstände bekannt. Sie waren wahre Meister in der Keramikherstellung. Sie formten aus Ton fast alle Formen von Schüsseln, Tellern und Krügen, die zum täglichen Leben gebraucht wurden. Alle Glaswaren, Kunststoffe und Papiererzeugnisse waren eingeführte Waren, die auf der Insel nicht hergestellt wurden. Diese Waren wurden dementsprechend behandelt, d.h. man ging mit ihnen sehr sorgsam um. Roman sah nirgendwo irgendwelche Papierfetzen oder Abfälle, die noch zu etwas zu gebrauchen waren. Ihre Kleidung war zweckmäßig und einfach.
Die Männer liefen meistens mit nacktem Oberkörper herum, wobei manche sich tätowiert hatten, wie es die nordamerikanischen Indianer taten. Für die einheimischen Inselbewohner gab es keinen Sonntag, keine Feiertage, jeder Tag war gleich dem anderen. Nur zwei große Feste gab es im Jahr, die von allen beachtet wurden. Das waren die Sommersonnenwende und die Wintersonnenwende. Diese beiden Termine wurden mit Nichtstun gefeiert, die Hütten und Häuser wurden geschmückt, Lieder wurden gesungen, es wurde getanzt und eine Fröhlichkeit war zu spüren, die aus dem Herzen kam.
In jedem Dorf gab es einen Ältesten, dem ein paar junge, kräftige Männer zu Seite standen. Ihre „Gesetze „ waren Überlieferungen über Sitten und Gebräuche, die seit Urzeiten strikt eingehalten wurden. Wenn es einmal Streit oder Meinungsverschiedenheiten gab, wurden diese dem Ältesten vorgetragen, der eine Versammlung einberief, woran sich alle Dorfbewohner beteiligen konnten. An so einer Versammlung hatte auch Roman Fischer teilgenommen und war erstaunt, mit welcher Ruhe und Gelassenheit geredet wurde. Der Älteste hatte das letzte Wort, und er fällte nach Anhörung von Anschuldigungen beider Parteien, ein Urteil. Sein Urteil und seine Anordnungen wurden befolgt. Von einem religiösen Leben hatte Walter kaum etwas mitbekommen. Die Indios glaubten an die allmächtige, Lebens spendende Sonne, die sie fast jeden Tag spürten, das war die Verkörperung des Guten. Die Nacht mit Sturm und Regen und Gewitter verkörperte das Böse, vor dem man sich hüten sollte. Aber warum, weswegen sollte man sich davor hüten, das konnte keiner ihm erklären. Als er ihnen sagte, ohne Regen wäre doch kein Leben möglich, dass nach jeder Nacht wieder die Sonne käme, wurde das als Naturgegebenheit hingenommen, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Drei große Feste gab es im privaten Bereich jeder Familie. Das waren die Geburt, die Heirat und das Begräbnis. Die Geburtstage wurden genau so groß wie bei uns gefeiert. Die ganze Dorfsippe kam zusammen, und die junge Mutter musste sich sieben Tage nach der Geburt beim Ältesten des Dorfes einfinden, der den Segen für ein gesundes Leben in der Gemeinschaft gab. Die Inselbewohner stellten aus angesäuerten Weintrauben ein Getränk her, das auch einen leichten alkoholischen Gehalt hatte.
Dieses Saft-Getränk wurde viel getrunken, und nach einer gewissen Zeit stellte sich bei vielen eine gesteigerte Heiterkeit ein, die aber nie zu einem Betrunkensein führte. Roman nahm an mehreren Geburtstagsfeiern teil, machte sogar mit seinem Fotoapparat Aufnahmen, und auf den Bildern kann man erkennen, wie ausgelassen und fröhlich die Inselbewohner feiern können. Das größte Fest aller Feste war die Hochzeit. Daran nahm die ganze Dorgemeinschaft teil. Ob die jungen Brautleute, wie es in Indien noch üblich ist, von den Eltern füreinander bestimmt wurden, das konnte Walter nicht feststellen. Es wurde in einem sehr frühen Alter geheiratet, wobei der junge Mann nach der Hochzeitszeremonie zu den Eltern seiner Frau zog, um dort bei der Familie dabei zu sein und auch dort zu arbeiten. Der Älteste war in der Regel ein reicher Mann, sein Haus war besonders groß und schön, bei ihm fanden auch die Hochzeitsfeiern statt. Unter großen Bäumen, die Schatten spendeten war eine Art abgetrennter Hof gebaut worden, mit erhöhten Sitzplätzen aus Steinen, auf denen in einem großen Kreis sich die Hochzeitsleute Platz nahmen. In der Mitte saßen auf zwei hölzernen Stühlen die jungen Brautleute. Davor stand ein vierbeiniges Tischchen, das mit Blumen und Girlanden geschmückt war. Auf reich dekorierten Schüsseln wurde ein Hochzeitsmahl serviert, das aus mehreren Gängen bestand. Dazu tranken sie aus tönernen Hochzeitsbechern das alkoholhaltige Mixgetränk aus Weintrauben, Zitronen und Apfelsinen. Dieses Getränk schmeckte ähnlich wie der spanische Sangria-Wein. Obwohl diese Sangria ähnliche Getränk bei vielen anderen Gelegenheiten getrunken wurde, waren die Leute davon nie richtig groggy, wie man bei uns in Deutschland sagen würde. Angetrunkensein und Betrunkensein, das sind zwei verschiedene Zustände, die frei, fromm, fröhlich sein können oder abstoßend wirken. Sogar den kleinen Kindern wurde dieses Getränk schon in frühester Jugend gegeben. Vielleicht ist das der Grund, dass die Indios keinen richtigen Rausch kannten. Es war undenkbar, dass jemand besinnungslos, sprich betrunken auf der Straße gelegen hätte. Die anwesenden Hochzeitsgäste kamen, besser gesagt, schritten feierlich einer nach dem anderen zum Hochzeitspaar und stießen mit ihren tönernen, gefüllten Getränkebechern an, wobei sie sich küssten und sich fest mit beiden Armen umfassten. Hochzeitsgeschenke irgendwelcher Art hatte es nicht gegeben. Die Beobachtungen, welche Roman Fischer auf der Hochzeitsfeier machte, waren für ihn sehr aufschlussreich. Nachdem der Deutsche an so einer Feier teilgenommen hatte, und wieder in seinem Zimmer war, verfolgten ihn noch stundenlang phantasievolle Vergleiche mit europäischen Hochzeitsgebräuchen. Er hatte dann manchmal Schwierigkeiten, wenn er sich von den Tagesereignissen Notizen machte, die Wirklichkeit von der Einbildung zu trennen. Das sollte aber nicht heißen, Roman hätte alle seine Erlebnisse nur geträumt. Er kann aus eigenen Beobachtungen sagen, dass die Indios, trotz ihrer Armut, fröhliche und zufriedene Menschen waren. Das konnte er auch an ihren Liedern erkennen. Gesungen wurde von allen Bewohnern, ob alt oder jung, bei allen Anlässen und zu allen Zeiten. Der Rhythmus klang oft im Samba-Takt recht schnell und aufreizend, es wurde dazu getanzt, alle barfüssig auf staubigem Fußboden. Der Vortänzer stellte sich oft an die Spitze einer tanzenden Gruppe, und sie tanzten eine Art Polonaise, wobei sie kicherten und lachten, als ob es ihnen große Freude machen würde. Ganze Singgruppen, traten bei Geburtstagsfeiern auf, sie sangen im Kanon mehrere Lieder mit vielen Strophen, die lustig klangen. Allem in allem kann man sagen, dass die Inselbewohner kein trauriges Dasein führten, im Gegenteil, es ging bei ihnen oft sehr lustig zu.
Roman Fischer stellte später in Deutschland fest, dass, wenn man nach mehrmonatigem Inselaufenthalt wieder in das egoistische Europa zurückkam, den Unterschied zwischen der Armut auf den Karibikinseln und dem Reichtum der westlichen Länder deutlich spüren konnte. Man hätte die Indios um ihre Lebenseinstellung beneiden können. Sie hatten es verstanden, aus primitiven Hilfsmitteln und den reichlichen Gaben der Natur, ihr Leben so zu gestalten, dass es in jedem Fall lebenswert war zu leben. Die Heiterkeit, die von den Indios ausging wirkte ansteckend, und erholsam zugleich.
Pepe war für Roman Fischer nicht nur ein großer Helfer, sondern zugleich Berater. Als er merkte, dass er sich für sein Auto interessierte, wollte er immer mehr über die Funktionsweise des Motors wissen. Roman konnte ihm nur soviel erklären, was er selbst noch aus der Zeit wusste, da er seine Führerscheinprüfung bestanden hatte, und das war schon viele Jahre her. Er hätte nie vermutet, auf dieser Insel den Zusammenbau und die Arbeitsweise eines Motors erklären zu müssen. Roman tat es, so gut er es konnte. Pepe, ein junger Mensch, konnte sich schnell in die technischen Zusammenhänge hineindenken, und in kurzer Zeit hatte er viel dazugelernt. Er hatte begriffen, dass der Motor des Autos mit dem Herz eines Menschen zu vergleichen war. Dieses „Herz", so erklärte ihm Roman, müsste er pflegen, sauber halten und nicht überfordern, sonst würde es eines Tages sterben. Pepe war der einzige auf der Insel, der ein Auto besaß, er war konkurrenzlos.
„Woher bekommst du denn Benzin für dein Auto?“ fragte ihn eines Tages der Deutsche.
„Oh, das ist kein Problem, der Kapitän des Schiffes bringt mir immer genug Treibstoff mit, nur mit der Bezahlung ist es schwieriger, er will nur Dollars von mir haben. Und so viele habe ich doch nicht."
Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Roman verstand es so, und steckte ihm einen 20 Dollar-Schein zu, worüber er sich riesig freute. Am nächsten Morgen kam Pepe mit freundlichem Gesicht auf Roman zu.
Hallo, mi amigo, möchtest du nicht mir eine Reise ins Landesinnere machen?"
„Natürlich, sehr gerne, wann fahren wir los?“ antwortete der weiße Inselbewohner.
„Oh, wenn das Wetter so schön bleibt, dann können wir von mir aus, schon morgen früh starten“ meinte Pepe erwartungsvoll. Es dauerte aber doch noch einige Zeit, bis alle Vorbereitungen getroffen waren. Nach einigen lauten bye- bye- Rufen half Fischer das startbereite Fahrzeug anzuschieben. Pepe saß mit nacktem, braungebranntem Oberkörper auf dem Fahrersitz, und Roman musste schnell auf den Beifahrersitz springen, um mitgenommen zu werden. Es dauerte keine zehn Minuten und der Jeep hielt mit lautem Geknatter an der Bar.
Der erste Zwischenstopp-Halt wurde eingelegt. Die beiden Autofahrer stiegen aus, und bestellten vor der Weiterfahrt einen Kasten voller Büchsen Cola-Getränke und einen Liter Whisky. Es saßen noch drei junge Männer auf einer Bank, die lauwarmes Bier aus Dosen schlürften. Roman schenkte ihnen Whisky ein, der von allen gern angenommen wurde. Die Männer fragten Pepe.
„Wohin wollt ihr fahren? Kann das Auto auch über Berge fahren?“ Er machte den Fischern keine näheren Angaben über die Strecke, die er mit seinem weißen Freund fahren wollte, vielleicht wusste er es selbst noch nicht.
Als Pepe den Wagen starten wollte, drehte sich zwar der Anlasser, aber der Motor sprang nicht an. Roman bat Pepe nicht so oft durchzustarten, das wäre nicht gut für die Batterie, sie sollte mehr geschont werden. Pepe kannte die Startschwierigkeiten seines Wagens und rief den Fischern ein paar aufmunternde Worte zu.
„Hallo, könnt ihr nicht einmal herkommen und den Wagen anschieben?“ Drei hilfsbereite Männer sprangen auf. und drückten das Auto von hinten an, um es ein Stück den geraden Weg entlang. zu schieben. Nach einer Weile sprang der Motor endlich an. Roman winkte zufrieden zurück. Pepe konzentrierte sich auf den Weg, der an dieser Stelle bergauf führte. Nachdem sie etwa vier Kilometer weit gefahren waren, immer in Richtung Westen. Der Weg führte unter Schatten spendenden Bäumen eine Anhöhe hinauf, von wo sie eine wunderbare Aussicht genießen konnten. Sie beschlossen, dort etwas länger zu verweilen. Pepe stieg aus, schlug das Verdeck vom Jeep zurück, und beide betrachteten das in der Ferne rauschende Meer mit den kleinen Koralleninseln, die unbewohnt schienen.
„Pepe, my friend, sag mir einmal, wo liegt eure Hauptstadt, die möchte ich aufsuchen!“ wandte sich Roman an seinen Fahrer.
Das Wort Hauptstadt, eine City, das kannte er nicht, er schüttelte seinen braunen, lockigen Kopf und machte ein verständnisloses Gesicht. Er konnte sich unter einer Hauptstadt nichts vorstellen. „Eine Hauptstadt", erklärte Roman, „ist ein Ort wo ein König, ein Kaiser oder Führer wohnt, der in einem Schloss residiert. Für Pepe waren diese Begriffe unbekannt. Er schüttelte immer wieder den Kopf, wurde nachdenklich und sagte: „Bei uns gibt es keine Hauptstadt, bei uns ist jedes Dorf eine Stadt für sich, in jedem Dorf ist der Älteste mit seinen Beratern, und das genügt uns.
Als Roman Fischer ihm erklärte, dass es in einer Stadt Geschäfte gibt, in denen man Autos in verschiedenen Ausführungen kaufen kann, große und kleine, schwarze und rote, da wurde er hellhörig. Das interessierte ihn.
„Roman, my friend, ich glaube dir ja alles, aber für mich wäre es interessanter, wenn ich einmal solche Geschäfte sehen könnte", meinte er treuherzig.
„In Amerika, ein Land nicht weit weg von hier, da gibt es viele Autos!“ Pepe überlegte eine Weile und sagte traurig: „Ach was, Amerika will ich gar nicht sehen, dort gibt es nur böse Menschen, und mir genügt das eine Auto, das ich hier habe.“
„Aber wenn dein Auto einmal nicht mehr fahren kann, weil es zu alt ist, weil das „Herz“ nicht mehr arbeiten kann, was machst du dann?“ fragte ihn Roman prüfend.
„Dann möchte ich mir schon wieder ein neues kaufen, nur weiß ich nicht, wo es solche Autos gibt. Ich hoffe, dass mein Auto noch recht lange lebt". Gegen seine etwas naiv wirkende Vorstellungskraft und Aversion gegenüber Amerika, wo alles Böse wohnen sollte, konnte Roman im Augenblick aus taktischen Gründen nichts sagen. Zu einem späteren Zeitpunkt wollte er ihm langsam die großen Unterschiede zwischen den Zivilisationen erklären. Im Moment befanden sie sich auf einer bergigen Anhöhe, die etwa 300 Meter über dem Meeresspiegel lag. Auffallend war, dass es wenig große Bäume gab, meistens sah man Sträucher und hohe Gräser. Diese wiegten sich im leichten Wind, das die Augen des Betrachters angenehm berührte. Der Boden auf den nicht zu hohem Berg war zum Teil steinig, und lediglich mit kleinwüchsigen Pflanzen bedeckt. Dafür konnte das Auto in der Gegend, wo es keine Straßen gab, einigermaßen gut vorankommen. Die steinigen Stellen wurden auch als Trampelpfade von Fußgängern benutzt. Es war ein komisches Gefühl, in einem Auto zu sitzen, man wird gefahren, keine Straße vor sich zu haben, kein Schild, kein Wegweiser nirgendwo. Roman verließ sich ganz auf Pepe. Er bestimmte die Fahrtrichtung und auch die Fahrzeit. „Pepe, hör mal zu, denke daran, dass wir noch vor dem Sonnenuntergang wieder zu Hause sein wollen.“ „Wird gemacht, my friend, ich passe schon auf, habe nur keine Angst", meinte Pepe etwas von oben herab auf ihn blickend.
Roman erinnerte sich, dass die Mutter etwas zu essen auf den Weg mitgegeben hatte.
„Pepe, ich schau mal nach, was deine Mutter eingepackt hat, ah, ich sehe schon, es sind gekochte Eier und Fladenbrot da, möchtest du etwas davon essen?"
„Nein, danke, aber zu trinken, wenn was da ist, davon kannst du mir geben."
Pepe nahm ein paar Schluck Wasser und setzte sich wieder hinter das Lenkrad. Das Zeichen zum Aufbruch war gegeben.
Pepe hatte seinen Wagen so abgestellt, dass er an einem Abhang stand, so dass das Anfahren keine Schwierigkeiten bereitete. Er lockerte die Handbremse, und langsam rollte der Wagen bergab. Nach kurzer Zeit schaltete sich der Motor ein. Sie fuhren in eine unbekannte Welt hinein. Die Sonne stand hoch am Himmel und Fischer zog wieder das Verdeck vom Wagen hoch. Im angenehmen Schatten ging es zügig ins Landesinnere. Roman hatte Pepe gebeten ihn in ein Dorf zu bringen, wo ein Markt abgehalten wurde. Dass es nirgendwo Geschäfte im europäischen Sinne gab, daran hatte sich er schon gewöhnt. Es dauerte nicht lange, und die Autofahrer erreichten einen Ort, wo die Inselbewohner auf einem Marktplatz Fische, Perlen, auch Früchte, Obst und Gemüse zum Tauschen oder zum Verkauf anboten.
Auf dem Marktplatz herrschte ein reger Tauschhandel und Roman war erstaunt, wie der Handel ohne Gewichte, ohne Maße, ohne Geld funktionierte. Die Leute hatten einen Blick für den Wert einer Ware, die Tauschobjekte wurden angeboten, und es dauerte nicht lange, da wurden Anbieter und Käufer sich einig, ohne dabei in Streit zu geraten. Das Vehikel hatte Pepe auf der einzigen Straße abgestellt, und beide schlenderten über einen breiten Platz, um sich das Treiben eines Inselmarktes anzuschauen. Nur wenige Hütten, die in der Nähe des Platzes standen, hatten einen aus Lehm oder Natursteinen gemauerten Unterbau, Fenster und Türen gab es selten. Es war schon spät Nachmittag, noch immer befanden sich Frauen und Männer mit ihren Waren auf dem Marktplatz.
Pepe blieb in der Nähe seines Autos, das an der Seite eines Baumes stand, der reichlich Schatten spendende. Er wollte darauf zu achten, dass keine Kinder auf den Wagen kletterten und ihn beschädigten. Roman wollte sich allein den Markt ansehen, um sich ein Bild vom Marktgeschehen zu machen. An diesem Tag erlebte etwas, das ihn noch lange Zeit beschäftigte, und das er im Heft mit den Reiseerinnerungen festhielt.
Der Deutsche wollte seiner Zimmerwirtin eine Freude bereiten und ihr etwas vom Markt mitbringen. Zuerst hatte er die Absicht Obst oder Eier einzukaufen, um zum Essen beizusteuern. Dieses erschien ihm zu wenig wertvoll. In einer Ecke sah er eine Frau, die drei Hühner mit zusammengebundenen Beinen zum Verkauf oder Tausch anboten. Kurz entschlossen fragte er nach dem Preis. Zwei Dollar pro Stück waren ihm so gering, dass er die geforderte Summe in ihre Hand drückte und versuchte, die Hühner zum Auto zu bringen. Kaum war er ein paar Schritte gegangen, da zerriss die Schnur mit der die Hühner zusammengebunden waren, und husch, die Hühner flogen weit auf einen Baum hinauf. Ein paar vorbeischlendernde Jungens hatten das bemerkt, und sie begannen die Hühner einzufangen. Das war aber nicht so einfach. Mit Steinen warfen sie nach ihnen, das nutzte aber nichts. Immer höher flogen sie auf den Baum hinauf. Pepe, der das Pech von weitem miterlebte, kam hinzu und beteiligte sich an der Hühnerjagd. Er lockte die Hühner mit Brotresten vom Baum, wobei er geduldig put, put, put rief. Ganz behutsam, ohne sie zu erschrecken, fing er ein Huhn nach dem anderen ein. Er steckte die Hühner in eine Kiste, gab ihnen Wasser zu trinken, und friedlich saßen sie dann in einer schattigen Ecke. Roman erzählte Pepe, dass er die Hühner für seine Mama gekauft hätte. Dieser war natürlich erfreut, dass sein Freund, wie er meinte, ein sehr großherziger Mann sei. Nach dem umfangreichen Rundgang und dem Hühnereinkauf mahnte Pepe, sich für die Heimfahrt vorzubereiten. Roman war dafür, so schnell wie möglich loszufahren, weil er befürchtete, die Hühner würden noch einmal wegfliegen.
„Das wäre kein Unglück, dann freuen sich andere, die etwas finden!“ meinte Pepe gelassen. Diese Einstellung zu verlorenen oder gefundenen Sachen hatte Roman Fischer mehrmals bewundern können. Die enge Verbundenheit von Sachen die einem gehören, die man erworben hat durch Kauf oder Arbeit, dieses fehlt bei den Eingeborenen. Die Einstellung zu Dingen des täglichen Lebensbedarfs gipfelte in der Meinung, dass, wenn man sie hat, dann ist es gut, hat man sie nicht, dann ist es nicht schlimm. Dies war der Hauptgrund dafür, warum die Entwicklung auf der Insel praktisch zum Stillstand gekommen war. Es war kein Wunder, dass die Menschen in dieser Weltabgeschiedenheit, seit Jahrhunderten, nach alten Gewohnheiten und Sitten ein träges, abgestumpftes Leben führten. Sie waren nicht fähig und auch nicht willens, irgendwelche Veränderungen in ihrem Leben herbeizuführen. Roman Fischer war der Meinung, dass es keinen Sinn hatte, gegen diese Lebensphilosophie anzugehen. Er störte sich nicht an dieser Lebenseinstellung und kam gut damit zurecht. Das Starten des Jeeps war wieder eine Sache für sich. Doch dieses Mal rief Pepe ein paar neugierige Jungens herbei und erklärte ihnen, wie sie den Wagen anschieben sollten. Und unter lautem Gelächter und Hurrarufen, fing der Motor an zu arbeiten, und der Wagen rollte zum Meer hin. Es dauerte nicht lange, da fühlte Roman die angenehme Brise vom nahen Ufer. Pepe verlangsamte die Fahrt, und gespannt schaute er nach vorn. Da räkelten sich tatsächlich mehrere ausgewachsene Alligatoren unter Hibiskussträuchern. Sie waren durch das Motorengeräusch aufgeschreckt worden und versuchten schnell das nahe Meeresufer zu erreichen. Pepe beeilte sich die davoneilenden Tiere zu erwischen, sie waren aber sehr flink und im Nu verschwunden. Die Abenddämmerung brach schnell herein. Pepe hielt das Steuerrad mit beiden Händen fest umklammert, schaute angestrengt auf den Weg, der an einer Stelle sehr steinig wurde, als plötzlich aus dem hohen Gras eine Riesenschlange hervorschlängelte.
Es war eine ausgewachsene Anakonda, die zur Abendwäsche ans Wasser wollte. Vor Schlangen hatte Pepe Angst. Er gab Gas, und mit einem Ruck sprang der Wagen nach vorn und rollte eilig davon. Sie befanden sich nicht mehr weit weg vom elterlichen Haus, als die Kiste mit den Hühnern herunterflog und sich öffnete. Im Nu waren die erschreckten Tiere verschwunden. Roman Fischer bat Pepe anzuhalten, um seinen „Markteinkauf“ einzufangen. Er aber schüttelte den Kopf, beschleunigte die Geschwindigkeit und kurze Weile später hielten sie vor der Haustür.
Am nächsten Morgen erwachten Roman Fischer sehr zeitig. Noch halb im Schlaf hörte er einen Hahn in der Nähe krähen. Auch das Bellen eines Hundes war zu hören. Er musste für einen Augenblick nachdenken, um sich über seine Lage zu orientieren. Das Erlebnis vom Vortag fiel ihm ein. Er schaute aus dem Fenster, und lauschte angestrengt, als das Gebell und Hahnengeschrei noch lauter wurde. Zuerst vermutete er, dass Diebe in der Nähe wären. Aber als er sich vornüber beugte, sah er die Morgensonne, wie sie rot über dem Wasser aufging. Jetzt vernahm er einen lauten Pfiff und augenblicklich verstummten die Tiere. Die Ruhe wurde durch leise Schritte unterbrochen, die von Pepe stammten, der um die Hausecke geschlichen kam. Er erblickte seinen weißen Freund und rief von weitem.
„Guten Morgen, hast du gut geschlafen?“ Roman antwortete ebenfalls mit einem freundlichen: „Guten Morgen mein lieber Pepe! Ich komme gleich zu dir runter."
„Was war denn heute früh los, so ein Krach, ich bin davon wach geworden?“
Pepe erwiderte stolz: „Und ich bin schon früh aufgestanden, es war noch dunkel, ich habe deine Hühner gesucht, die gestern weggelaufen waren."
„Und, hast du sie gefunden?"
„Ja, aber es war nicht so einfach sie zu finden, es war doch noch finstere Nacht. Wenn ich nicht unseren Hund mitgenommen hätte, ich weiß nicht, ob ich die Hühner gefunden hätte.“
„Wo hast du sie hingebracht?“ wollte der Deutsche wissen. „Zu den anderen Hühnern in unseren Stall hinter dem Haus, dort sind sie eingesperrt, bis sie sich an die neue Umgebung gewöhnt haben. Der Hahn hat sie schon durch sein lautes Kickericki begrüßt, das du bestimmt gehört hast."
Roman bejahte seine Frage und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Das hast du fein gemacht Pepe, da wird sich aber deine Mutter freuen, noch drei Hühner mehr im Stall zu haben!"
Nachdem Roman sich noch ein paar Minuten mit ihm unterhalten hatte, fragte er ihn direkt: „Sag mal Pepe, wie alt bist du eigentlich? Seit wann lebst du hier mit deiner Mutter, wo ist denn dein Vater, den ich noch nie gesehen habe?“
Pepe räusperte sich verlegen, dann fing er an zu erzählen.
„Wie alt ich bin, das kann ich nach euren Jahren nicht sagen. Ich weiß nur, dass es mehr als zwanzig Sommer her sind, dass ich hier auf der Insel geboren wurde. Meine Mutter erzählte mir, sie und mein Vater hätten vor vielen Jahren selbst dieses Haus mit Hilfe von anderen Dorfbewohnern gebaut. Das Haus ist aber noch mehrmals erweitert worden, nachdem ich auf die Welt kam.“
„Wo ist denn dein Vater jetzt?“ wollte Roman wissen. „Wo er genau ist, das weiß ich nicht, meine Mutter sagte mir, mein Vater wäre vor über zwei Jahren mit dem Schiff nach Amerika gefahren und hat sich bis heute nicht mehr gemeldet!"
„Ist er mit dem Schiff weggefahren, mit dem ich gekommen bin?“
„Ja, es war das Versorgungsschiff, das einmal im Monat kommt, und das nicht regelmäßig bei uns im Hafen anlegt.“
„Hast du nie versucht, deinen Vater zu suchen?"
„Ja schon, das habe ich mehrmals versucht, aber von der Insel hier komme ich nicht so schnell weg, das will meine Mutter nicht. Sie hat Angst, ich komme auch nicht wieder, dann wäre sie ganz allein!"
„Hast du keine Geschwister oder Verwandte, die dir bei der Suche des Vaters helfen könnten?“ forschte Roman weiter.
„Ich habe zwei Schwestern, sie wohnen im nächsten Dorf und sind auch verheiratet. Sie haben kleine Kinder und können mir nicht helfen. Andere Verwandte habe ich leider nicht, meine Mutter ist allein mit mir und sorgt sich sehr um mich, dass ich eines Tages weggehe und nicht mehr wiederkomme. Deswegen erlaubt sie mir das Auto, in dem ich herumfahre, was ein teures Vergnügen ist.“
„Wie bist du an das Auto gekommen, woher stammt es, wer hat dir das Fahren beigebracht?"
„Ich glaube, ich habe dir schon einmal erzählt, das Auto stammt von einem Amerikaner, der vor fünf Jahren mit dem Schiff hierher auf die Insel kam. Ich war bei ihm als Diener und Beifahrer beschäftigt, er wohnte bei uns im Haus, im selben Zimmer, in dem du jetzt wohnst. Er wohnte aber nicht lange, dann ist er ertrunken!"
„Ertrunken? Wie ist denn das passiert, wann ist er ertrunken?“
Er war keine drei Monate bei uns, als er eines Tages am Strand entlang ging und eine große Meereswelle auf ihn zukam und ihn mit sich zog."
„Hast du das selbst gesehen?"
„Ja, das habe ich selbst gesehen!“
„Ich sah, wie viel Wasser aus dem Meer plötzlich auf ihn zukam, er schrie noch laut um Hilfe, aber ehe ich dazu kam, war er schon mit der Welle hinaus aufs Meer gerissen worden. Ich habe ihn nie wieder gesehen!“ Diese traurige Schilderung früh am Morgen machte den Deutschen nachdenklich.
Er holte sein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn. So also war es, vor ihm wohnte schon jemand in seinem Zimmer, deswegen hatte er sich auch schon gewundert, dass in einer Ecke auf der Wand deutliche Spuren von Schriftzeichen zu erkennen waren, die er noch nicht zu entziffern versucht hatte. Er beschloss, dieses bei der nächsten Gelegenheit nachzuholen.
Als Roman Pepe weiter nach seinem Leben fragen wollte öffnete sich die Haustür, und seine Mutter rief laut: „Pepe, Pepe!“
Die Unterredung war unterbrochen worden, denn Pepe sprang auf, eilte zur Mutter und umarmte sie mit einem Kuss auf die Wange. Der Deutsche bemerkte, wie sich ihre Gesichtszüge erhellten, wie sie ihn liebevoll streichelte und ihn an der Hand in die Küche zog. Roman blieb noch eine Weile sitzen, die Sonne war schon ein Stück höher am Himmel gerückt, und er dachte darüber nach, was ihm Pepe erzählt hatte. Lange Zeit konnte er aber darüber nicht nachdenken, denn bald erschien seine Mutter und begrüßte ihn lächelnd:
„Guten Morgen, senjor, haben Sie gut geschlafen? Warum sind Sie so zeitig auf den Beinen? Wollen sie verreisen?
„Nein, nein, ganz und gar nicht, verreisen will ich nicht, ich bin durch Hundegebell geweckt worden", erklärte er ihr, „na dann ist es ja gut! Kommen Sie bitte in die Küche, das Frühstück ist schon fertig. Sie sind doch bestimmt hungrig, oder?“
Pepe hatte sich unterdessen gewaschen, hatte sich ein anderes Hemd angezogen und sah schick aus. Roman lobte sein Aussehen, was ihn in Verlegenheit brachte. Er winkte ab und begann ihm ein belegtes Brötchen zu reichen. Es gab wieder gebratene Eier, Brot mit kalter Milch, und beide Männer langten ordentlich zu. Das Frühstück verlief einsilbig. Nach ein paar Minuten fragte der Fischer: „Entschuldigen Sie bitte, ich wohne jetzt fast einen Monat bei Ihnen, ich weiß, dass Ihr Sohn Pepe heißt, aber ich weiß nicht, wie ich Sie ansprechen soll, wie Sie mit dem Familienamen heißen?“
„Ich habe nach der Heirat den Namen meines Mannes angenommen, er stammt aus der Familie Copia. Mein Vorname ist Maria.“
„Ein schöner Name Frau Maria Copia", erwiderte Roman zustimmend.
„Wohnen Sie schon lange hier in diesem Haus?“
„Oh, ja, nach der Zeitrechnung der Amerikaner sind es fast 30 Jahre her, als wir unser Haus bauten, seitdem wohne ich hier!“
Um zu testen, ob alles stimmte, was Pepe vorher gesagt hatte, fragte Roman weiter:
„Wohnen Sie allein mit Pepe hier, oder wohnt noch jemand mit Ihnen? Sie erzählte genau dasselbe, was er schon von Pepe wusste. Am meisten tat es ihr leid, dass sie nur zwei Töchter hatte, die weit weg wohnten. Sie hätte so gerne öfters ihre Enkelkinder gesehen, aber beide Töchter waren immer viel beschäftigt und hatten für die Mutter zu wenig Zeit.
„Und Ihr Mann ist seit zwei Jahren verschwunden? Wie kommen Sie denn ohne ihn zurecht?“
Bei dieser Frage bemerkte Roman, dass Frau Copia nicht gern darüber sprechen wollte. Darum stellte er diesbezüglich keine weiteren Fragen, sondern wechselte das Thema.
„Aber Pepe, Ihr Sohn, auf den können Sie verlassen, der hilft Ihnen doch, wenn sie ihn brauchen?“
„Ja schon, ja schon, aber er ist noch zu jung, außerdem ist er viel mit seinem Auto beschäftigt, so dass er oft nicht da ist, wenn ich ihn brauche! Roman wollte nicht zu lange seine Zimmerwirtin von der Arbeit abhalten, fragte darum den Sohn:
„Pepe, mein Freund, hast du Zeit für mich, so setz dich bitte zu mir, ich möchte mich mit dir unterhalten."
Als er neben ihm saß, fuhr er fort. „Pepe, alter Junge, deine Mutter hat mir einiges aus eurem Leben hier erzählt, aber nicht genug. Ich möchte wissen, wovon dein Vater lebte, was hat er den ganzen Tag gemacht? Womit hat er die Familie ernährt?“
Diese Frage konnte Pepe nicht genau beantworten. Entweder hat er es wirklich nicht gewusst, oder er wollte nicht darüber sprechen. Er erzählte aber doch noch:
„Mein Vater war ein großer, starker Mann, mit lockigem, schwarzem Haar, das bis in den Nacken reichte. Er wollte schon immer die Insel verlassen, und nachdem der Amerikaner ertrunken war, suchte er eine Gelegenheit mit dem Schiff fort zukommen. Mein Vater hatte sich mit dem Ertrunkenen gut verstanden. Von ihm hat er, und auch ich, die ersten englischen Sätze gelernt.“
„Du hattest aber nicht mehr viel davon behalten, als ich dich kennen lernte. Heute hast du wieder viel von mir dazugelernt", wandte Roman ein.
„Ja, wenn man drei Jahre mit niemandem englisch sprechen kann, dann vergisst man die Sprache. Aber so viel kannte ich noch, um mich einigermaßen zu verständigen.“
„Sag mal Pepe, wie machst du es, wenn du einmal heiraten willst, fragst du dann erst den Dorfältesten um Erlaubnis, oder suchst du dir ein Mädchen selber aus? Du bist doch in dem Alter, in dem die meisten schon verheiratet sind. Hast du eine Braut für dich in Aussicht?“
Bei dieser direkten Frage fing Pepe an zu stottern und wollte nicht so recht mit der Sprache heraus. Nach dem Versprechen ihn nicht zu verraten, fing er an zu erzählen:
„Ich habe ein Mädchen gehabt, meine große erste Liebe. Sie hieß Juanita, sie wohnte nicht weit von hier, wir trafen uns jeden Abend am Strand. Es war eine wunderbare Zeit. Leider war ich für sie noch zu jung, vielleicht auch zu arm, jedenfalls beschloss ihr Vater, meine Juanita an den Ältesten des Dorfes zu verheiraten. Der Alte hatte doch schon drei Frauen, aber er wollte unbedingt meine Juanita noch dazu haben. Fast hätte ich ihn umgebracht, den alten Frauenverführer, es nutzte aber nichts, die Hochzeit fand statt. Für mich war es der traurigste Tag meines Lebens.“
„Hast du dann danach nie wieder ein Mädchen angeschaut?“
„Oh doch, das schon, aber meine Juanita kann ich nicht vergessen. Immer, wenn ich am Haus des Ältesten vorbeikomme, muss ich mich beherrschen, um ihn nicht umzubringen! Am liebsten möchte ich hineingehen und Juanita herausholen!“
Roman Fischer wollte nun wissen, wie viele Mädchen oder Frauen ein Mann auf der Insel heiraten kann. - „Ein Mann kann so viel Frauen heiraten, wie er ernähren kann. Er muss ihnen Wohnung und Unterhalt bieten können, die Anzahl der Frauen spielt keine Rolle.“
„Und mit den Kindern, wie ist es da, wo wohnen die alle, wenn ein Mann mehrere Frauen hat?“
„Mit den Kindern gibt es keine Probleme, jede Frau behält ihre Kinder bis sie vierzehn Jahre alt sind, dann können sich die Kinder entscheiden, wohin sie wollen. Sie können bei der Familie bleiben, sie können auch bei Opa oder Oma wohnen, sie können dort wohnen, wo es ihnen am besten gefällt.“
„Gibt es bei euch auch Scheidungen, gibt es überhaupt Eheprobleme?“
Auf diese Frage konnte er nicht antworten, er war ja noch zu jung, hatte selbst noch keine Erfahrungen in dieser Hinsicht.
„Pepe, mein Freund, noch eine Frage die mich interessiert, wenn jemand krank wird, was geschieht dann, gibt es so wie einen Arzt hier auf der Insel oder ein Krankenhaus?“
„Einen Arzt oder ein Krankenhaus gibt es nicht. Wenn jemand krank ist, begibt er sich selbst zu einem Medizinmann. Dieser ist meistens der Bruder des Ältesten, und der weiß bei vielen Krankheiten zu helfen. Meistens gibt er eine Flüssigkeit zu trinken, die oft schnell und wirksam hilft.“
„Warst du schon einmal krank?“ wollte Roman wissen. „Solange ich mich erinnern kann, war ich noch nie krank, ich ernähre mich gesund und bewege mich viel, außerdem trinke ich keinen Alkohol, das einige Männer auf der Insel tun!“
„Woher haben diese Männer den Alkohol?“
„Das ist eine Erfindung der Amerikaner, dieser Rum oder Whisky, wie man ihn auch nennt, kommt zum Teil mit dem Versorgungsschiff, teils wird er schon selbst auf der Insel hergestellt.“
„Hast du noch nie Alkohol getrunken?“
„Doch, das schon, aber ich mache mir nichts daraus. Für mich ist es wichtiger, dass ich Benzin für mein Auto bekomme, damit ich mit meinem Jeep herumfahren kann!“
„Wird bei euch auch geraucht, kennst du Tabak?“ wollte Roman wissen.
„Tabak kenne ich, aber rauchen tu ich nicht, das bringt nichts ein, davon wird man wie betrunken im Kopf."
„Wie weißt du denn, wann man betrunken ist, wenn du noch keinen Alkohol probiert hast?“
„Aber Coca-Cola habe ich schon öfter getrunken, auch du hast mir unten im Hafen schon Cola gekauft.“ - „Aber von einer Cola wird man doch nicht betrunken! Da musst du schon einen ordentlichen Rum trinken, dann bist du hinüber, dann siehst du die Sterne am hellen Tage funkeln!“
„Ich will es lieber nicht probieren!“ war seine vernünftige Antwort.
Diese Einstellung fand auch Roman sehr lobenswert. „Pepe, mein Junge, hättest du Lust lesen und schreiben zu lernen?“ Er wurde vor lauter Freude rot im Gesicht, sprang auf und lief zu seiner Mutter. „Mama, Mama", rief er von weitem, „unser Gast aus Deutschland will mir schreiben und lesen beibringen, was sagst du dazu?“
„Das kann nicht schaden, tue das nur mein Junge!“ erwiderte liebevoll seine Mutter. „Ich habe immer Zeit zum Lernen, wann fangen wir an?“ bedrängte Pepe seinen weißen Freund. „Komm nach oben in mein Zimmer!“
Oben angekommen, sagte Roman Pepe: „Besorge zuerst noch einen Stuhl, da man im Stehen schlecht schreiben und lesen kann". Schnell lief er hinunter, brachte einen klapprigen Hocker herbei und setzte sich darauf. Roman Fischer kam auf die Idee, ihm seine Reiseschreibmaschine zu zeigen und erklärte ihm die einzelnen Buchstaben auf der Tastatur. In einer halben Stunde kannte er alle Buchstaben des ABC.
Er konnte sie auf der Tastatur zeigen, wenn er danach gefragt wurde. Ihm machte es offensichtlich Spaß, auf der Maschine herumzudrücken, wobei er gespannt die ausgedruckten Buchstaben auf dem Papier sich anschaute. Mit den Zahlen machte er es ebenso, bald kannte er alle Zahlen von eins bis zehn auswendig. Wenn ihm gesagt wurde, er solle die Zahl vier oder neun auf ein Blatt schreiben, so tat er das nach kurzer Zeit fehlerfrei. Nach zwei Stunden intensiver Übungen kam er so weit zurecht, dass er ohne Hilfe imstande war, das ganze ABC und alle Zahlen zu schreiben. Er freute sich riesig und kam sich wie ein Zauberer vor, der mit Hilfe einer Maschine geheimnisvolle Zeichen erscheinen lässt.
Eines Tages wandte sich Roman an Pepe: „Ich war noch nicht auf der nördlichen Seite der Insel, immer fahren wir hier im Süden herum, ist es verboten dorthin zu fahren?“
„Nein, nein, wenn du möchtest, so fahren wir morgen einmal zur anderen Inselhälfte. Dazwischen aber befindet sich ein hoher Berg, den können wir nicht überqueren, dafür ist mein Auto nicht geeignet!“
„Ich möchte um die ganze Insel herumfahren, dann wüsste ich auch, wie groß sie ist, am besten wir fahren immer in der Nähe des Strandes. Der Kilometerzähler funktioniert noch im Wagen?“
„Ich habe noch nie so richtig hingeschaut, aber ich hoffe, dass er die richtige Entfernung anzeigt.“
„Pepe, was meinst du, was muss ich alles mitnehmen, um unsere Inselrundfahrt durchzuführen?“
„Das ist schwer zu sagen, ich weiß ja selbst nicht, wie groß die Insel ist, und wie lange wir fahren müssen. Ich schlage vor, wir nehmen uns zu essen und trinken für drei Tage mit. Vorsorglich nehme ich noch einen Kanister Benzin für unterwegs mit, auch Werkzeug das wir vielleicht brauchen, wenn das Auto zu streiken anfängt oder kaputt gehen sollte!“
Roman war mit Pepes Überlegungen einverstanden, und am Vorabend sagte er zu Pepes Mutter: „Liebe Frau Copia, wir fahren morgen früh zeitig mit dem Auto für längere Zeit weg, Pepe und ich wollen um die ganze Insel herumfahren, ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, machen Sie sich wegen uns keine Sorgen!“
„Aber bitte, passen Sie auf Pepe gut auf, er ist noch so jung und unerfahren, ich habe Angst, dass ihm etwas zustößt!“
Der Deutsche versprach seiner Zimmerwirtin, auf ihren Sohn zu achten, sagte ihr zum Trost, dass er einen Führerschein hätte, und dass er im Notfall auch Auto fahren könnte. Als Pepe dies hörte, sah er neugierig auf und fragte: „Was ist das ein Führerschein?“
Roman erklärte ihm, dass er in Deutschland auch ein Auto gehabt hätte, aber dort würden so viele Fahrzeuge auf den Straßen herumfahren, dass es keinen Spaß mache einen Wagen zu besitzen. Pepe wollte noch wissen, ob er einen Jeep gefahren hätte.
„Nein, in einem Jeep bin ich noch nicht gefahren, aber im Prinzip ist das Fahren nicht sehr unterschiedlich, wenn du willst, so fahre ich einmal eine Runde mit deinem Jeep.“
„Das kannst du morgen früh tun, wenn wir losfahren!“ Roman antwortete zustimmend.
„Einverstanden, die ersten Stunden fahre ich, und du machst den Beifahrer.“
Pepes Mutter und Roman waren mit dem Vorschlag einverstanden.
In der Nacht hatte der Deutsche schlecht geschlafen, vielleicht vor Aufregung das erste Mal in einem Jeep zu fahren, oder vielleicht war es normales Reisefieber?
Pepe war schon gewaschen, hatte den Tank voll mit Benzin gefüllt, als seine Mutter zum Frühstück rief.
„So, meine Inselfahrer, esst euch noch einmal richtig satt, ich habe euch einiges zum Essen vorbereitet, es ist schon alles im Wagen!“ Roman und Pepe ließen sich nicht zweimal bitten. Das Frühstück war gewöhnlich immer reichlich und gut.
Nach einer halben Stunde schon bestiegen die Unternehmungsfreudigen das Jeep-Auto. Pepe überließ seinem deutschen Freund den Fahrersitz, und zum ersten Mal hatte Roman das Steuerrad eines Jeeps in der Hand. Der Motor brummte leise, er winkte zum Abschied Pepes Mutter zu, gab vorsichtig Gas, und bald fuhren sie langsam in Richtung zum kleinen Fischerhafen. Die ersten hundert Meter Fahrt waren für ihn ungewohnt, aber dann hatte er das Gefühl für Kupplung, Gasgeben und Lenken schnell im Griff. Die Bremsen funktionierten, sogar der Hupton war deutlich zu hören, als er auf den roten Knopf drückte. Die Sonne über dem tiefblauen Meer war gerade aufgegangen, ein leiser Wind wehte vom Meer. Es herrschte eine Stille, kein einziges lebendiges Wesen war unterwegs zu sehen, und Roman fuhr langsam und vorsichtig in eine unbekannte Gegend. Pepe beobachtete ihn kritisch, und nach einer Weile sagte er zu ihm: „Mensch, Roman, mein Freund, ich staune, du kannst ja gut Autofahren!“
Roman musste sich auf den Weg konzentrieren. Obwohl er mit Pepe schon mehrmals am Ufer entlang gefahren war, spürte er doch den großen Unterschied, ob man als Beifahrer im Wagen sitzt, oder ob man selbst fahren muss. Es dauerte nicht lange, da erreichten sie den Fischerhafen. Dort wurde ein Zwischenstopp eingelegt. Roman hatte vergessen den Fahrersitz und den Rückspiegel richtig einzustellen, und hier holte er das Versäumte nach. Pepe kaufte in der Bar ein paar Dosen Coca Cola, eine eiserne Reserve für unterwegs. Immer in Sichtweite des in der Ferne rauschenden Meeres, fuhr der Wagen über Stock und Stein und nach etwa zwei Stunden waren sie an einer Stelle angelangt, wo ein kleiner Bach ins Meer floss.
Roman stoppte, blickte fragend auf Pepe und: „Was, nun, wie geht es weiter!“
„Lass mich mal ans Steuer, steige aus und versuche den Wagen von hinten schieben. Vielleicht kann ich den Wagen ohne stecken zu bleiben durch das Wasser bringen!“
Roman tat so, wie ihm geheißen wurde. Mit lautem Aufheulen des Motors und einem kräftigen Stoß von hinten, brauste der Jeep durch das knietiefe Wasser. Es war geschafft!
„Wollen wir hier eine Pause machen, ich habe Hunger und möchte etwas essen?“ wandte sich Roman an seinen karibischen Freund.
„Wie du willst, mein Lieber. Hier unter dem Strauch ist eine trockene Stelle, auf diesen Stein können wir uns setzen, da ruhen wir uns erst einmal aus!“
Roman holte vier gekochte Eier aus der Verpflegungstasche, gab Pepe zwei davon, auch zwei Brotscheiben und die erste Rastpause wurden im Freien abgehalten. In der Zwischenzeit war es fast Mittag geworden, die Sonne stand hoch am Himmel und brannte stark. Roman zog sich seine Schuhe aus, streifte sein Hemd ab, und lief nur mit Badehose bekleidet zum nicht nahen Meeresufer. Das lauwarme Wasser erfrischte ihn, und Pepe, der seinem Beispiel gefolgt war, stieß laute Freudenschreie aus. Sie ließen den Wagen unbewacht stehen und legten sich etwas höher im Schatten eines Strauches zur Ruhe. Es wurde für kurze Zeit Siesta gehalten.
„Pepe, Pepe!“ rief Roman nach einer Weile, „aufstehen, es ist schon spät, jetzt schiebe du das Auto von hinten an, damit wir von hier weg kommen, siehst du nicht, wie das Meerwasser nahe bis an unser Auto herangekommen ist?“ Mit einem lauten Hauruck, gib ihm, sprang der Motor an.
Pepe kletterte von hinten in den Jeep, und ohne sich umzudrehen fuhren die Inselfahrer immer gerade aus. Der Weg ging jetzt bergauf, der Motor brummte laut, Roman legte den vierten Gang ein, und in Schlangenlinien ging die Fahrt eine Anhöhe hinauf. Größere Steinblöcke mussten umfahren werden. Der Hügel, den sie hinauffuhren erwies sich höher, als man das von unten übersehen konnte. Die Fahrt dauerte dementsprechend länger, und als sie endlich die Spitze erreicht hatten, blickten sie stolz den Abhang hinunter.
Jetzt wurde wieder angehalten. Auf der Bergspitze befand sich eine kleine Mulde, die mit Steinen übersät war. Größere Felsbrocken lagen herum, als ob hier oben Riesen gekämpft hätten. Der Hügel, besser gesagt, der Berg war nach Schätzung ungefähr 400 Meter hoch. Und von hier oben hatten sie einen guten Überblick über mehr als die Hälfte der Insel. Wenn in der Mitte ein nicht noch größeres Gebirge gewesen wäre, dann hätte man ohne Schwierigkeiten die ganze Insel überblicken können. Nachdem der Wagen an einem sicheren Ort geparkt war, wurde wieder eine Pause eingelegt. Als sie die herrliche Gegend betrachteten, erkannten sie in der Ferne zwei Männer und drei Frauen, die den Berg hoch geklettert kamen. Bis jetzt hatten sie keinen Menschen gesehen, und hier oben trafen sie gleich auf einmal fünf Indios? Was wollten die hier oben?
Von weitem rief ihnen Pepe zu: „Hallo Kameraden, wohin des Weges, seid gegrüßt!“
Die Neuhinzugekommenen grüßten mit: „Guten Tag“ und blieben neugierig am Wagen stehen.
„Was ist denn das für eine Maschine?“
„Habt ihr noch nie ein Auto gesehen?“ fragte Pepe. Stolz.
„Nein, so was haben wir noch nie gesehen, kann man damit fahren?“
„Ja, mein Freund und ich, wir sind vom Fischerhafen herauf gefahren, jetzt haben wir Rast gemacht und wollen bald aufbrechen.“
„Wohin wollt ihr denn fahren?“ fragte der älteste unter ihnen.
„Wir wollen um die Insel herumfahren, aber das schaffen wir heute nicht. Wir suchen ein Nachtquartier, wisst ihr nicht, wo man in der Nähe übernachten kann?“
„Ja, dort unten, im Dorf wohnen wir, dorthin wollen wir, dort könnt ihr in einer Scheune schlafen!“
Roman sah, dass eine Frau gestützt wurde, dass sie schlecht laufen konnte. Hilfreich wandte er sich an sie: „Liebe Frau, wenn sie wollen, nehmen wir sie mit unserem Auto ins Dorf. Sie können uns dort zeigen, wo die Scheune steht, in der wir schlafen können.“
Die Begleiter der fußkranken Frau waren einverstanden. Mit Hilfe zweier Männer wurde die ältliche Frau auf den Rücksitz gehoben, und der Motor wurde wieder angelassen. Langsam fuhr das Auto die andere Bergseite hinunter. Die Frau hielt sich krampfhaft fest, vor Angst brachte sie keinen Laut heraus. Bald zeigte sie auf ein größeres Gebäude, dessen Unterbau aus Natursteinen zusammengesetzt war. In der Nähe stand auch ein Schuppen, wo man zur Not schlafen konnte. Die vier Männer kamen nach wenigen Minuten angerannt.
„Bona, bona, das war gut, das war einmalig!“ riefen sie sich gegenseitig zu. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Ein Wagen auf vier Rädern fährt unter lautem Geknatter schneller den Berg herunter, als sie laufen konnten! Pepe erklärte ihnen voller Stolz, dass es sein Auto wäre, der weiße Mann würde nur probeweise fahren, und dass dieser Wagen eine Erfindung der Amerikaner sei.
Als sich das Staunen und die Neugier gelegt hatten, fragte Pepe nach dem Nachtquartier.
Alle fünf gingen gemeinsam dorthin, um eine trockene Ecke zu zeigen, wo Palmenblätter und Heu als Unterlage zum Schlafen dienten. Bevor es dunkel wurde, aßen sie vom mitgebrachten Proviant und tranken eine Dose Cola dazu.
Beide Inselfahrer waren so müde, dass sie bald einschliefen.
Es musste gegen Mitternacht gewesen sein. Roman wurde durch Windböen wachgerüttelt, sie drohten die Scheune einzureißen, so heulte der Sturm.
Der Deutsche leuchtete mit einer Taschenlampe in die Ecke, wo sich Pepe hingelegt hatte. Im ersten Moment sah er niemanden, dann ließ er seinen Blick in die andere Ecke schweifen. Dort lag er, zusammengerollt wie ein Igel und schnarchte leise vor sich hin.
Roman löschte die Lampe und lauschte in die finstere Nacht hinein. Es begann zu regnen, große Regentropfen schlugen gegen das Scheunendach so heftig, dass es bald zu tropfen anfing. Das konnte ja heiter werden! Mit der Decke rollte sich Roman zu Pepe hin, drückte sich an ihn und wartete, was sich ereignen sollte. Roman lauschte in die Finsternis, bis ihn die Müdigkeit übermannte.
Als er aufwachte, schien die Sonne seitwärts in den Raum hinein. Pepe schlief immer noch, ohne zu schnarchen. Roman stand leise auf und ging nach draußen.
Der Wagen stand noch vor der Tür, vom Dach war Stroh heruntergefegt worden und versperrte den Zugang zum Auto. Er machte den Weg frei, reckte sich ein paar Mal, und lief nur mit Badehose bekleidet, zum nahen Meeresufer. Unzählige Austern hatte die Meeresflut angeschwemmt. Roman sammelte eine Menge davon ein und brachte sie zum Auto. Pepe war in der Zwischenzeit erwacht, und als er seinen Freund beim Einsammeln der Meeresmuscheln sah, kam er schnell hinzu und gemeinsam sammelten sie so viele Meerestiere, dass sie für zwei Tage zu essen hatten. Die Austern, die sie nach dem Frühstück öffneten, enthielten teilweise schöne Perlen, so dass Pepe eine Handvoll von ihnen in einem Lederbeutel verwahrte.
Ehe sie weiter fuhren, säuberten sie das Auto vom Schmutz und Regen der Nacht. Sie hatten sich gerade zur Weiterfahrt zurecht gemacht, als die zwei Männer, die sie den Berg herunter begleitet hatten, vor dem Auto auftauchten. Nach der üblichen Begrüßung, fragten sie nach dem Ziel der Reise.
„Das wissen wir selbst nicht, wir fahren geradeaus weiter in Richtung Norden am Meeresufer lang, irgendwann kommen wir schon wieder an unserem Ausgangspunkt an!“ antwortete ihnen Pepe.
Roman musste grinsen, Pepe saß jetzt auf dem Fahrersitz und kam sich seinen Landsleuten gegenüber sehr wichtig vor.
„Ihr könnt uns helfen, dass es uns gelingt den Wagen zu starten!“ sagte er zu den beiden Indios. Sie taten es auch bereitwillig. Pepe steckte den Zündschlüssel ins Schloss, drehte ihn rechts herum, und der Motor fing an zu brummen.
Der Wagen fuhr los, und beide Autofahrer riefen den Zurückgebliebenen ein freundliches bye bye zu.
Jetzt steuerte Pepe den Wagen, und Roman konnte sich die Gegend anschauen. Sie waren etwa 80 Kilometer seit dem Start gefahren, und es schien, als ob sie in einer anderen Welt gelandet wären. Hinter ihnen lag die große Tiefebene, an deren einen Seite der Fischerhafen angelegt war. Hier im Norden wehten kühlere Passatwinde und dementsprechend hatte sich eine andere Flora entwickelt. Es gab neben den vielen Palmen auch größere Pinienbäume, die den Weg versperrten. Sie mussten öfter um Hindernisse herumfahren. Der Nachtregen hatte auf dem steinigen Boden größere Pfützen hinterlassen, und neben dem Wagen spritzten hohe Wasserfontänen auf. Pepe fuhr zügig durch die mit Steinen übersäte Gegend. Viele kleinere Büsche wuchsen in verschieden Farben, einige fast dunkelgrün, andere hellrot, andere wiederum waren vertrocknet. Zur Mittagspause hielten sie an einer kleinen Bucht. Pepe sammelte trockenes Holz, Roman holte den Kochtopf herbei, suchte eine Stelle, wo man Feuer anzünden konnte, und bald kochte eine köstliche Suppe mit vielen Muscheln und Austern. Sie aßen Brot mit getrockneten Fischen, und noch lange danach spürten sie den Geschmack der leckeren Austern-Suppe im Munde.
Am Nachmittag hatten sie nach der Anzeige des Kompasses die nördlichste Spitze der Insel umfahren, und jetzt fuhren sie westwärts in Richtung Ausgangspunkt. Roman hatte gehofft, im Laufe des Tages wieder zu Hause zu sein, aber er hatte sich geirrt. Als die Abenddämmerung langsam heraufzog, sagte Roman zu Pepe: „Hej, wie lange willst du heute noch fahren? Willst du nicht halt machen um ein Nachtlager zu suchen?“
Pepe zeigte auf einen Punkt in der Ferne, wo helles Licht brannte. „Dorthin zum Feuer fahren wir, ich will sehen was dort brennt!“ Nach zehn Minuten kamen sie an die Stelle wo noch Rauch aufstieg, und sie konnten erkennen, dass ein großes Stück Grasland abgebrannt war. Wie das Feuer sich entzündet hatte, warum es hier gebrannt hatte, das konnten sie nicht erfahren.
In einer Mulde hielten sie an, ein Höhleneingang lud zum Übernachten ein, und Roman rief Pepe zu: „Hier bleiben wir, wir fahren nicht weiter, es wird ja schon dunkel!“
Um vor eventuell eindringenden Tieren geschützt zu sein, breiteten sie Decken aus, womit sie den Höhleneingang abdeckten. Jeder aß schnell ein Stück Brot, die letzten gekochten Eier, die sie noch hatten wurden verzehrt, und sie tranken Cola aus der Dose dazu. Es war ein karges Abendbrot, das sie dort draußen zu sich nahmen. Sehr schnell brach die Nacht herein. Sie schmiegten sich eng aneinander, Rücken an Rücken lagen sie halb zugedeckt unter freiem Himmel und warteten auf den Schlaf. Langsam leuchteten helle Sterne am südlichen Himmel auf, die Halbsichel des Mondes erschien tief am Horizont, und von weitem hörte man das Rauschen des Meeres.
Lange Zeit konnte Roman nicht einschlafen, er dachte an seine Heimat, an Freunde und Verwandte, an seine jetzige Lage, und er kam sich einsam und verlassen vor. Wenn nicht Pepe neben ihm leise geschnarcht hätte, wäre er aufgestanden und noch am Strand entlang gelaufen. Die Nacht war nicht kalt, nur der Wind vom Meer wehte kühl über sie hinweg. Roman betrachtete am hohen Himmel die Sterne, sah den großen Wagen mit dem Reiterchen, und in seiner Phantasie sah er Sternschnuppen vom Himmel fallen, die hinter dem Horizont verglühten. Es war eine unvergesslich schöne, karibische Nacht, in der er seine Erlebnisse Revue passieren ließ. Dabei kam er zur Erkenntnis, wie klein und nichtig die Menschen sind, und wie leicht verletzlich.
Früh morgens wurde Roman durch Vogelgezwitscher geweckt. Er erhob sich, alle Knochen taten ihm weh, und es dauerte eine Weile, bis er sich frei bewegen konnte. Er machte ein paar Gymnastikübungen, bückte sich nach unten, dann zu Seite und drehte den Kopf von einer Seite zur anderen. Pepe war auch wach geworden und fragte noch im Halbschlaf:
„Wo sind wir denn hier im Felde?“ - „Was machst du so früh am Morgen?“ - „Ich bin so müde und möchte noch ein bisschen schlafen!“
„Ja, wenn ich das genau wüsste, wohin es uns verschlagen hat, dann könnte ich dir es sagen, aber steh auf, denn heute geht es wieder heim zur Mama. Die wird sich bestimmt freuen!“
Nach dem Frühstück setzte sich Pepe wieder ans Steuer. Er begann zu pfeifen und war vergnügt und munter. Der Wagen rollte immer schneller und bald hatte sie ihr Zuhause erreicht. Insgesamt waren sie 280 Kilometer gefahren, genug, um die Insel kennen zu lernen. Das Wichtigste war, der Wagen hatte die Rundfahrt ohne Schaden überstanden. Was für leistungsfähige Autos die Technik heutzutage herstellt, wenn man bedenkt, dass dieser Jeep viele Jahre bei der großen Hitze, bei Wind und Regen ungeschützt bei Tag und Nacht in der Nähe des Meeres stand!
Nach der Inselrundreise verbrachte Roman die drei folgenden Tage daheim im kleinen Haus am Meer. Er notierte sich vor allem die Merkwürdigkeiten, die er selbst gesehen und gehört hatte. Am vierten Tag fragte Pepe: „Roman, heute soll das Versorgungsschiff wieder in unseren Hafen einlaufen, kommst du mit? Ich brauche Benzin und einige andere Sachen, die mir im Moment nicht einfallen, vielleicht kann ich einiges preiswert einkaufen.“
„Natürlich komme ich mit, ich möchte auch etwas für mich kaufen.“ Sie überlegten nicht lange, sondern fuhren beide zum Hafen hinunter, wo das Schiff noch nicht eingetroffen war. Das Auto wurde in der Nähe der Bar am Hafen geparkt, und Roman bestellte für Pepe und sich Cola mit Rum.
Nachdem er wenige Schluck getrunken hatte, wandte er sich an den Indio und fragte ihn:
„Wie war das damals, als dein Vater nach Amerika mit dem Schiff wegfuhr, hast du ihn mit dem Jeep auch zum Hafen gefahren?“
„Ach mein lieber Roman, immer wenn ich im Hafen auf das Versorgungsschiff warten muss, dann denke ich an meinen Vater. Ich war damals so wie mit dir heute, hier an der Bar und wartete auf die Einkäufe meines Vaters. Er unterhielt sich mit den Matrosen und dem Kapitän des Schiffes, und als er nach einer halben Stunde zurückkam, sagte er unvermittelt:
„Weißt du was mein Junge, ich habe Arbeit auf dem Schiff gefunden, ich soll als Koch mitfahren!“ Zuerst habe ich gedacht, mein Vater scherzt mit mir, aber dann sprach er weiter:
„Ja, wirklich, der Koch auf dem Schiff ist plötzlich erkrankt, der Kapitän will, dass ich für ihn einspringe. Außerdem brauchen sie jemanden der Kochkenntnisse besitzt und zugleich die englische Sprache beherrscht. Pepe trank wieder einen Schluck aus der Cola-Dose, räusperte sich und fuhr nachdenklich fort: „Ich habe nicht vergessen, wie der Vater damals zu mir sagte:
„Junge, sagte er, sei stark, fahr du allein zur Mutter zurück, ich fahre mit dem Schiff nach Amerika, es ist gut, dass ich vom Amerikaner, der bei uns war, ein paar Sätze Englisch gelernt habe. Sage der Mutter, die Arbeit auf dem Schiff ist nur für einen Monat gedacht. Wenn der Frachter das nächste Mal wieder hierher kommt, so denke ich in der Zwischenzeit so viel Geld verdient zu haben, um unser Haus weiter ausbauen zu lassen. Auch für dich mein Junge will ich etwas Schönes mitbringen!“
„Was sollte ich meinem Vater als Antwort geben? Sollte ich ihn mit Gewalt festhalten? Das wäre ja gar nicht gegangen. Er war ein großer starker Mann, und außerdem müssen bei uns die Kinder gehorchen, wenn die Eltern es wollen.“
Pepe sprach diese Sätze mit trauriger Stimme. Roman merkte, wie er in Gedanken an den Abschied mit dem Vater dachte und darunter noch heute litt. Der Deutsche verstummte und fragte nicht weiter. Aber Pepe fing nach einer Weile wieder von allein an.
„Meine Mutter war natürlich nicht erfreut, als ich ohne Vater nach Haus kam. Aber die Aussicht, dass er nur für kurze Zeit auf dem Schiff arbeiten sollte und dazu noch Geld zu verdienen, das beruhigte sie. Aber seit dieser Zeit sind schon zwei lange Jahre vergangen, und wir haben kaum noch Hoffnung, dass mein Vater wieder kommt!“
Er war ein großer starker Mann, und außerdem müssen bei uns die Kinder gehorchen, wenn die Eltern es wollen.“ Pepe sprach diese Sätze mit trauriger Stimme. Roman merkte, wie er in Gedanken an den Abschied mit dem Vater dachte und darunter noch heute litt. Der Deutsche verstummte und fragte nicht weiter. Aber Pepe fing nach einer Weile wieder von allein an. „Meine Mutter war natürlich nicht erfreut, als ich ohne Vater nach Haus kam. Aber die Aussicht, dass er nur für kurze Zeit auf dem Schiff arbeiten sollte und dazu noch Geld zu verdienen, das beruhigte sie. Aber seit dieser Zeit sind schon zwei lange Jahre vergangen, und wir haben kaum noch Hoffnung, dass mein Vater wieder kommt!“ Roman versuchte Pepe zu trösten und meinte: „Vielleicht kommt dein Vater heute mit dem Schiff zurück?“ - „Das glaube ich nicht, denn als damals das Schiff nach einem Monat wieder hier im Hafen anlegte, und ich nach meinem Vater fragte, sagte man mir, der Kapitän sei in Miami krank geworden, jetzt aber wäre ein anderer Kapitän auf dem Schiff.“ - „Aber hast du nicht nach dem Koch gefragt, nach deinem Vater, der diese Stelle übernommen hatte?“ - „Das habe ich auch getan, aber als Antwort bekam ich: „Der Koch sei nach schwerer Krankheit gestorben. Aber keiner von den Matrosen konnte mir sagen, ob es der alte Koch war der gestorben sei, oder ob mein Vater gestorben sei. Das lässt mich immer noch hoffen, dass mein Vater lebt und eines Tages zurückkehrt. Das Schiff kam erst nach ungefähr drei Stunden langsam in den Hafen geschippert, wo schon mehrere Leute ungeduldig darauf warteten. Umständlich wurde es mit starken Seilen an mehreren großen Baumstämmen festgebunden. Eine gemauerte Hafenmauer mit Befestigungsvorrichtungen gab es nicht, auch keine Hafenanlagen wie man sie in europäischen Häfen vorfindet.
Das Nebelhorn konnte man schon von weitem hören. Das laute T u u t - t u u t schallte mit verstärktem Echo. Über eine Strickleiter kletterten mehrere Matrosen herunter, auch der Kapitän war dabei. Roman beeilte sich, um ihn zu begrüßen. Es war aber ein anderer Kapitän, nicht mehr derselbe mit dem der Inselforscher damals angekommen war. Er drängte sich vor und wandte sich an ihn. „Good morning Sir, mein Name ist Fischer, ich bin Deutscher, darf ich Sie etwas fragen?“ - „Aber nur kurz, ich habe keine Zeit „, war die brummige Antwort. In paar Sätzen erklärte Roman ihm, um was es sich handelte. Dass er hier auf der Insel seit zwei Monaten wäre, und dass seine Hauswirtin auf ihren Mann warten würde, der vor zwei Jahren auf dem Schiff als Koch angeheuert wurde. „Aber nicht bei mir, denn ich habe das Schiff erst vor kurzem übernommen. Ich weiß nichts von einem Indio-Koch, der auf diesem Schiff gearbeitet haben soll.“ - „Sehr schade, denn als ich die Schiffspassage machte, erzählte mir Ihr Vorgänger, dass es vor etwa zwei Jahren eine Meuterei gegeben habe, damals wären mehrere Leute vom Schiff gegangen, darunter auch ein Koch namens John. Als der Kapitän, das Wort Meuterei hörte, horchte er auf und erwiderte etwas freundlicher. „Entschuldigen Sie Sir, ich habe im Moment wirklich keine Zeit, aber wenn Sie in einer Stunde in meine Kabine kommen, dann will ich Ihnen gern Rede und Antwort stehen. Für den Augenblick konnte Roman nichts anderes machen. Er bedankte sich und versprach bald wiederzukommen. Pepe, der das Gespräch mitgehört hatte, horchte auf. „Walter, my friend, du hast dem Kapitän etwas von einer Meuterei gesagt, was ist das?“ - „Eine Meuterei oder auch Streik, ist eine sehr schlimme Sache. Ich habe ein Buch gelesen, die Meuterei auf der „Bounty", damals sind viele Leute ums Leben gekommen. Die Matrosen hatten versucht den Kapitän zu töten.“ - „Warum wollten sie den Kapitän töten?“ - „Ja, das weiß ich auch nicht mehr so genau, meistens meutern die Leute, wenn die Arbeitsbedingungen zu hart sind, wenn sie kein Geld für ihre Arbeit bekommen, wenn das Essen zu schlecht ist, oder wenn die Matrosen sich ewig streiten.
„Meinst du, dass auf dem Schiff mit dem mein Vater damals gefahren ist, hat es auch Tote gegeben?“ fragte Pepe wissbegierig. „Das weiß ich nicht, darüber will ich mich ja mit dem jungen Schiffsführer sprechen.“ - „Darf ich bei dem Gespräch dabei sein?“ - „Selbstverständlich, du bist doch als Zeuge eine wichtige Person, du kannst dabei sein und alles hören.“ Pepe war mit seinem Freund ungeduldig vom Schiff gegangen und hatte gebeten, noch eine Cola mit Whisky zu trinken. „Eine Cola trinken wir beide, aber ohne Alkohol, wir wollen beim Kapitän nüchtern erscheinen.“ Sie gingen zur nahen Bar, setzten sich an einen bequemen Tisch und sahen dem lebhaften Treiben zu, das bei jedem Schiffsanlegen zu beobachten war. Pepe saß ziemlich traurig neben dem Deutschen. „Was meinst du zu dem, my friend Roman, was der Kapitän sagen wird, was soll ich jetzt machen soll?“
„Kommt Zeit, kommt Rat", waren Romans Worte. Um ihn aber zu trösten fuhr er fort. „Pepe, ich glaube nicht, dass dein Vater, so einfach von der Welt verschwunden ist, ohne dass dies von jemandem bemerkt worden wäre. Wenn es heute keine Neuigkeiten bei diesem jungen Kapitän geben sollte, dann werde ich mich nach deinem Vater erkundigen, ich werde nach ihm suchen.“ - „Das würdest du tun, mein Freund? Oh, wie ich mich freue!“ - „Ob du dich freuen kannst, das wird die Zukunft zeigen, jedenfalls werde ich mich bemühen, deinen Vater zu finden. Wenn ich auf meiner Heimreise in Miami Station mache, werde ich zum Hafenamt gehen, um mich dort zu erkundigen, ob die OKRETA mit einem Indio-Koch an Bord im Hafen eingetroffen ist.“ Diese tröstenden Worte wirkten beruhigend auf Pepe, er stellte sich in die Reihe der Wartenden, um das einzukaufen, was ihm seine Mutter aufgetragen hatte. Der Deutsche beobachtete die unruhig Wartenden, und war erstaunt, wie schnell und reibungslos die Abfertigung des Schiffes vor sich ging. Pepe hatte Mehl, Salz, Zucker, Pfeffer, für die nächsten drei Monate eingekauft. Aber das Wichtigste für ihn waren 30 Liter Benzin, die in einem besonderen Fass bereit gehalten wurden. Roman Fischer hatte die Absicht auch seiner Zimmerwirtin etwas zu kaufen. Er wollte ihr eine kleine Überraschung bereiten. In einer Ecke sah er schöne, künstliche rote Rosen in einer Messingvase, die ihm gefielen. Ohne lange zu überlegen, kaufte er die Vase mit den künstlichen Blumen. Als Pepe mit dem Beladen seiner Waren auf dem Auto fertig war, kam Roman mit den Rosen, ohne zu sagen, dass sie für die Mutter bestimmt waren. Der Barbesitzer hatte seine Waren aus dem Schiff mit Hilfe mehrerer Indios in seinem Lager untergebracht, und Walter kaufte bei ihm noch eine Kiste voller Cola-Büchsen für Pepe, als kleines Dankeschön fürs Mitnehmen. Sie hatten gerade ihren Einkauf beendet, als Pepe rief: „Mama, Mama, was machst Du denn hier, wie kommst du hierher?“
„Ich hatte vergessen dir zu sagen, dass wir keine Zündhölzer zu Hause haben, die brauche ich unbedingt, und die möchte ich noch schnell einkaufen.“ - „Lassen Sie das sein, Frau Copia, nehmen Sie hier neben Ihrem Sohn Platz, ich besorge das schon!“ Roman ging zur Bar zurück, kaufte eine große Packung Zündhölzer und gab das Päckchen zusammen mit den Rosen der Zimmerwirtin. Als sie die Rosen erblickte, errötete sie voller Freude, drückte dem weißen Gast ein paar mal die Hand und sagte: „Doba, doba, many thanks, ich danke vielmals, das sind aber schöne Blumen, solche habe ich noch nie gesehen!“ - „Die wachsen auch nicht auf dieser Insel, die werden in Amerika gemacht, das sind künstliche Blumen!“ - „Künstliche Blumen, gibt es so was, das ist ja wie ein Wunder.“ Pepe staunte mit seiner Mutter nicht wenig über das Geschenk, beide freuten sich riesig, und nach einer Weile sagte er, wobei er sich wichtig vorkam: „Mama, Roman und ich, wir haben eine Verabredung mit dem Kapitän, wir wollen ihn nach dem Vater fragen. Du musst noch auf uns warten, so schnell fahren wir nicht nach Hause.“ - „Das macht nichts, ich habe ja Zeit", antwortete sie ruhig. In der Zwischenzeit war soviel Zeit vergangen, um zum Schiff zurückzukehren. Ungeduldig drängte Pepe den Deutschen.
„Komm Roman, bitte, wir müssen zum Kapitän, las ihn nicht warten!“
„Er wartet nicht auf uns, wir müssen auf ihn warten.“ Roman Fischer eilte mit Pepe die Gangway hoch und betrat die Kabine des Kapitäns, die er ja schon kannte. Es hatte sich nicht viel verändert, das Sternenbanner und Jimmy Carter hingen immer noch an der Wand. Man meinte in einer Amtsstube zu sein. „Entschuldigen Sie, wenn ich meinen Freund, den jungen Indio mitgebracht habe. Er ist nämlich der Sohn des verschwundenen Kochs versteht ganz gut Englisch, und er möchte dabei sein, wenn es um seinen Vater geht.“ - „Setzen Sie sich hin und erzählen Sie mir in Ruhe, was Sie hierher geführt hat, und fragen Sie, was Sie wissen möchten!“ Roman Fischer berichtete ihm in kurzen, einfachen Sätzen, damit Pepe sie auch verstehen konnte. Er sprach von seiner Absicht hier in der Südsee einige Monate zu verbringen, teils um einen Entdeckungsurlaub zu machen, teils um die Sprache und Sitten der Inselbewohner zu erforschen. „Oh, das ist aber interessant, dass jemand aus Deutschland sich die Mühe macht, um die Kultur der Karibik kennen zu lernen. Ich interessiere mich auch sehr für Geschichte, die Entdeckung von Amerika, überhaupt über die Entstehung der Staaten und Kultur der neuen Welt. Aber nun zu Ihrem Anliegen Mister Fischer. Sie sagen, dass Sie mit meinem Vorgänger über eine Meuterei gesprochen haben, über einen Koch John, den Sie suchen. Ich persönlich höre das erste Mal von so einem Vorfall. Aber ich rate Ihnen, gehen Sie in Miami zum Seehafenamt, dort ist unser Schiff registriert, dort werden alle Vorfälle von einiger Bedeutung festgehalten. Vielleicht finden Sie dort eine Eintragung.“
„Ach, und entschuldigen Sie, darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“ - „Ja gerne, wenn es Ihnen nichts ausmacht!“ Der Kapitän schenkte den gleichen Rum ein, den Roman schon von seinem Vorgänger bekommen hatte. Alle drei prosteten sich zu und der Deutsche musste einige Neuigkeiten aus Deutschland erzählen. Den jungen Amerikaner interessierte die Tatsache, dass Germany wie er sich ausdrückte, zwei Weltkriege verloren hatte und wieder wirtschaftlich eine Macht war. „Oh, Sie müssen nach dem Kriege viel gearbeitet haben, um alles wieder aufzubauen.“ - „Das kann man wohl sagen", erwiderte Roman Fischer stolz. Nach einer halben Stunde verabschiedeten sich Roman und Pepe vom Kapitän mit freundlichem Händedruck. „Ach, was ich noch sagen wollte, vielleicht erkundige ich mich doch selbst einmal, wenn ich wieder in Miami bin, über diesen Streik, daraus kann ich vielleicht einiges lernen!“ rief ihnen der Kapitän nach. „Ja, das wäre natürlich sehr gut. und forschen Sie bitte auch nach, ob Sie etwas über den verschwundenen Koch in Erfahrung bringen können.“ Dass der Kapitän gute Nachrichten mitbringen sollte, dass konnte zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen. Roman hatte die Absicht mit Pepe, der ein guter Autofahrer war, möglichst viel auf der Insel herumzufahren, um Land und Leute noch besser kennen zu lernen. Er wollte ein Buch über die Insel schreiben, dafür machte er sich fast täglich eifrig Notizen, um sie zu Hause auszuwerten. Pepes Auto sah ziemlich mitgenommen aus, und er wollte nicht, dass es wegen ihm seinen Geist aufgab. Als er Pepe nach dem Alter des Wagens fragte, antwortete er verlegen. „Was soll ich machen, der Wagen ist alt, die Federn sind ausgeleiert, neue Stoßdämpfer müssten rein, woher soll ich sie nehmen?“ Pepe hatte Recht. Auf der ganzen Insel gab es keine Reparaturwerkstatt, auch keinen Handwerker der sich auf Schlosserarbeiten verstand, zu allem war er allein. Außerdem fehlte das nötige Werkzeug, um Reparaturen zu bewerkstelligen. „Sprich mal mit dem Kapitän der OKRETA, wenn er das nächste Mal wieder da ist, dann frage, ob er dir aus Amerika neue Stoßdämpfer besorgen kann. Ich würde mich an den Kosten für die nötigen Teile beteiligen!“
Dass neue Stoßdämpfer von einer ganz anderen Seite kommen sollten, das hätte Pepe nicht für möglich gehalten. „Roman, mein guter Freund, ich glaube dir, dass du besseres Fahren gewohnt bist, aber überlege dir, wir wären doch nie zu Fuß in so kurzer Zeit um die ganze Insel herumgekommen, wenn wir nicht den Wagen gehabt hätten. Mein Wagen ist mir ans Herz gewachsen, und ich möchte ihn nicht mehr missen. Wie ein Kind an der Mutter, so hänge ich an dem Auto. Mir tut es im Herzen weh, wenn ich das Kreischen und Schlagen der Räder höre.“ - „Wir müssen das nächste Mal, wenn wir wieder irgendwo hin fahren, besser auf den Weg achten. Wir dürfen keine Steine überfahren, die Schlaglöcher müssen wir meiden und den Wagen schonen, so gut das nur möglich ist. Der Wagen muss nur für Notfälle sein. Kein unnötiges Spazieren fahren mehr!“ Pepe selbst war mit seinem Vorsatz nicht zufrieden, weil es ihm innerlich schwer fiel, auf sein geliebtes Autofahren zu verzichten, oder das Fahren wenigstens einzuschränken. Der Wagen stand in den nächsten Tagen hinter dem Haus im Schatten. Große Palmenblätter waren darauf gelegt worden, und von weitem konnte man nicht erkennen, dass dort ein Auto verborgen stand. Notgedrungen musste sich Pepe mehr im Haus aufhalten. Seine Mutter kam die Stilllegung des Wagens gelegen. „Pepe, mein lieber Junge, wie wäre es wenn du mir im Garten helfen würdest, ich habe so viel zu tun?“ meinte eines Tages die Mutter zu ihm. „Freilich, natürlich, ich helfe dir, sag nur was ich machen soll, ich habe doch dem Papa versprochen dir beizustehen!“ Im Innern des Herzens verspürte die Mutter einen Stich, als sie von Pepe an den Vater erinnert wurde. Ihr Mann, der seit langem erwartete John, kam und kam nicht. Äußerlich ließ sie sich nichts anmerken, was sie bedrückte, im Gegenteil mit aufmunternder, freundlicher Stimme sagte sie zu ihm: „Wenn du heute Zeit und Lust hast, dann kannst du mir ein Stück im Garten umgraben. Ich will nämlich Kartoffeln stecken, es wird höchste Zeit, dass sie in die Erde kommen. Ich habe sie vorkeimen lassen, und wenn sie nicht bald in die Erde kommen, gehen sie mir alle kaputt!“
Die Sonne schien an diesem Tag ab und zu durch die Wolken, es hatte vorher geregnet, als Pepe sich an den Deutschen wandte: „Roman, ich wage es nicht zu sagen, ich habe eine Bitte an dich. Bitte sei mir nicht böse, wenn ich dir das sagen muss. Könntest du mir etwas bei der Gartenarbeit helfen? Früher hat es immer mein Papa mit mir getan, aber er ist nicht da, wie du weißt, und meiner Mama kann ich diese Arbeit nicht zumuten!“ - „Was ist denn zu machen, natürlich helfe ich dir", antwortete er hilfsbereit.
„Wir müssen mit dem Handpflug den Acker für die Kartoffeln vorbereiten, komm` mit, ich zeige dir den Pflug!“ Hinter dem Haus war ein kleiner Holzschuppen, aus diesem zog Pepe ein Gerät hervor, das außer einer eisernen Schar, ganz aus Holz gebaut war. Vorn war eine Art Deichsel mit Griffen zum ziehen, hinten war ein Stück Holzbalken zum steuern, und unten befand sich das Wichtigste, die eiserne Pflugschar zum pflügen. „Warte eine Minute Pepe, ich muss mich umziehen, sofort bin ich wieder zurück, dann fangen wir an zu ackern!“ Roman zog sich eine kurze Hose an, barfüßig ohne Schuhe war er bald im Garten und fragte: „Wo sollen wir anfangen? Halte du den Pflug hinten, ich ziehe vorne, ich gebe die Richtung an, du brauchst nur den Pflug gerade zu halten, und die Schar etwas in die Erde drücken.“ Kurz und präzise waren seine Anweisungen. Die Mutter konnte es kaum glauben, dass der Gast aus Deutschland und Pepe, den Kartoffelacker pflügten mit einer Ausdauer, als gälte es einen Akkord zu brechen. Bei der ungewohnten Arbeit kam er aber bald ins Schwitzen. Nach einer Weile fing der Weiße an zu keuchen, hielt sich aber tapfer auf den Beinen. Pepe sah seine Anstrengungen, blieb stehen und ermunterte ihn: „Roman, nur noch zweimal hin und her, dann sind wir fertig!“ Endlich hatten sie es geschafft! Ein großes Stück Land war umgepflügt, und für die neue Aussaat vorbereitet worden. „Jetzt müssen wir nur noch Furchen ziehen, worin die Kartoffeln gelegt werden", meinte Pepe belehrend. „Die Saatkartoffeln legt meine Mama, das macht sie immer selbst, sie sagt, niemand kann es so gut wie sie.“ Es dauerte doch noch eine längere Weile, ehe die Kartoffeln in der Erde waren, und die Mutter stellte voller Anerkennung fest: „Ihr habt gut gearbeitet, dafür koche ich euch etwas Besonderes, ihr könnt euch etwas wünschen!“ Roman hatte in Bezug aufs Essen keinen Extrawunsch, Pepe aber seufzte: „Ah, ich hätte mal ein gebratenes Hähnchen zum Mittagessen!“ - „Das ist kein Problem, nur du musst mir ein Huhn oder ein Hähnchen schlachten, ich kann es nicht, und Papa ist nicht da.“ - Die Hühner liefen ums Haus herum, und es war gar nicht leicht ein Federvieh einzufangen. Pepe jagte sie in den Geräteschuppen, bald hatte er ein Hähnchen am Schwanz erwischt, aber husch, schon war es wieder weg!“ - „Wir müssen bis zum Abend warten, wenn die Hühner im Stall sitzen und schlafen, dann kannst du eher ein Huhn erwischen", wandte sich Walter an Pepe. „Du hast Recht, heute Abend gehe ich auf Hühnerjagd, und morgen gibt es gebratenes Hähnchen.“ Nach der schweren Arbeit im Garten, waren beide müde geworden und ruhten unter einer Palme aus. Roman betrachtete die Wolken am Himmel, wie sie westwärts zogen und bemerkte ein Flugzeug hoch oben in der Luft, wie es Kreise zog und immer tiefer herunterkam. „Pepe, Pepe", rief er laut, „siehst du das Flugzeug dort oben, es kommt runter, schnell, steh auf!“ Pepe rieb sich die Augen, blinzelte in die Richtung die Roman ihm angezeigt hatte und schrie aufgeregt: „Ein Flugzeug, ein Flugzeug, ein Flugzeug kommt runter. Hurra ich habe noch nie ein Flugzeug gesehen, komm` Roman, lauf` mit mir, ich glaube, es will auf dem Wasser landen!“ - Die zwei Freunde schauten prüfend in die Richtung, wo deutlich das Dröhnen von Flugzeugmotoren zu hören war, und wirklich ein zweimotoriges Wasserflugzeug setzte in der Nähe zur Landung an. Das war eine Überraschung, die wollten sie sich nicht entgehen lassen, und so schnell wie möglich eilten sie zur Landestelle. Von weitem erkannte Roman, dass es sich um ein amerikanisches Seenot-Rettungsflugzeug handelte: Auf dem Flugzeugrumpf war ein großes Rotes Kreuz angebracht worden und anstatt Räder, hatte es mächtige Schwimmer. Majestätisch stand es nun auf dem ruhigen Wasser, in etwa 100 Meter Entfernung vom Ufer, groß und mächtig. Pepe stieß den Deutschen mit dem Ellbogen an. „Roman, schau nur, was für ein großer Vogel! Sieht aus wie eine Möwe, weiß wie Schnee mit dem Roten Kreuz, was bedeutet das?“ Mit ein paar Sätzen erklärte er ihm Sinn und Zweck des Roten Kreuzes, worauf er aufgeregt fragte: „Dann sind Leute in Not, denen müssen wir helfen, wo sind denn die Leute?“
„Das möchte ich selbst gerne wissen, schau nur, eine Tür öffnet sich, und ein Boot wird zu Wasser gelassen. Jetzt steigen zwei Männer ins Boot, sie schalten einen Motor an. Sie kommen zu uns ans Ufer!“ Roman kommentierte das Gesehene im Telegrammstil, Pepe riss Mund und Augen auf, und vor lauter Staunen brachte er kein Wort hervor. Die beiden Männer aus dem Flugzeug hatten mit keinen Menschen auf der Insel gerechnet, umso überraschter waren sie, als der Deutsche ihn mit seinem Schulenglisch von weitem begrüßte: „Good morning fellows, what are you wanting here on this island?“ Sie hatten den Motor abgeschaltet, die letzten paar Meter gingen sie zu Fuß und zogen das Boot an einer Leine hinter sich her. "Ay, ay, sir - hi - who are you? What are you doing here? riefen sie den beiden Inselbewohnern zu, wobei sie Pepe noch mehr musterten als den älteren Weißen. Dieser stellte sich vor und erwiderte:
„Ich mache hier auf der Insel Urlaub, und das ist mein Freund Pepe. Ich wohne bei seiner Mutter dort im Haus, dort hinten unter den Bäumen!“
Ungläubig schüttelten sie den Kopf: „ No, no sir, it`s not possible, das ist nicht wahr, das ist doch nicht möglich. Diese kleine Insel ist nicht auf unseren Seekarten verzeichnet! Und da sollen Menschen leben und sogar Urlaub machen?“ Den Rote-Kreuz-Männern erzählte Roman in ein paar Sätzen den Grund seiner Anwesenheit auf Palaosa, wobei er verschwieg, wie er gelandet war. Pepe stand neben ihm, verstand wenig von allem dem, was er mit den fremden Männern sprach, und um ihn nicht länger zappeln zu lassen, übersetzte er das Nötigste in seine Sprache, wonach er freundlich zu grinsen begann. Roman fragte Pepe: „Darf ich die beiden Männer vom Flugzeug ins Haus einladen, sie wollen mir nicht glauben, dass ich bei euch wohne.“ - „Natürlich – selbstverständlich, sehr gerne, kommt mit zu meiner Mama, die wird sich freuen!“ - Zu den Männern und zu Roman gewandt, sagte Pepe auf Englisch: „Come with me, to my family.“ Die Männer nahmen die Einladung an, und alle vier gingen sie einer hinter dem anderen, an der Spitze Pepe, zum Haus, wo seine Mutter neugierig auf die Besucher wartete. Sie setzten sich vor dem Haus auf eine Bank, und Frau Copia brachte selbst gemachten Saft aus gegärten Weintrauben. „Zum Wohl - auf Ihre glückliche Landung auf Palaosa sagte Roman zu den unerwarteten Besuchern. Nun? Habe ich die Wahrheit gesagt, überzeugen Sich selbst, hier leben und wohnen doch Indios auf der Insel. Schätzungsweise etwa zweihundert Menschen, in kleinen Dorfgemeinschaften, die weit auseinander verstreut, ein ruhiges Leben genießen.“ - „Aber wovon leben die Inselbewohner, was machen sie hier in der Abgeschiedenheit, wo keiner normalerweise hinkommt?“ - Sie leben wie die wenigen noch lebenden Ureinwohner auf der Welt. Sie scheinen wenig zivilisiert zu sein, aber kommen doch ganz gut mit ihren Lebensbedingungen zurecht. Sie betreiben Ackerbau und Viehzucht, nebenbei fangen sie Fische und suchen Muscheln, um die darin gefundenen Perlen zu verkaufen“ Beim Stichwort Perlen blickten die Neuankömmlinge auf. „Haben die Leute viele Perlen zu verkaufen?“ wandte sich der eine an Roman. „So viele, wie sie finden, ich kann Ihnen ja welche zeigen.“ Er ging in sein Zimmer, dort hatte er ein paar schöne Stücke als Souvenir aufbewahrt, und als er die glitzernden Perlen auf der Handfläche zeigte, waren die Betrachter begeistert. „Was wollen Sie für die Perlen haben? Ich kaufe sie sofort ab, ich bin nämlich Sammler, und solche exotischen Exemplare habe ich noch nie gesehen!“ - „Ich habe eine Frage, besser gesagt mein Freund Pepe hat ein Problem mit seinem Jeep. Die Stoßdämpfer sind hinüber, haben Sie die Möglichkeit uns bei der Beschaffung neuer Federn behilflich zu sein, damit wir wieder besser fahren können?“ - „Ein Auto, einen Jeep haben Sie auch noch, wo ist er?“ unterbrachen sie ihn ungläubig. „Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen das Fahrzeug!“ erwiderte er. Pepe stolz. Er hatte soviel mitbekommen, dass es sich um Perlen und seinen Jeep handelte, über die sich der Deutsche mit den Fremden unterhielt. Er sprang sofort auf, und lief hinter das Haus, wo er die Palmenzweige beiseite tat, um den Wagen zu zeigen. Fachmännisch wurde der Wagen untersucht, die beiden Flugzeugflieger hatten mehr Ahnung, als Walter und Pepe zusammen. Sie klopften den Wagen ab, ließen den Motor laufen und kamen zum Ergebnis: „Tja - der Wagen ist so weit noch in Ordnung, außer den Stoßdämpfern, in dem Zustand wie sie jetzt sind, können Sie wirklich nicht mehr fahren. Sie haben Glück - wir haben an Bord unseres Flugzeugs, das nötige Werkzeug und ähnliche neue Federn, die zum Jeep passen müssten!“ Wenn Sie wollen, machen wir ein Tauschgeschäft. Sie besorgen uns noch mehr Perlen, und wir holen Ihnen die Stoßdämpfer!“ In ein paar Sätzen auf Paloanesisch erklärte Roman Pepe das Angebot, der sofort damit einverstanden war. Roman interessierte noch die Frage, warum sie gerade vor der Insel Palaosa gelandet wären.“ Sie antworteten bereitwillig:
„Wir hörten über Funk SOS-Notsignale, die von einem Schiff kamen, das ganz hier in der Nähe sein muss. Wir suchten die Gegend ab, haben aber keines gefunden. Nur haben wir von oben unter den Bäumen versteckt, ein paar Hütten gesehen, das machte uns neugierig. Deswegen sind wir hier gelandet, um die Hütten zu untersuchen.“
"Jetzt kennen Sie ja das Geheimnis der Hütten - sind Sie nicht enttäuscht?“ - „Nein, im Gegenteil, es ist höchst interessant, eine Insel entdeckt zu haben, die bewohnt ist, und die nicht auf unseren Seekarten verzeichnet ist. Wenn ich nach Hause komme, mache ich meiner Behörde davon Meldung!“ - „Welche Behörde ist es denn, für die Sie arbeiten?“ wollte Roman wissen. „Wir arbeiten für die Küstenwacht von Florida, wir sind fast jeden Tag unterwegs, wir beteiligen uns auch an der Suche von illegalen Einwandern und Drogenkurieren, die bei Wind und Wetter mit kleinen Booten ans Land zu kommen versuchen. „Oje, ojej, unterbrach Roman das Gespräch, „dann wird es ja bald mit der Ruhe auf der Insel zu Ende sein - wenn erst der Tourismus einsetzt?“ - „Mit dem müssen Sie rechnen“ konterten beide, Sie wissen wohl selbst, wie neugierig die Menschen sind. Sie sind nie mit dem Althergebrachten zufrieden, sie suchen immer wieder etwas Neues.“ Um Pepe eine Freude zu machen, wandte ich Roman an die Männer der Küstenwacht. „Könnten Sie meinen Freund einmal im Boot mit zu Ihrem Flugzeug nehmen, wenn Sie um die Stoßdämpfer fahren, er hat noch nie ein Flugzeug von innen gesehen, für ihn wird das bestimmt ein großes Erlebnis sein.“ - „Selbstverständlich gerne, komm` mit, Pepe!“ Die Männer erklärten Pepe kurz, um was es ging, und freudestrahlend sprang er auf und eilte mit ihnen zum Boot, mit dem sie gekommen waren. Roman sah, wie alle drei losfuhren und bald danach im Flugzeugrumpf verschwunden waren. Nach ein paar Minuten kamen sie wieder zum Vorschein und hielten in den Händen wirklich vier neue Stoßdämpfer und eine große Werkzeugkiste. Das Problem war nun, den Jeep so hinzu stellen, dass sie an die Räder herankommen konnten. Sie waren jetzt zu viert am werken und mit einem Hauruck, Hauruck. kippten sie das Auto auf die eine Seite. Die beiden Männer entpuppten sich als geschickte Mechaniker und es dauerte nicht lange, da hatten sie zwei Räder abmontiert. Pepe schaute interessiert zu und half ihnen dabei so gut er konnte. Nach ein paar Minuten danach, hatten die geschickten Männer die ersten zwei Federn ausgewechselt. Der Wagen wurde danach auf die andere Seite gekippt, und nach zwei Stunden intensiver, fachlicher Arbeit stand der Jeep mit neuen Stoßdämpfern im hellen Sonnenlicht. Pepe startete den Wagen, fuhr ein Stück im Kreis herum und war mit der Reparatur sehr zufrieden. „Many, many thanks, oh god, my god“ murmelte er immer wieder, „wie weich und ruhig das Auto jetzt fährt“. Roman unterbrach den Freudentaumel seines einheimischen Freundes und fragte die beiden amerikanischen Flieger: „Was kostet die Reparatur?"
"Oh, Sie haben solche herrlichen Austernperlen, wenn Sie einige davon übrig haben, das wäre schön. Bald wurde man sich einig, und, nachdem die beiden Angestellten der amerikanischen Küstenwache sich vom Schmutz gereinigt hatten, verabschiedeten sie sich sehr herzlich und versprachen wiederzukommen. Die Perlen, die ihnen als Lohn versprochen worden waren, hatten sie schon sorgfältig eingesteckt und meinten, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Pepe, seine Mutter und Roman warteten noch so lange, bis sie mit aufheulenden Motoren zum Starten ansetzten. Das Meerwasser peitschte auf, und nach kurzer Zeit waren sie hinter dem Horizont verschwunden. „Na, Pepe, was sagst du jetzt dazu? Glaubst du nun, dass in einem Flugzeug über dreihundert Leute fliegen können?"
"Ja, ja, my dear Roman, was ich heute gesehen habe, das ist das Tollste was mir bisher begegnen konnte. Pepe war so aufgedreht, dass er sich an die Mutter schmiegte, um mit ihr das Erlebnis zu besprechen. Stell dir vor Mum, ein Flugzeug so groß wie unser Haus, ganz aus Eisen gemacht, fliegt in der Luft und kann auch auf dem Wasser schwimmen. Dass es so etwas gibt, das hätte ich nie gedacht. Ist das nicht toll Mamy?“ - „Ja, ja, schon - die Menschen können fliegen wie die Vögel in der Luft, aber ob das auch gesund ist, das glaube ich nicht. Denn wir Menschen sind dazu geboren, auf der Erde zu gehen und auch hier zu leben. Die Fische schwimmen im Wasser, und die Vögel fliegen in der Luft und bauen auf Bäumen Nester, ist das doch normal, oder irre ich mich da?“ Nachdem das Wasserflugzeug verschwunden war, ging Pepe zu seinem Jeep, um ihn mit den neuen Stoßdämpfern auszuprobieren. „Hey, Roman, kommst du mit, wir fahren noch ein Stück, um zu sehen, ob das Fahren bequemer geworden ist!“ Der Angesprochene war natürlich sofort einverstanden. Die Mutter rief den Autofahrern hinterher: „Aber fahrt nicht zu weit, und bleibt nicht zu lange weg, gleich gibt es Abendessen!“ Pepe setzte sich ans Steuer, ließ den Motor an, und rasant ging es hinunter zum Fischerhafen. Die Federung des Wagens funktionierte einwandfrei, und von der holprigen Straße war wenig zu spüren. Der Weg zum Hafen war vom Autofahren ausgefahren und glatt gedrückt, so, dass sich ein breiter Pfad gebildet hatte. „Schau mal, dort gehen zwei Frauen vor uns, sollen wir sie mitnehmen?“ wandte sich Pepe an seinen weißen Freund. „Mein lieber Pepe, du bist der Fahrer, es ist dein Wagen, und wenn du sie mitnimmst, das soll mir egal sein!“ entgegnete Roman zustimmend. Pepe hielt den Wagen an, es waren zwei Eingeborenenfrauen, barfüßig, mit sehr dunkler Hautfarbe, dem Anschein nach Mutter und Tochter, die erstaunt stehen blieben. „Wo wollt ihr hin - so spät noch, die Sonne geht bald unter, soll ich euch nach Hause bringen?“ fragte Pepe. „Oh ja, das wäre schön, wir waren bei meinem Bruder, dort war heute Hochzeit, da ging es hoch her, wir sind zu spät weggegangen. Der Traubensaft war so gut, und das Fladenbrot schmeckte noch besser, dass wir gar nicht gemerkt haben, wie spät es schon geworden war.“ - „Steigt nur ein, ich bringe euch heim, sagt nur wo ich halten soll!“ unterbrach Pepe die Mutter. Die junge, hübsche Tochter wurde von ihm mit prüfendem Blick gemustert. Nach fünf Minuten waren sie an einem Haus angekommen, das nicht groß war, aber von außen einen sauberen Eindruck machte.“ So, hier wohnen wir, bitte anhalten, wir wollen aussteigen. Vielen, vielen, Dank für das Mitnehmen. Vielleicht kommt ihr ein andermal vorbei, dann trinken wir eine Tasse Kaffee zusammen, wenn wir mehr Zeit haben!“ - Die Tochter blickte Pepe aufmunternd mit großen, hellen Augen an. Er drückte ihr versteckt die Hand und versprach wieder zu kommen, sobald er Zeit hätte. Roman hatte das Gefühl, dass sich eine Bekanntschaft anbahnte, die von längerer Dauer sein sollte. Auf dem Heimweg zur Mutter gestand Pepe: „Weißt du was Roman, das Mädchen, das gefällt mir, das möchte ich wieder sehen!“
„Das ist doch kein Problem, an deiner Stelle würde ich so schnell wie möglich zu ihr hinfahren, um zu erfahren ob sie auch an dir Interesse hat“. Schon am nächsten Morgen, Pepe war gut gelaunt und froh gestimmt, fragte er seine Mutter: „Mama, hast du heute für mich etwas Besonderes vor, was ich erledigen soll? Wenn nicht, dann fahre ich mit meinem Freund zum Fischerhafen, dort wollte ich mich umschauen!“ Er gab sich geheimnisvoll, wollte seiner Mutter noch nichts von seiner neuen Entdeckung sagen, und tat so, als ob nichts geschehen wäre. Er sehnte ein Wiedersehen mit dem Mädchen herbei, und um nicht aufdringlich zu erscheinen, bat er seinen deutschen Freund mitzukommen. Und so kamen sie schon vormittags zum Haus des schönen Mädchens vom Vortag. Pepe brachte den Wagen zum stehen, ging mit Walter in die Wohnküche. Wo Mutter und Tochter mit Näharbeiten beschäftigt waren. Sie grüßten freundlich. „Einen wunderschönen guten Morgen wünschen wir den fleißigen Frauen!“ Zur Mutter gewandt fuhr Pepe fort: „Darf ich ihre Tochter zu einer Autofahrt einladen, mein Freund und ich wollen zum Fischmarkt, dort war er noch nicht und möchte ihn sehen.“ Roman hatte nichts von einem Fischmarkt erwähnt, den er sehen wollte und war gespannt, wie Pepe mit dieser Notlüge es fertig bringt, das junge Mädchen zur Autofahrt zu überreden. Man muss wissen, dass die Inselmädchen im Allgemeinen eine sehr zurückhaltende Rolle gegenüber Männern spielen. Der Weiße hatte oft den Eindruck, dass sie sich unterdrückt vorkamen, aber durch jahrhundert alte Moralvorstellungen geprägt, wagten sie es nicht, etwas dagegen zu unternehmen. So war es zum Beispiel kaum denkbar, dass ein junger Mann wie Pepe es tat, sich öffentlich mit einem Mädchen auf der Straße zeigte, ohne mit ihr verlobt zu sein. Darum war es verständlich, dass er Roman Fischer als „Anstandswauwau“ mitgenommen hatte, um mit dem Mädchen näheren Kontakt aufzunehmen. Die Mutter schaute den Weißen neugierig an, dann auf Pepe und seufzend entfuhr es ihr:
„Marita, zieh dir ein anderes Kleid an, du fährst mit beiden Männern im Auto weg, aber zum Mittagessen bist du wieder zu Hause, verstanden?“ Das Mädchen errötete leicht, schnell war sie im Nebenzimmer verschwunden, und nach fünf Minuten kam sie zum Auto, fein sauber angezogen. Sie trug einen Faltenrock mit weißer Bluse, hatte ihr dunkles Haar zu einem kurzen Zopf zusammengebunden, und mit ihren vielleicht achtzehn Jahren konnte man sie als sehr hübsch bezeichnen. Schuhe hatte sie keine an den Füßen, dafür trug sie einen großen kupfernen Reif um ihren muskulösen linken Arm .Einen gleichen Reif hatte sie über den rechten Fußknöchel gezogen. Mit ihrer kräftig entwickelten Brust machte sie den Eindruck einer Frau, die weiß was sie will!“ Mit einem Satz, wie eine Katze, war sie auf dem Rücksitz des Jeeps gelandet, und ohne zu fragen, wohin die Reise geht, sagte sie mit kräftiger, aufmunternder Stimme: „Es kann losgehen, ich bin bereit.“ Pepe startete den Wagen viel zu schnell. Der Motor heulte auf, eine Staubwolke wirbelte hinter dem Auto auf. Sie fuhren recht forsch zu einem Weg, der ins Landesinnere führte. Nach kurzer Zeit drosselte er das Tempo, und wandte sich an Marita mit der Frage. „Gefällt dir das Autofahren? Wohin soll ich mit dir fahren, hast du einen besonderen Wunsch?"
„Ja, oh ja, ich fahre gerne mit dir, überall dorthin wo du auch willst", erwiderte sie, wobei sie ihm lächelnd in die Augen blickte. Mit beiden Händen hielt sie sich krampfhaft an der Armlehne fest. Roman Fischer bemerkte ihre Unbefangenheit Männern gegenüber, die nach seiner Beobachtung nicht gekünstelt war. Pepe wollte sich mit ihr unterhalten, das sah er seinen Blicken an. Darum schlug er ihm vor: „Setz du dich nach hinten zu ihr, ich werde den Wagen fahren, wenn du nichts dagegen hast.“ So wie er es vorschlug, so geschah es auch. Pepe hielt an, sie wechselten die Sitzplätze, und Roman ließ den Wagen langsam anfahren. Da er den Weg nicht kannte, und nur ungefähr die Richtung wusste, richtete er sich nach der Sonne und lenkte den Wagen, unter Bäumen fahrend, zum nahen Meeresufer hin. Nach zehn Minuten stoppte er den Wagen und schlug vor, eine Badepause einzulegen. Unterdessen war es sehr heiß geworden, und sein Vorschlag fand freudige Zustimmung. Pepe nahm Marita an der Hand, half ihr aus dem Wagen, und ohne sich zu zieren, streifte sie sich Rock und Bluse ab und nur mit einem kleinen Höschen bekleidet, sprang sie mit einem Satz ins Wasser. Pepe hatte seine Hosen fallen lassen und nur in einer bunten Badehose gekleidet, lief er hinterher. Nach kurzer Zeit sah Roman, wie beide im Meer um die Wette schwammen. „Er rief ihnen noch hinterher: „Pepe, Pepe, pass` auf, schwimme nicht so weit, denke an die Meereswellen! Kommt bald zurück!“ Er wartete geduldig nahe am Auto. Seine Füße hatte er vorher im Meerwasser erfrischt und fühlte sich wesentlich wohler. Er musste lange warten. Die beiden waren weit hinaus ins Meer geschwommen und zeitweilig waren sie nicht mehr zu sehen. Er machte sich schon Vorwürfe, ihnen das Schwimmen vorgeschlagen zu haben. Roman kletterte auf den Autorücksitz und spähte von oben nach den Schwimmenden aus. Nichts war zu sehen, nur das weite Meer. Er ließ seine Blicke schweifen - von links nach rechts - von rechts nach links und wartete und wartete, eine Viertelstunde lang. Er bekam es mit der Angst zu tun, die Zeit wurde ihm zu lang, und in seiner Not betätigte er die Autohupe. Mit lautem Dauerton, der erbärmlich klang: kurz lang, kurz lang, kurz lang, gab er den Verschwundenen ein Zeichen, sich zu melden. Aus einer ganz anderen Richtung, als er vermutete, kamen sie endlich beide angelaufen, Hand in Hand eng umschlungen. Sie lachten vergnügt und taten so, als ob nichts geschehen wäre. „Pepe, Pepe, du hast mir aber ein Schrecken eingejagt, wo warst du denn, ich habe dich gar nicht mehr im Wasser gesehen?“ rief Roman ihnen von weitem zu. Er lächelte spitzbübisch, drückte seine Marita noch fester an sich und fragte treuherzig: „Roman, mein lieber Freund, du warst doch auch einmal jung, hast du noch nie ein hübsches Mädchen allein bei dir gehabt? Ich habe gar nicht gewusst, dass du dir Sorgen um uns machst.“ Das war eine recht unbefriedigende Antwort, aber er wollte beiden ihr Glück nicht unnötig vermiesen und schlug vor, wieder nach Hause zu fahren. „Warte noch ein bisschen, wir sind doch noch ganz nass, wir lassen uns an der Sonne trocknen", bat Pepe. Die jungen Leute legten sich nahe am Auto „oben ohne „ in die pralle Sonne. Roman hörte noch, wie sie sich angeregt unterhielten und sich dabei verliebt in die Augen schauten. Er hörte nur Wortfetzen, konnte sich jedoch gut vorstellen, was sie sich zu erzählen hatten. Nach einer halben Stunde drängte er zum Aufbruch. „Pepe, mein Lieber - meinst du nicht, dass es Zeit wird nach Hause zu fahren?“ - „Zeit wird es schon, aber ich habe keine Lust, hier ist es so schön!“ - Marita war die klügere, sie sprang auf, zog sich rasch an und setzte sich wieder auf den Rücksitz. „Jetzt fahre ich wieder!“ meinte Pepe, klemmte sich hinter das Steuerrad, und ab ging die Fahrt zu Maritas Eltern Wohnung. Pünktlich zur Mittagszeit hielt der Wagen vor dem Haus, wo die Mutter schon ungeduldig wartete. „Kommt rein zum Essen, ich habe für euch gekocht, wandte sie sich an die Autofahrer. Sie ließen sich das nicht zweimal sagen, setzten sich an den Tisch, wo schon Kartoffeln und gebratene, appetitlich aussehende Fische aufgetragen waren. Die Mutter lud ordentliche Portionen auf die Teller, und beide waren bald satt, dass sie nichts mehr zu sich nehmen konnten. Pepe lehnte sich zufrieden zurück, schaute seine Marita mit verliebten Augen an und zwinkerte ihr versteckt Zeichen zu. Nach dem Essen bedankten sie sich für die üppige, gute Mahlzeit und fragten, was sie schuldig wären. „Nichts, rein gar nichts, ihr habt uns gestern mit dem Auto gefahren, das ist mehr wert als das bisschen Essen bei uns“ sagte die Mutter mit dankbarem Lächeln. Pepe fragte die Mutter, ob er wieder kommen könnte.“ „Jederzeit, immer wenn du willst, kannst du zu uns kommen lieber Pepe", erwiderte sie, „du bist ein gern gesehener Gast.“ Ehe sie sich verabschiedeten wurde Roman gefragt, wie lange er noch auf der Insel bleiben wolle. Seine Sprachkenntnisse wurden gelobt, und er freute sich, nette Leute kennen gelernt zu haben. „Pepe, mein Freund", wandte er sich an ihn, „fährst du den Wagen, oder soll ich ihn lenken?“ - „Wir fahren gleich ab, warte noch einen Moment, Marita will mir noch etwas geben.“ Er wollte nicht direkt fragen, was die jungen Leute sich zu geben hätten. Roman setzte sich neben den Fahrersitz und wartete. Er brauchte nicht lange zu gedulden, als Pepe freudestrahlend neben ihm Platz nahm und den Starter einschaltete. Er hupte noch zweimal zum Abschied, und bald waren sie auf dem Heimweg. Als sie daheim ankamen, war es schon spät nachmittags, und sie wurden ungeduldig erwartet. „Wo warst du so lange? Was hast du erledigt?“ fragte die Mutter ängstlich. „Nichts, nichts Besonderes, wir wurden zum Mittagessen bei einer Familie eingeladen, die nicht weit von hier wohnt. Gestern hatten wir Mutter und Tochter ein Stück mit dem Wagen mitgenommen, und dafür haben sie uns eingeladen.“ - „Wohnt die Tochter mit der Mutter allein, hat sie noch Geschwister, ist sie schon verheiratet? Die mütterliche Neugier und Sorge um die Zukunft ihres Sohnes waren deutlich spürbar. Roman hatte den Eindruck, dass es ihr ganz recht gewesen wäre, wenn Pepe sich ein passendes Mädchen suchen würde und endlich heiratete. Die Mutter hoffte, dass Pepe durch eine Heirat mehr ans Haus gebunden wäre und nicht so viel mit dem Auto herumfahren würde. Aber Pepe hatte seine erste Jugendliebe noch nicht vergessen. Im Stillen trauerte er ihr immer noch nach, und darum hatte er so lange überhaupt kein Mädchen angeschaut. Er erzählte seiner Mutter nichts von Marita, die ihm gefallen hatte. Vorläufig noch nichts! Der Deutsche verlor auch kein Wort über Pepe`s Entdeckung. Umso überraschter war die Mutter, als er ihr nach einer Woche erklärte: „Mama, ich habe ein Mädchen kennen gelernt, das möchte ich heiraten!“ - „Wer ist sie denn, wo wohnt sie, wie heißt sie?“ fragte sie neugierig. Eine Menge Fragen auf einmal „Sie heißt Marita, sie wohnt hinter der Wegbiegung am Hafen, und lebt mit einem Bruder und der Mutter in einem kleinen Haus.“ - „Wann und wo hast du sie kennen gelernt, was macht der Vater von ihr?“ - „Ach, Mama - ich weiß es nicht. Was ihr Vater macht, das ist mir doch so egal, die Hauptsache, sie gefällt mir, und wir lieben uns.“ - „Aber, ob sie dich heiraten will, hast du sie schon danach gefragt?“ - „Natürlich, selbstverständlich, das letzte Mal als ich mit dem Auto bei ihr war, sie mag mich auch, sie ist schon volljährig!“
Pepes Mutter war überrascht, was ihr Junge sich in so kurzer Zeit vorgenommen hatte. „Willst du nicht, dass ich einmal mit der Mama von deiner Marita spreche, vielleicht weiß sie gar nichts davon, oder sie ist nicht einverstanden.“ - „Doch, doch Mama, Marita hat gesagt, entweder heiratet sie mich oder gar keinen. Ihre Mutter weiß auch davon.“ Immer noch an der Ernsthaftigkeit der Heiratsabsichten ihres Sohnes zweifelnd, forderte sie ihn auf: „Lad' sie doch für morgen nachmittags zu uns ein, sie kann auch ihre Mutter mitbringen, dann besprechen wir alles in Ruhe“.
Pepe war überglücklich, fiel seiner Mutter um den Hals, küsste sie auf beide Wangen und flüsterte: „Du bist doch die beste Mama, die es auf der ganzen Welt gibt!“ Am nächsten Tag wurde das Haus gründlich gereinigt, Pepe brachte Blumen aus dem Garten herbei und dekorierte damit Tisch und die Wände. Mama bereitete frischen Fladenkuchen mit Bananen und Ananas vor, und wartete neugierig auf die Ankunft der zukünftigen Schwiegertochter. Pepe hatte es Mühe gehabt, seine Marita mit der Mama zum Besuch bei seiner Mutter zu überreden. „Muss das sein, wollen wir nicht noch etwas warten, wir kennen uns doch noch so wenig?“ bekam Pepe zur Antwort, als er eindringlich seine Bitte zum Hausbesuch vortrug. „Bitte, bitte, tut mir den Gefallen, kommt mit mir, meine Mutter wartet, sie will euch kennen lernen.“ Etwas verspätet brachte Pepe Mutter und Tochter im Auto endlich zu seiner elterlichen Wohnung. Die Begrüßung war herzlich, etwas scheu schauten sich Mutter und Tochter bei Pepe um, und es war ihnen anzusehen, dass sie Überlegungen anstellten, ob er der richtige Ehemann sei. Zu Essen und Trinken gab es reichlich, es wurden Fragen von beiden Seiten gestellt und nach ungefähr einer Stunde, wurden gefüllte Weingläser erhoben und auf das Wohl der jungen Leute getrunken. Beide Mütter wurden sich einig, dass in Kürze Hochzeit gefeiert werden sollte. Da Maritas Mutter seit einiger Zeit Witwe war, ihr Mann war vor zwei Jahren beim Fischfang ums Leben gekommen, wurde beschlossen, die Hochzeit im Haus von Pepe zu feiern. Die Gespräche zogen sich unendlich lange hin. Alles wollte und sollte gut geplant sein. Roman dagegen fand es langweilig, wie die Frauen eifrig über die Hochzeitsvorbereitungen besprachen und verließ vorzeitig das Zimmer. Er schützte Kopfschmerzen vor, und begab sich nach oben in sein Zimmerchen, um seine Reiseberichte zu vervollständigen. Nach einer Weile klopfte es an die Tür, Pepe trat ein und begann mit unsicherer Stimme. „Roman, mein Freund, ich wollte dich fragen, ob du bereit wärst, an meines Vaters Stelle den Bräutigamvater zu vertreten? Du weißt doch, dass mein Vater mit dem Schiff nach Amerika gefahren ist und bis heute ist er nicht zurückgekommen.“
„Natürlich bin ich dafür bereit, Pepe mein Freund, ich mache es sogar gerne für dich, ich möchte nur, dass du glücklich mit Marita wirst. Wann soll denn die Hochzeit sein? Denn du weißt doch, dass ich nicht allzu lange auf der Insel bleibe.“ Und so kam es, dass Roman auf der Insel die Rolle eines Bräutigamvaters übernehmen musste, eine Aufgabe die er noch nie vorher gemacht hatte. Die Rolle Bräutigamvater zu spielen fiel ihm nicht schwer, weil er zuhause selbst Kinder hatte. Zwei Töchter von ihm waren schon verheiratet und hatten schon drei Enkelkinder. Er wusste genau, was so eine Hochzeit für Vater oder Mutter bedeutet. Neugierig war er auf diese Indiohochzeit, die wie er gelesen hatte, ganz anders gestaltet wird als bei uns in Europa. Er begrüßte diese Gelegenheit, um neue Erfahrungen zu sammeln, um sie später in seinen Roman einzubringen. Roman hatte nach einigen Tagen bemerkt, dass sich Pepe sehr verändert hatte. Manchmal saß er gedankenverloren am Strand und schaute aufs Meer hinaus. Eines Abends fragte er ihn: „Pepe, mein Freund, was ist los mit dir, worüber denkst du nach, warum bist du so traurig?“ Er erwiderte, wobei er gequält lächelte: „Ach, Roman, das kannst du nicht verstehen, ich vermisse meinen lieben Papa, mit meiner Mama kann ich nicht über alles sprechen. Sie hat ihre eigenen Sorgen, und ich will sie nicht noch mit meinen belasten.“ - „Aber mir kannst du doch deine Probleme anvertrauen, was bedrückt dich so sehr, was fehlt dir?“ - „Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, ich habe das Gefühl, dass mein Leben ohne Ziel und Sinn ist. Ich werde älter, die Jahre vergehen, meine Mama quält sich im Haushalt ab, ich verbringe die meiste Zeit mit meinem Auto und beim Fischen am Meer, soll das alles sein, was mir das Leben zu bieten hat?“ - „Aber du hast doch deine Mama, du hast zwei Schwestern und du hast auch mich. Wir haben solche schöne Fahrten unternommen, du hast angefangen lesen und schreiben zu lernen, das ist doch schon etwas. Versuche doch noch mehr zu lernen, dabei kommst du auf andere Gedanken. Ich habe ein kleines Büchlein, einen bebilderten Reiseführer über Amerika, möchtest du darin lesen?“ - „Oh ja, gerne - ich möchte wenigstens Amerika aus dem Buch kennen lernen, wenn ich auf andere Art und Weise nicht hinkommen kann. Ich denke oft an Amerika, wo mein Papa ist, und ich möchte gern wissen, ob er gesund ist, ob er arbeitet, wann er wieder zurückkommt?“ - Roman hatte den Eindruck, dass Pepe sehr an seinem Vater gehangen hat und sein Fehlen ihm so zu schaffen machte, dass er zeitweilig depressiven Stimmungen unterlag. Vielleicht machte sich der Sohn auch Vorwürfe, dass er seinen Daddy selbst zum Schiff gebracht hatte. Um den jungen Indio auf andere Gedanken zu bringen, holte Roman seinen Amerika-Reiseführer und las gemeinsam mit ihm Zeile für Zeile. Die ausgedruckten Bilder, die in dem Buch waren, die interessierten ihn am meisten. Eine Landkarte von Amerika faszinierte ihn so sehr, dass er ihm alles mehrmals erklären musste. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Als auf einer Buchseite die ganze Weltkugel abgebildet war, kam er aus dem Staunen nicht heraus. Der Deutsche zeigte ihm, wo Deutschland, Frankreich, England, Russland zu finden war und erzählte ihm von den fünf Erdteilen, von Asien dem größten Erdteil, von China dem bevölkerungsreichsten Land der Welt. Dann ging er mit seinen Erklärungen zu Amerika über, er zeigte ihm, wo Florida liegt, wo New York eingezeichnet war, und wo die karibischen Inseln zu finden waren. „Und wo wohnen wir? Wo ist die Insel Palaosa?“
„Ach - Palaosa ist so klein, diese Insel ist gar nicht eingezeichnet, die hat man vergessen.“ Pepe kam aus dem Staunen nicht heraus und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Wie kann man denn eine Insel vergessen, wo so viele Menschen wohnen?“ war seine nicht ganz unberechtigte Frage. Als Roman ihm von Millionen von Menschen erzählte, die überall auf der Welt leben, konnte er dies nicht begreifen. „Und wie bist du hierher gekommen? Warum hast du dein Land verlassen?“ - „Du hast es doch gesehen, ich bin mit der OKRETA angekommen, und höchstwahrscheinlich fahre ich mit ihr bald wieder weg, wenn meine Zeit gekommen ist", versuchte er ihm klarzumachen. „Wann ist deine Zeit gekommen, wann fährst du wieder weg?“ wollte Pepe wissen. „Das weiß ich noch nicht, mir gefällt es hier ganz gut, ich liebe die Ruhe und Abgeschiedenheit und das sehr gesunde Klima. Außerdem will ich ein Buch über die Insel schreiben, da will ich noch mehr Wissenswertes sammeln, um möglich viel von hier mitzubekommen.“ - „Schreibst du auch über mich in deinem Buch?“ - „Natürlich schreibe ich auch über dich, mein lieber Pepe, du bist doch eine Hauptfigur in meinen Erzählungen.
"Nachdem er das gehört hatte, war er wieder nachdenklich geworden, er wandte sich ihm zu und sagte: „Aber bitte, schreibe nichts Böses über mich, ich werde ab heute mich bemühen, dich nicht zu ärgern, ich will auch noch mehr lesen lernen.“ Seit diesem Gespräch war Pepe ein hilfsbereiter und aufmerksamer Schüler geworden, so dass Roman selbst überrascht war, mit welchem Eifer er dabei war, möglichst viel von der übrigen Welt zu erfahren, die ihn interessierte. Innerhalb von drei Tagen, hatte er den Reiseführer durchgelesen, wobei er wichtige Passagen auswendig gelernt hatte. Als sein weißer Freund ihm einige Fragen aus der allgemeinen Erdkunde stellte, war er erstaunt, wie gut er Bescheid wusste. Fragte er ihn zum Beispiel: wo liegt Paris? Er wusste sofort: in Frankreich. Wie heißt die Hauptstadt von Russland?, danach lautete die Antwort: Moskau. Roman lobte ihn natürlich öfter wegen seiner guten Kenntnisse, worüber er sich sehr freute. Einen solchen aufmerksamen und dankbaren Schüler wie es Pepe war, hatte Roman nie mehr kennen gelernt. Nachdem Pepe den Reiseführer fast auswendig konnte, und für ihn nichts mehr Neues zu erfahren gab, wandte er sich an seinen weißen Freund und Lehrer. „Roman, mein Freund - was soll ich machen, du weißt, dass ich Marita liebe, ich will sie heiraten. Aber je mehr ich über eine Heirat nachdenke, umso mehr kommen mir Zweifel auf, ob ich es richtig mache. Mit deiner Hilfe habe ich erfahren, wie groß und schön die Welt ist. Ich war noch nirgendwo, nicht mal in Amerika, wo mein Papa ist, dorthin möchte ich auch einmal fahren.“ - „Aber mein lieber Pepe", erwiderte sein Lehrmeister, „das sollte doch kein Hindernis sein, um Marita nicht zu heiraten. Das kannst du doch auch tun, wenn du verheiratet bist. Sieh, dein Papa, ist auch verheiratet, und jetzt ist er in Amerika, oder vielleicht sogar noch weiter weg. Vielleicht bietet sich dir auch eine Gelegenheit, mit dem Schiff wegzukommen, du hast doch allen anderen gegenüber den Vorteil, du kannst lesen und schreiben, du kannst dich auch leidlich in englischer Sprache verständigen. Solche Leute wie dich, die werden doch überall gebraucht. Du kannst auch Auto fahren, wer kann denn das schon hier auf der Insel?“ Pepe wurde nachdenklich und meinte: „Du hast recht. Ich werde zuerst Marita heiraten, und dann fahre ich nach Amerika, um Geld zu verdienen, um ein neues Haus für meine Marita zu bauen.“ - „So ist es richtig, du musst ein Ziel im Leben haben, dann macht es auch Freude zu leben und zu arbeiten. Ich will dir keine Hoffnungen machen, mein lieber Pepe, wenn ich eines Tages von der Insel wegfahre, vielleicht nehme ich dich dann mit, wenigstens bis nach Florida. Dann trennen wir uns, und so wie ich dich einschätze, du kommst schon im Leben zurecht. Du bist noch jung und gesund, du kannst arbeiten, und du bist auch bescheiden. Du wirst es schon schaffen.“ Als Pepe das hörte, war er außer sich vor Freude. Er wollte Roman die Hand küssen, was er aber nicht zuließ. „Roman, mein Freund, wenn du mir wirklich hilfst von hier wegzukommen, das werde ich dir nie und nimmer vergessen. Dir bin ich immer zu großem Dank verpflichtet, so lange ich leben werde.“ - „Mein lieber Pepe, kommt Zeit, kommt Rat, so heißt es in einem Sprichwort. Ab heute gilt: Keine Traurigkeit mehr, das Leben meistern mit aller Kraft und Ausdauer, um das zu erreichen, was du im Leben dir vorgenommen hast.“ Pepe nickte und Roman hatte den Eindruck, dass er sich ernsthaft bemühte, ein „neues Leben“ zu beginnen. Die Mutter hatte auch die Veränderung bei ihrem Sohn bemerkt und fragte nachdenklich. „Pepe, mein Junge, was macht deine Marita, seit ihr euch verlobt habt, war sie nicht mehr bei uns, habt ihr euch gezankt, geht ihr noch zusammen, wollt ihr heiraten oder habt ihr es euch anders überlegt?“ - „Oh ja, oh ja, Mama, wir wollen heiraten, so schnell wie möglich, nur ihre Mutter meint, da sie momentan keine Hochzeit ausrichten kann, wollte sie noch warten, bis zur neuen Ernte, wonach sie dann ihre Weintrauben und Kartoffeln verkaufen will, damit sie etwas mehr Geld hätten.“ - „Wegen den Hochzeitsvorbereitungen und Geld braucht ihr euch keine Sorgen zu machen, die Hauptsache ist, ihr bekommt die Genehmigung vom Ältesten des Dorfes", meinte sie, und sah Pepe aufmunternd an. Der Deutsche meldete sich zu Wort und meinte. „Wenn es ums Geld geht, so kann ich auch dazu beisteuern, ich würde mich freuen, wenn Pepe so schnell wie möglich verheiratet ist.“ Pepe war mit allem einverstanden. Und für die nächste Zeit hatte er genug mit den Hochzeitsvorbereitungen zu tun. Nach dem Abendessen ging Roman nach oben in sein Zimmer und machte sich Notizen, um später alle Einzelheiten einer Hochzeit auf Palaosa besser beschreiben zu können. Am nächsten Morgen gingen Pepe und Roman zum Ältesten, um die Genehmigung zur Hochzeit einzuholen. Für Pepe war dies ein unangenehmer Gang. Er musste damit rechnen, seine große Jugendliebe anzutreffen, die er noch nicht ganz vergessen hatte. Der Älteste des Dorfes war nicht zu Hause, und sie mussten auf ihn warten. Nach einer halben Stunde wurden sie gerufen, und ein älterer Mann fragte sie neugierig. „Was wollt ihr, warum seid ihr hergekommen?“ - Es war der Medizinmann des Dorfes, der mit lauerndem Blick auf die beiden schaute. Als er hörte, dass sie gesund wären, und dass Pepe eine Heiratsgenehmigung benötige, ließ er sie unbeachtet weiter warten. „Mein Bruder kommt gleich, er rasiert sich gerade und ist momentan nicht zu sprechen", meinte er nicht unfreundlich. Endlich kam der Älteste des Dorfes. Als Pepe ihm seinen Wunsch vorgetragen hatte, ging alles viel schneller, als er sich das gedacht hatte. „Du willst heiraten? Wen willst du heiraten, wo wohnt sie, wie alt ist sie, wann soll die Hochzeit sein?“ Die Fragen waren schnell beantwortet, aber als er fragte: “Und was sagt dein Vater dazu?“ Jetzt mischte sich Roman ein. „Sehr geehrter Mann, der du über das Dorf das Sagen hast, bitte sei so gut, und mache eine Ausnahme. Sein Vater ist in Amerika und arbeitet dort, er kann jetzt nicht kommen, ich habe von seiner Mutter den Auftrag, den Bräutigamvater zu vertreten, und ich kann auch für die Hochzeitsgenehmigung bezahlen.“ Als der ältliche Mann dies hörte, blickte er ihn verwundert an, durchbohrte ihn fast mit seinem prüfenden Blick und nach kurzer Überlegung presste er hervor: „Nun gut, weil du es bist, und du unser Gastrecht hast, mache ich eine Ausnahme, dafür müsst ihr aber zwanzig Dollar in die Dorfkasse zahlen. „Das ist kein Problem, das bezahle ich sofort.“ Roman hatte immer Geld bei sich, legte großzügig fünfundzwanzig Dollar auf den Tisch und fragte hoffnungsvoll. „Geht es in Ordnung, wenn wir am Tage nach der Vollmondnacht die Hochzeit hier auf dem Gemeindeplatz feiern?“ - „Das geht in Ordnung, nur müsst ihr helfen, den Platz herzurichten!“ Ob dies eine Schikane oder eine Bevorzugung sein sollte, fragten sie lieber nicht, sie waren froh, dass sie die Genehmigung hatten. „Ich bin ja so froh mit dir, mein lieber Junge, dass dein Freund uns geholfen hat, denn sonst wäre es sehr schwer geworden den Termin und den Platz für die Hochzeit zu bekommen", stellte Pepes Mutter fest, als sie zurückkamen. Um ihre Geldsorgen zu mindern machte Roman seiner Zimmerwirtin den Vorschlag: „Ich bezahle die Miete gleich für drei Monate im voraus. Für Pepes Hochzeit lege ich noch etwas dazu, hier bitte nehmen Sie!“ Als er zweihundert Dollar zusteckte, war sie hocherfreut und bedankte sich überglücklich. „Es ist schon gut, Frau Copia, ich tue das gerne für Pepe, kaufen sie ihm alles zur Hochzeit, wie es bei euch Sitte ist.“ - „Selbstverständlich mache ich alles so, wie es immer bei uns üblich war, aber dafür sind Sie der erster Ehrengast bei unserem Hochzeitsfest. Sie setzen sich neben mich, und wir beide werden den Vater würdevoll vertreten.“ - „Das mache ich selbstverständlich, Sie müssen mir nur sagen, was ich alles zu tun und zu lassen habe.“ - „Zu tun haben Sie wirklich nicht viel. - Sie müssen nur dafür sorgen, dass das junge Brautpaar an ihrem großen Festtag viel Gutes zu essen und zu trinken bekommt. Am Hochzeitstag essen die Brautleute so viel, wie sie nur vertragen können, je mehr, desto besser. Das geschieht zum Zeichen, dass es ihnen gut im Eheleben ergehen soll.“
In den nächsten Tagen hielt sich der deutsche Gast diskret zurück. Er wollte die Vorbereitungen zur großen Feier nicht stören. Pepe und seine Mutter backten Hochzeitsfladen, Getränke wurden gekauft und zum Gemeindehaus gebracht. Als die Vollmondnacht vorbei war, bahnte sich ein sonnigwarmer Tag an. Schon früh am Morgen erschallte Singen und Pfeifen vor dem Hochzeitshaus. Einige Hochzeitsgäste hatten sich versammelt und warteten auf den jungen Bräutigam. Um sich die Zeit zu vertreiben, sangen sie abwechselnd und pfiffen dazwischen. Pepe hatte sich den besten Anzug angezogen, er trug sogar einen Sonnenhut, ähnlich einem Sombrero und drückte jedem Hochzeitsgast die Hände. Roman hatte auch seine beste Garnitur, einen beigehellen Sommeranzug angezogen. In den Fotoapparat hatte er einen neuen Film eingelegt, und nachdem er sich allen vorgestellt hatte, begab er sich langsam mit der ganzen Hochzeitsgesellschaft zum Gemeindehaus. Nach einer Weile erschienen festlich gekleidet die junge Braut mit der Mutter und ihren Verwandten. Es gab ein großes Hallo, und die Begrüßungen schienen kein Ende nehmen zu wollen. Zu Mittagszeit, als die Sonne am höchsten stand, kam der Älteste aus seiner Wohnung, und die eigentliche Hochzeitszeremonie begann. Er sprach einen langen Satz, in dem er seine Zustimmung und seinen Segen ausdrückte. Von allen Anwesenden wurde dies mit lauten Bravorufen zur Kenntnis genommen. Anschließend begann das Hochzeitsessen, das aus vielen Gängen und Getränken bestand. Mehrere Hilfskräfte, meist unverheiratete Mädchen und junge Burschen sorgten für den nötigen Nachschub. Es wurde bis spät in die Nacht gefeiert, und die meisten blieben an Ort und Stelle sitzen, besser gesagt liegen, um sich den Rausch auszuschlafen. Roman zog es vor, sich in sein Zimmer zurückzuziehen, um dort die Müdigkeit auszuschlafen. Lange Zeit konnte er nicht einschlafen. Er ließ die Hochzeit vor seinem geistigen Auge Revue passieren und zog Vergleiche mit Eheschließungen in Deutschland. Was für große Unterschiede gab es hier und dort. Nach der Hochzeitsfeier am nächsten Morgen, setzte er sich an den wackligen Holztisch und begann Einzelheiten in seinem Notizblock festzuhalten. Von unten hörte er leises Gemurmel. Die Mutter war mit der ältesten Tochter beschäftigt das Frühstück vorzubereiten, wobei sie sich über Einzelheiten der vorangegangenen Feier unterhielten. Ihre Kommentare, die Roman gut hören und verstehen konnte, waren für ihn sehr aufschlussreich. Beide Frauen unterhielten sich über frühere Hochzeiten, über Geburten von Enkelkindern, auch über Todesfälle die im Dorf passiert waren, so dass er einen guten Überblick über Sitten und Gebräuche auf der Insel bekam. Sorgfältig notierte er das Gehörte in seinem Notizbuch, das er sorgfältig im Handgepäck verwahrte. Roman hatte keinen Hunger, er war noch satt vom Festessen und trank. gedankenverloren eine Coca-Cola, die er immer vorrätig in seinem Zimmer verwahrte. Vom Fenster aus hatte er einen herrlichen Ausblick zum nahen Meeresstrand. Wehmütig beobachtete er den herrlichen Sonnenaufgang, und stellte sich vor, wie das Wetter in Deutschland sein könnte. Er ertappte sich bei dem Gedanken, langsam mit der Heimreise zu rechnen. Er hatte den Aufenthalt auf der Insel für maximal ein halbes Jahr geplant, und er konnte es kaum begreifen, wie schnell die Zeit vergangen war. Am nächsten Morgen, es war der Tag nach der Hochzeit, wurde der deutsche Inselforscher von seiner Zimmerwirtin geweckt. „Senjor Roman, sind Sie schon wach? Das Frühstück ist fertig.“ Er meldete sich mit einem freundlichen Morgengruß, und er erkundigte sich nach Pepe. „Oh, Pepe, der ist bei seiner jungen Frau geblieben. Die Hochzeitsnacht war anstrengend, nicht nur für die Gäste, sondern auch für das Brautpaar.“ Die Mutter lächelte zufrieden, und sie bedankte sich noch einmal für das gespendete Hochzeitsgeschenk. Ihre älteste Tochter, die im Hochzeitshaus übernachtet hatte, hörte aufmerksam zu, als ihr Mutter betonte: „Weißt du, wenn unser Gast aus Deutschland nicht gekommen wäre und uns geholfen hätte, ich weiß nicht, ob Pepe heute schon verheiratet wäre.“ - „Mama, ich bin ja auch so froh, dass Pepe eine so nette Frau gefunden hat, ich hoffe, er wird jetzt zufriedener sein, ich hatte den Eindruck, ihm fehlte immer etwas.“ - „Ja, das stimmt, ich glaube auch, dass die Hochzeit für Pepe das richtige war.“ - „Wann kommt denn Pepe zurück?“ wollte Roman wissen, ich hätte mich gern mit ihm über meinen Plan unterhalten in Kürze in meine Heimat zurückzufahren. „Oh senjor, Roman, Sie wollen doch nicht uns verlassen? Das täte uns aber sehr leid, bleiben Sie doch noch recht lange bei uns. Wir haben uns so an Sie gewöhnt, Sie haben uns so viel geholfen, wir werden Sie sehr vermissen.“ Draußen vor der Tür hörte er, wie Pepe mit seinem Jeep vorfuhr, er hatte seine junge Frau mitgebracht und beide fielen der Mutter um den Hals. „Mama, Mama, wie ich mich freue, endlich meine Marita geheiratet zu haben, ich bin überglücklich, ich kann es gar nicht fassen, dass ich jetzt verheiratet bin.“ Als Pepe seinen Freund bemerkte, bedankte er sich ebenfalls für seine Mithilfe bei den Hochzeitsvorbereitungen und lud ihn ein, sein neues Heim zu besichtigen. „Lieber Pepe, was ich für dich getan habe, das habe ich gern getan. Aber ich habe mir vorgenommen, nicht mehr lange hier bei euch zu wohnen, ich muss nach Deutschland fliegen. Dort warten zwei verheiratete Kinder und drei Enkelkinder auf mich. Mir kam heute früh der Gedanke, dass du mit deiner jungen Frau in mein Zimmer einziehen könntest, wenn ich abgefahren bin. Ich glaube, dass deine Mutter sich sehr freuen würde, wenn ihr hier wohnen würdet, damit sie nicht so allein wäre, nicht wahr, Frau Copia?
Ehe Pepes Mutter etwas sagen konnte, rief der Sohn enttäuscht. „Was? Mein lieber Roman, du willst uns verlassen? Das ist aber keine gute Nachricht, die du mir heute verkündest. Wann soll denn das geschehen?“ Der Inselbesucher versuchte seine Heimfahrt zu begründen und fuhr fort. „Beim nächsten Mal, wenn das Versorgungsschiff anlegt, will ich den Kapitän fragen, ob er mich nach Key-West mitnimmt, und von dort fahre ich dann weiter mit der Eisenbahn bis zum Flughafen in Miami.“ - „Und was wird mit mir, ich wollte doch mit dir meinen Vater in Amerika suchen?“ - „Ich weiß nicht, jetzt, wo du verheiratet bist, ob deine Frau einverstanden ist, dass du nach Amerika fährst. Außerdem verspreche ich dir, dass ich in Key-West und in Miami Nachforschungen anstellen werde, um zu erfahren, wo dein Vater geblieben ist. Eine schriftliche Nachricht für dich, würde ich auf alle Fälle dem Kapitän der Okreta geben, der sie dir beim nächsten Mal übergeben kann.“ Nach diesen Sätzen wurde Pepe nachdenklich, schaute auf seine junge Frau, auf seine Mutter und antwortete entschlossen. „Du hast recht, mein lieber Freund, ich fahre nicht nach Amerika, ich warte daheim auf eine Nachricht von dir.“ Bis zum Tag, an dem das Versorgungsschiff eintreffen sollte, verging die Zeit sehr schnell. Roman verteilte an seine Gastleute kleine Abschiedsgeschenke. Pepe erhielt zum Andenken an ihn den bebilderten Reiseführer. „Aber Roman, du hast uns schon soviel gegeben, ich weiß nicht, wie ich alles gutmachen kann. Doch eines musst du mir versprechen, morgen früh, besuchst du uns, ehe du uns verlässt. Pepe und Marita hakten sich beim Deutschen unter, und er musste mit ihnen zur neuen Wohnung fahren. Nach etwa zehnminütiger Autofahrt besuchte er das neue Heim seines karibischen Freundes. Das junge Ehepaar bewohnte lediglich ein kleines Zimmer das nur sehr spärlich wohnlich eingerichtet war. Eine große Liege war das Hauptmöbelstück, von anderen Möbelteilen war kaum etwas vorhanden. Die Mutter des jung verheirateten Brautpaares hatte es sich nicht nehmen lassen, ein für ihre Begriffe opulentes Abschiedsmahl vorzubereiten. Es wurde gegessen, getrunken und noch lange geplaudert, bis es hieß Abschied nehmen. Am Vortage seiner Abreise, packte Walter seine „Siebensachen“ in einen großen Koffer und in einen stabilen Seemannssack, den er voll packte. Notfalls konnte er darauf sitzen. Der Abschied von den Inselbewohnern fiel ihm nicht leicht, er umarmte seine Zimmerwirtin, bedankte sich ganz herzlich bei ihr und versprach ihr, wieder zu kommen, wenn es irgendwann möglich wäre. Pepe und Marita fuhren mit dem Jeep sein Gepäck und ihn schon früh morgens zum Fischerhafen, wo viele Inselbewohner ungeduldig auf die Ankunft der OKRETA warteten. Sie mussten sich etwa drei Stunden gedulden, ehe das Schiff langsam in den Hafen einfuhr. Roman, Pepe, Marita und noch einige gute Bekannte standen voller Erwartung nahe an der Anlegestelle. Romans Gepäck stand in der Nähe einer provisorischen Rampe verladebereit gut zusammengeschnürt. Plötzlich ertönte eine laute Männerstimme vom Schiff, die den Wartenden zurief. „Pepe, Pepe, komm näher, lass dich sehen mein Junge.“ Die Überraschung war perfekt. Es war Pepe`s Vater der nach zwei Jahren Verschollenseins heimkehrte. Als erster kam er die Strickleiter herunter, warf sich seinem Sohn in die Arme, dem Tränen der Freude über das Gesicht liefen. „Papa, Papa, wo warst du so lange? Von woher kommst du?“ - „Ich komme aus Amerika, ich war lange krank, aber das erzähle ich dir später, komm lass uns schnell zur Mama fahren, ich habe so eine Sehnsucht nach euch gehabt! Sag` mir schnell, sind alle daheim gesund? War Mama sehr böse auf mich, dass ich so lange fort war?“ - „Nein, nein, Papa, wir haben dich alle sehr vermisst, aber immer geglaubt, du kommst eines Tages wieder. Und heute bist du da, wie schön das ist.“ Roman Fischer wollte sich ohne große Abschiedszeremonie aufs Schiff begeben, doch Pepe umarmte ihn mit einer Hand, mit der anderen hielt er seinen Vater fest und sagte mit Tränen erstickter Stimme. „Papa, das ist mein bester Freund, er fährt nach Deutschland zurück, ich habe ihm so viel zu verdanken. Er war so gut zu mir wie ein leiblicher Vater, ihn werde ich nie vergessen. Auf Wiedersehen, bye, bye, mein lieber Freund, bleibe gesund und komm' bald wieder auf unsere Insel. Wir werden dich nie vergessen, und du kannst immer zu uns kommen.“
Marita umarmte ihn ebenfalls liebevoll, küsste ihn auf beide Wangen, und als er auf dem Deck des Schiffes stand, hatte er Tränen in den Augen. Der Abschied von lieben, herzensguten Menschen, die fern auf einer unbekannten Insel in der Karibik ihr hartes Leben führen, fiel ihm sehr schwer. Viele Jahre danach, wieder in Deutschland zurück, dachte er oft noch an diese liebevollen und hilfsbereiten Menschen.